Rz. 419

Die Anhörungspflichten bestehen in jeder Tatsacheninstanz, d.h. auch im Beschwerdeverfahren, so dass die §§ 159 ff. FamFG dort unmittelbar anzuwenden sind.[1515] Soweit allerdings der zu beurteilende Sachverhalt erstinstanzlich verfahrensfehlerfrei[1516] und umfassend aufgeklärt worden ist und das Beschwerdegericht nach Aktenlage davon ausgehen kann, dass von einer erneuten Anhörung der Beteiligten keine weitergehenden Erkenntnisse zu erwarten sind, und die Beteiligten keine neuen entscheidungserheblichen Gesichtspunkte vorgetragen haben, die für die Sachdienlichkeit erneuter Anhörung sprechen, so kann die erneute Anhörung entbehrlich sein (§ 68 Abs. 3 S. 2 FamFG).[1517] Die Entscheidung hierzu ist allerdings gesondert zu begründen.[1518] Hat das erstinstanzliche Gericht das Anhörungsergebnis nicht ausreichend dokumentiert, so dass dem Beschwerdegericht eine Prüfung, ob und in welchem Umfang alle entscheidungsrelevanten Fragen erörtert wurden, nicht möglich ist (siehe dazu Rdn 416 f.),[1519] oder ist die Anhörung selbst verfahrenswidrig nicht oder zwar, aber verfahrensfehlerhaft durchgeführt worden,[1520] muss entweder die Anhörung durch das Beschwerdegericht vorgenommen oder das Verfahren zur erneuten Behandlung und Entscheidung auf – erforderlichen (§ 69 Abs. 1 S. 3 FamFG) – Antrag eines Beteiligten an das Familiengericht zurückverwiesen werden.[1521]

 

Rz. 420

Nach dem seit dem 1.9.2009 geltenden Recht kann das Beschwerdegericht die Anhörung bereits von Rechts wegen nicht mehr einem Mitglied des Beschwerdegerichts als beauftragtem Richter überlassen. Denn anders als noch nach § 621e Abs. 3 S. 2 ZPO a.F. i.V.m. § 527 ZPO[1522] ist die Übertragung der Angelegenheit auf den vorbereitenden Einzelrichter nicht mehr vorgesehen.[1523] Damit ist der von manchen Obergerichten beschrittene Weg, das Kind nur durch den Berichterstatter anzuhören (zur Kindesanhörung siehe Rdn 430), der dann seinen persönlichen Eindruck dem Senat "vermittelt", jedenfalls nach einfachem Recht[1524] verfahrensrechtlich nicht mehr gangbar. In Betracht käme allein die Übertragung des gesamten Verfahrens auf den – dann aber auch allein entscheidenden – Einzelrichter gemäß § 68 Abs. 4 S. 1 Hs. 1 FamFG. Soweit hiergegen vorgebracht wird, dass nach § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG sogar ganz von der Kinderanhörung abgesehen werden könne, so dass die Kindesanhörung erst recht nur durch den Berichterstatter möglich sein müsse,[1525] ist dies nicht stichhaltig. Dies vermengt die – in jedem Fall dem gesamten Senat vorbehaltene – Frage des "Ob" der Kindesanhörung unzulässiger Weise mit der des "Wie".

Die Absage des BGH an die bloße Berichterstatteranhörung ist sehr zu begrüßen, waren doch schon bislang im Falle der bloßen Berichterstatteranhörung anstrengende Klimmzüge am geistigen Hochreck notwendig, um in der Beschwerdeentscheidung belastbar darzulegen, dass diese Anhörung nur in ihrem "objektiven Ertrag" und ausschließlich als persönlicher Eindruck des Berichterstatters verwertet wurde.[1526] Die Erfahrung lehrt zudem, dass Senatsmitglieder aus der Kindesanhörung zuweilen nicht nur unterschiedliche Eindrücke mitnehmen, sondern auch ihr "Ohrenmerk" – und Nachfragen – auf unterschiedliche Aspekte des Falles richten, was in der anschließenden Zwischenberatung von erheblichem Erkenntnisgewinn ist. Wenn und weil dieses der Kindesanhörung auch den Zweck beimisst, dass sich das Gericht einen unmittelbaren Eindruck von dem Kind verschafft,[1527] kann dies nicht nur einem Mitglied des Senats überlassen bleiben.[1528] Zwar sind die hiergegen vorgebrachten Bedenken der Praxis ernst zu nehmen.[1529] In der Tat wurde das Kind bis zur Rechtsmittelinstanz bereits wiederholten Befragungen und Anhörungen unterzogen, die im Einzelfall mit nicht unerheblichen Belastungen verbunden gewesen sein können (zu diesem Argument siehe auch Rdn 434, 439 und 439 f.), wenngleich das Kind in den hier in Rede stehenden Verfahrenslagen häufig einen Verfahrensbeistand haben wird, den es schon kennt und der bei der Anhörung grundsätzlich anwesend ist.[1530] Das Problem einer etwaigen Mehrbelastung des Kindes ist indes in Ansehung der gegenwärtigen Rechtslage nicht dadurch zu lösen, dass die Anhörung einem Mitglied des Senats übertragen wird, sondern dadurch, dass die Anhörung einfühlsam und kindgerecht gestaltet wird. Hier besteht in der Tat erheblicher Fortbildungsbedarf.[1531]

[1515] BayObLG FamRZ 1995, 500.
[1516] Siehe dazu etwa BGH FamRZ 2010, 1060 m. Anm. Völker; BGH FamRZ 2012, 1556.
[1517] Vgl. BVerfG FamRZ 1984, 139; VerfGH Berlin FamRZ 2001, 848; BGH BGHZ 184, 323; OLG Saarbrücken FamRZ 2010, 1092; VerfG Brandenburg, Beschl. v. 19.10.2012 – 72/12, juris (6 Monate bei Umgangsabänderung betreffend ein vierjähriges Kind annähernd Obergrenze); OLG Köln FamRZ 2014, 64; siehe aber auch VerfGH Berlin FamRZ 2006, 1465 (9 Monate, überwiegend höchst konträrer Sachvortrag, ersichtlich veränderte Umstände).
[1518] OLG Brandenburg FamRZ 2003, 624.
[1519] BVerfG FamRZ 2006, 605.
[1520] Dazu BGH F...

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