Rz. 414

Die Anhörung findet ihre verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 103 Abs. 1 GG, dem Anspruch auf rechtliches Gehör. Darüber hinaus ist sie essentieller Bestandteil des aus dem Amtsermittlungsgrundsatz (§ 26 FamFG) folgenden Gebots der Sachaufklärung und richterlichen Überzeugungsbildung.[1497] Der Anspruch des Kindes darauf, seine Wünsche, Neigungen und Bindungen persönlich darstellen zu können, damit sie in die gerichtliche Entscheidung einfließen, folgt schon aus seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.[1498] Nur indem sich das Gericht einen persönlichen Eindruck von den Verfahrensbeteiligten verschafft, kann es auch seiner "Kontrollfunktion" gegenüber den Beteiligten nachkommen.[1499] Die persönliche Anhörung verpflichtet den Richter zu einem mündlichen Kontakt, in dem er sich intensiv mit dem Anzuhörenden beschäftigen kann.[1500]

 

Rz. 415

Es muss ein Gespräch zwischen dem Beteiligten und den Gericht zustande kommen;[1501] die bloße Beobachtung der Kommunikation zwischen Dolmetscher und Beteiligtem genügt nicht.[1502] Verfahrensfehlerhaft ist die Anhörung, wenn der Beteiligte der deutschen Sprache nicht mächtig ist und entgegen § 185 GVG kein Dolmetscher hinzugezogen wird; denn dies verletzt den verfassungsrechtlichen Anspruch des Beteiligten aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. 20 Abs. 3 GG auf ein faires Verfahren. Der Beteiligte soll die ihn betreffenden Verfahrensvorgänge verstehen und sich in der mündlichen Erörterung verständlich machen können. Der Mitwirkung eines Dolmetschers bedarf es folglich umgekehrt dann nicht, wenn ein Beteiligter die deutsche Sprache zwar nicht beherrscht, sie aber in einem die Verständigung mit ihm in der Anhörung ermöglichenden Maße spricht und versteht.[1503]

 

Rz. 416

Allein die schriftliche Anhörung vermag der aus § 26 FamFG folgenden Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nicht gerecht werden, ebenso wenig eine nur telefonisch geführte Unterredung.[1504] Die Anhörung hat dabei im Falle eines Richterwechsels nicht stets zwingend durch den Richter zu erfolgen, der in dem Verfahren bereits Entscheidungen getroffen hat oder die Endentscheidung treffen wird.[1505] Es kann im Einzelfall ausreichend sein, dass sich hinsichtlich einer bereits durchgeführten Beweisaufnahme dem hieran nicht beteiligten Richter ein entscheidungserheblicher persönlicher Eindruck zuverlässig aus dem Protokoll oder dem Anhörungsvermerk ergibt.[1506]

 

Rz. 417

Hiermit korrespondiert daher auch die Pflicht, den Verlauf und das Ergebnis der Anhörung einschließlich der hierbei ermittelten Tatsachen in geeigneter Weise in den Akten niederzulegen (§§ 28 Abs. 4, 29 Abs. 3 FamFG).[1507] Es obliegt dem richterlichen Ermessen, ob ein Aktenvermerk erstellt oder ein Protokoll gefertigt wird.[1508] Die Dokumentationspflicht erfordert kein Wortprotokoll.[1509] Der Gesetzgeber hat bewusst davon abgesehen, den notwendigen Inhalt des Vermerks festzulegen, damit das Gericht diesen flexibel nach den Anforderungen des Einzelfalls ausgestalten kann.[1510] Entscheidend ist allein, dass der wesentliche Inhalt der Anhörung vollständig und zusammenhängend wiedergegeben wird[1511] und frei von Wertungen des Gerichts ist.[1512] Wegen dieser Anforderungen mag die Niederlegung des Anhörungsergebnisses auch im abschließenden Beschluss möglich sein, ist aber sehr gefährlich.[1513] Nur wenn jene Voraussetzungen erfüllt sind, kann das Beschwerdegericht prüfen, ob alle entscheidungserheblichen Fragen erörtert wurden und die Feststellungen rechtsfehlerfrei zustande gekommen sind, d.h. insbesondere der Anhörungsinhalt vollständig und widerspruchsfrei gewürdigt wurde.[1514]

 

Rz. 418

Ansonsten muss – abgesehen von den Fällen zulässiger Amts- oder Rechtshilfe – die Anhörung vom erkennenden Gericht durchgeführt werden. Beim Oberlandesgericht ist es allerdings regelmäßig erforderlich, dass das Kind vom gesamten Senat – und nicht nur vom Berichterstatter persönlich – angehört wird (siehe im Einzelnen Rdn 420).

[1497] BVerfG FamRZ 1987, 786; BGH FamRZ 1985, 169.
[1498] BVerfG FamRZ 1981, 124; OLG Zweibrücken FamRZ 1999, 246.
[1499] OLG Karlsruhe FamRZ 1999, 670.
[1500] BayObLG FamRZ 1997, 223; OLG Hamm FamRZ 1999, 36.
[1501] OLG Saarbrücken, Beschl. v. 21.11.2011 – 9 UF 108/11 (n.v.).
[1503] BVerwG NJW 1990, 3102; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 7.1.2011 – 9 UF 116/10 (n.v.).
[1504] OLG Köln FamRZ 2001, 430; OLG Karlsruhe FamRZ 1994, 915.
[1505] BGH FamRZ 1985, 169; OLG Köln FamRZ 1995, 1509.
[1506] OLG Hamm FamRZ 1999, 36; OLG Köln FamRZ 1996, 310.
[1507] Siehe – zum Umgangsrecht – ausführlich OLG Saarbrücken FamRZ 2010, 2085.
[1508] OLG Celle FamRZ 2014, 413; BayObLG FamRZ 1980, 1150.
[1509] OLG Celle FamRZ 2014, 413; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 10.8.2011 – 9 WF 66/11 (n.v.); siehe zum heimlichen Tonbandmitschnitt der Kindesanhörung durch ein dem Kind in die Jacke gestecktes Tonaufnahmegerät OLG Hamm FamRZ 2014, 1789; Anm. Rogalla, NZFam 2014, 647.
[1510] Vgl. BGH FamRZ 2015, 39.
[1511] Vgl. BGH FamRZ 2015, 39; OLG Saarbrücken FamRZ 2010, 2085; O...

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