Rz. 124

Das Beschlussverfahren findet einerseits statt, wenn der Einspruch gem. § 70 OWiG unzulässig ist und andererseits, wenn der Sachverhalt bereits vollständig geklärt ist und es aus Sicht des Gerichts einer Hauptverhandlung nicht bedarf gem. § 72 Abs. 1 OWiG. In letzterem Fall kann das Gericht den Betroffenen direkt freisprechen. Andernfalls hat es seine Absicht, im Beschlusswege zu entscheiden, anzukündigen und eine zweiwöchige Stellungnahmefrist anzuberaumen, § 72 Abs. 1 S. 2 OWiG. Widersprechen die Verteidigung und/oder die Staatsanwaltschaft, wird ein Hauptverhandlungstermin bestimmt.

Ein wesentlicher Vorteil gegenüber dem Urteilsverfahren ist, dass im Beschlussverfahren das Verbot der reformatio in peius gilt. Hierbei ist zu beachten, dass der Rechtsfolgenausspruch in seiner Gesamtheit zu sehen ist; demnach kann also die Aufhebung eines Fahrverbots gegen eine Anhebung der Geldbuße beschlossen werden.[255]

Auch ist eine Überleitung des mündlichen Verfahrens ins Beschlussverfahrens nach bereits erfolgter Hauptverhandlung zulässig, soweit die Sache noch nicht entscheidungsreif ist.[256] Für die Erteilung des Einverständnisses entsteht der Verteidigung eine zusätzliche Verfahrensgebühr nach Nr. 5115 Abs. 1 Nr. 5 VV RVG.

 

Rz. 125

Der Widerspruch ist formlos und kann daher auch konkludent erfolgen.[257] Es genügt, wenn der Widerspruch gegen das Beschlussverfahren bereits bei der Einspruchseinlegung erfolgt ist. Er braucht nicht explizit wiederholt zu werden.[258] Der Widerspruch ist ein Gestaltungsrecht und daher nicht bedingungsfeindlich. Eine Zustimmung der Verteidigung zur Entscheidung durch Beschluss kann folglich an Bedingungen geknüpft werden, sofern das entscheidende Amtsgericht über diese frei verfügen kann.[259]

Im Rahmen der Rechtsbeschwerde geht die sachlich-rechtliche Überprüfbarkeit nur so weit wie die Entscheidungsbegründung in erster Instanz. Soweit es das Amtsgericht also im Beschlusswege verabsäumt hat, auf den Akteninhalt Bezug zu nehmen, kann das Rechtsbeschwerdegericht keine eigene Sachaufklärung betreiben.[260]

 

Rz. 126

 

Praxistipp

Geht es um die Reduzierung der Geldbuße, um ein Absehen vom Fahrverbot oder um Vergleichbares, bietet es sich an, das Einverständnis zum Beschlussverfahren unter der Bedingung zu erteilen, dass dieses Einspruchsziel erreicht wird.

Ein Beschluss mit anderem Ausgang kann vom Gericht nun nicht getroffen werden,[261] zumal eine nachteilige Abweichung vom Bußgeldbescheid per Beschluss nicht erfolgen darf, § 72 Abs. 3 S. 2 OWiG. Somit wird es also entweder im Sinne der Verteidigung entscheiden oder eine Hauptverhandlung ansetzen. In letzterem Falle ist zumindest klar, dass im Termin weitere Überzeugungsarbeit zu leisten ist.

Bei Geldbußen bis zu 100 EUR ist die Zulassung der Rechtsbeschwerde ausgeschlossen, § 80 Abs. 1 i.V.m. § 79 Abs. 1 S. 2 OWiG! Vor der Zustimmung zum Beschlussverfahren sollte also das FAER vorsorglich eingeholt werden, sofern eine Punkteeintragung droht.

[255] Krenberger/Gieg, in: Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl. 2021, Rn 488.; Göhler/Seitz/Bauer, OWiG, 18. Aufl. 2021, § 72 Rn 56.
[256] OLG Brandenburg, Beschl. v. 25.7.2019 – (1 B) 53 Ss-OWi 99/19 (139/19) = NJ 2019, 494; KK-OWiG/Senge, 5. Aufl. 2018, § 72 Rn 7.
[257] OLG Jena, Beschl. v. 18.5.2005 – 1 Ss 105/05, Rn 9 = StraFo 2005, 343, juris; OLG Bremen, Beschl. v. 4.9.2014 – 1 SsBs 42/14, BeckRS 2014, 23000; Göhler/Seitz/Bauer, OWiG, 18. Aufl. 2021, § 72 Rn 16 m.w.N.
[258] OLG Schleswig, Beschl. v. 9.2.2004 – 1 Ss OWi 26/04 (18/04), juris = NJW 2004, 3133 = NZV 2005, 110; OLG Hamm, Beschl. v. 27.10.2011 – III-1 RBs 177/11, Rn 11, juris = zfs 2012, 232.
[259] KK-OWiG/Senge, 5. Aufl. 2018, § 72 Rn 19; Göhler/Seitz/Bauer, OWiG, 18. Aufl. 2021, § 72 Rn 20.
[260] KG, Beschl. v. 8.9.2022 – 3 Ws (B) 209/22 – 122 Ss 91/22, BeckRS 2022, 29036 Rn 9 m.w.N.
[261] OLG Karlsruhe, Beschl. v. 4.12.2012 – 2 (6) SsBs 658/12, Rn 3, juris; KK-OWiG/Senge, 5. Aufl. 2018, § 72 Rn 20; Göhler/Seitz/Bauer, OWiG, 18. Aufl. 2021, § 72 Rn 22 m.w.N.

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