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40 führende HR-Köpfe 2023: Wissenschaft

Wirtschaft, Psychologie und Jura: Wer Spitzenforschung betreibt und Einfluss auf die Personalpraxis nimmt. Die Redaktion des Personalmagazins würdigt unter den "40 führenden HR-Köpfen 2023" zehn herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. 

Kerstin Alfes: die Engagierte

Wie können Mitarbeitende sich intrinsisch motiviert in ihre Arbeit einbringen und wie können Führungskräfte ein förderliches Umfeld dafür schaffen? Dieser Frage geht Kerstin Alfes in der Forschung auf den Grund. Dazu treibt sie ihr eigenes Interesse am Personalmanagement an, das sie schon bei ihrer Ausbildung zur Bürokauffrau entdeckt hat. Die Leidenschaft, die Welt mit ihrer Forschung ein Stück weit zu verbessern, ist ihr Motivator. Und diese Botschaft vermittelt die 46-Jährige auch den Führungskräften in der Executive Education an der ESCP. Sie ist am Standort Berlin der französischen Business School Professorin für Organisation und Personalmanagement. Engagement, intrinsische Motivation und sinnstiftende Arbeit sind schon lange ihre Forschungsthemen, in Forschungsrankings ist sie vorne dabei. Neu ist ihre Forschung im Bereich Diversity und Inklusion. Sie will die Lücke zwischen schillernden Vielfaltskonzepten und realer Wirklichkeit schließen. Selbst ist sie die erste Frau, die an der Berner Fakultät für BWL habilitiert hat.

Fabiola Gerpott: die Führungsversteherin

Sie sieht sich nicht nur als Forscherin, sondern auch als Führungskraft. Seit 2019 hat Fabiola Gerpott eine Professur für Leadership an der WHU Vallendar inne, die auch Führungsaufgaben mit sich bringt. Das nimmt sie ernst, sie will inspirieren und begeistern, Mitarbeitende aller Hierarchieebenen in ihre Projekte einbeziehen. Mit ihrer offenen Art wirken solche Aussagen glaubwürdig. Forschung ist nach Gerpotts Verständnis inklusiv und international. Praxisbezug ist für sie der Schlüssel zur Relevanz ihrer Arbeit. die 35-Jährige weiß, wovon sie spricht: Gerpott arbeitete selbst drei Jahre lang bei Daimler. Inzwischen beschäftigt sie sich mit den Themen Selbstführung, Remote Leadership und Künstliche Intelligenz. Insbesondere die Führung auf Distanz bedürfe einer genaueren Betrachtung. Inspiration für neue Forschungsfragen liefern häufig ihre MBA-Studierenden, die konkrete Führungsprobleme aus den Unternehmen ins Seminar mitbringen. Gerpott hört ihnen zu; Auftragsforschung ist für sie allerdings tabu. Öffentliche Auftritte wählt sie sorgfältig – weniger ist mehr.

Simon Jäger: der Newcomer

Vor einem Jahr wechselte er vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in die Leitung des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn. Schon der Wechsel des 37-jährigen Arbeitsökonomen sorgte für Aufsehen, manche waren überrascht von der Attraktivität des deutschen Forschungsstandorts. Auf Grundlage seiner empirischen Forschungen mischte er sich über die Leitmedien in die wirtschaftliche Debatte ein und sorgte für Diskussionen. Bei der Erhöhung des Mindestlohns sah er kaum negative beschäftigungspolitische Effekte, auch bei dem vielfach beklagten Fachkräftemangel kam er zu überraschenden Einsichten. Deutschland könne dadurch produktiver werden und Ungleichheiten abbauen. Simon Jäger ist eine neue, frische Stimme zum Arbeitsmarkt.

Simone Kauffeld: die Instanz

Aktuelle psychologische Forschungsergebnisse sind in der Praxis der Personalarbeit so gefragt wie nie zuvor. In der Psychologie betreibt wohl niemand diese Kooperation so intensiv und erfolgreich wie Simone Kauffeld. An ihrem Lehrstuhl an der TU Braunschweig arbeiten 30 Mitarbeitende parallel an zahlreichen geförderten Projekten. Gerade hat die 55-Jährige ein Millionenprojekt beim BMBF eingeworben: Im Regionalen Kompetenzzentrum Arbeitsgestaltung wird sie sich mit 42 Partnern unter anderem den Themen Arbeit und Gesundheit, Kompetenzentwicklung und Wissenstransfer sowie Kooperation in der Kreislaufwirtschaft widmen. Daneben ist sie bei mehreren Fachzeitschriften als Herausgeberin tätig und hat allein in den Jahren 2022 und 2023 knapp 50 Fachbeiträge (mit-)veröffentlicht. Wie ihr das gelingt? Sie selbst sieht den Erfolg darin begründet, dass sie die Zusammenhänge zwischen den Themen sieht und Synergien nutzt. Genau das ist es auch, was sie in ihrem Herzensthema, dem Programm der "Veränderungsmacher*in", verfolgt: Das Programm stellt Synergien zwischen Personal- und Organisationsentwicklung her, indem Mitarbeitende unternehmensübergreifend qualifiziert werden und als Gestalter ihrer Organisation wirken können. Wirkung entfaltet sie auch dadurch, dass ehemalige Studierende zu Top-Wissenschaftlern geworden sind.

Martin Kersting: der Schiedsrichter

Mit den Einsatzmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz (KI) im Personalmanagement hat sich Martin Kersting intensiv beschäftigt. Als Gründungsmitglied des Ethikbeirats HR Tech hat er Leitlinien für einen ethischen Einsatz von KI miterarbeitet, war als wissenschaftlicher Studienleiter für die Durchführung der Umfragen zum Einsatz von KI in der Personalarbeit verantwortlich, die erstmals die Einschätzung von HR-Fachleuten und den Betriebsräten transparent machten. Seine Haltung zum Thema ist differenziert: Er sieht die Risiken und Gefahren der neuen Technologien, aber noch mehr die Chancen, gerade auch in seinem Spezialgebiet, der Eignungsdiagnostik. Durch seine Beschäftigung mit Künstlicher Intelligenz hat der 59-Jährige ein "altes" Thema wiederentdeckt: Die Fairness. Diskriminierungsfragen bekommen durch die technische Reproduktion eine neue Schärfe. Kersting macht in seinen feinsinnigen Veröffentlichungen darauf aufmerksam, welche unterschiedlichen Vorstellungen von Fairness es gibt und wie unterschiedlich Menschen diese  erleben.  

Martin Kersting ist eine der Koryphäen in der Eignungsdiagnostik. Seit 30 Jahren beschäftigt er sich mit dem Thema, seit zwölf Jahren forscht und lehrt er als Professor für Psychologische Diagnostik an der Universität Gießen. In Unternehmen werden heutzutage gerne Tests eingesetzt, die Digitalisierung hat das befördert. Doch der Markt an Tests ist unübersichtlich und die Qualität manchmal mit Horoskopen vergleichbar. Die Mission des 59-jährigen Wissenschaftlers ist es, die Unternehmenspraxis zu verbessern. Er ist Mitautor der DIN 33430 zur berufsbezogenen Eignungsbeurteilung sowie Vorsitzender des Diagnostik- und Testkuratoriums.

Florian Kunze: der Heimwerker

Als im März 2020 Unternehmen in ganz Deutschland ihre Mitarbeitenden von einem Tag auf den anderen ins Homeoffice schickten, erkannte Florian Kunze sofort, dass dies ein Einschnitt war, der die Arbeitswelt drastisch und nachhaltig verändern würde. Diese Entwicklung wollte der Professor für Organizational Behavior an der Universität Konstanz wissenschaftlich beobachten und dokumentieren. Dazu startete er eine repräsentative Panelbefragung mit rund 700 Beschäftigten. Die Konstanzer Homeoffice-Studie, die mittlerweile 16 Befragungswellen umfasst, wurde auch in der Publikumspresse vielfach zitiert und verschaffte Kunze Aufmerksamkeit weit über die HR-Community hinaus. In Fachkreisen hat sich der 42-Jährige schon zuvor einen Namen gemacht, mit viel beachteten Forschungsarbeiten zu "Digital Fluency", Demografie oder Diversity. Sein neustes Projekt untersucht die Ausbildungsverläufe von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Kunze, der am Institut für Leadership der Universität St. Gallen promoviert hat, veröffentlicht in den Top-Journals der Wissenschaft, sucht aber immer auch den Austausch mit der Praxis. Er hält Vorträge und Seminare in Unternehmen und ist auch beratend tätig.

Carsten Schermuly: der Durchstarter

Der Professor für Wirtschaftspsychologie ist in den vergangenen zwei Jahren in die oberste Liga der einflussreichen Wissenschaftler aufgestiegen. Nach wie vor hat er zwar "nur" einen Lehrstuhl an der privaten SRH Hochschule Berlin und entsprechend begrenztere Ausstattung als manche Kolleginnen und Kollegen aus den Universitäten. Mit seinen Forschungsleistungen übertrumpft er dennoch viele – auch in der öffentlichen Wahrnehmung.Mit seinen Forschungen zu New Work, Empowerment und Coaching hat er zuletzt die Leitmedien der Republik erreicht, die ihn als Interviewpartner suchen. Auch als Kongressredner ist er gefragt. Mit dazu beigetragen hat nicht nur seine exzellente Forschung. In den Forschungsrankings hat er mächtig zugelegt. Außerordentlich sind auch seine Fähigkeiten in der Wissenschaftskommunikation. Mit seinen jüngsten Büchern New Work Utopia und New Work Dystopia brachte er seine Themen auf eine unterhaltsame und gleichzeitig anspruchsvolle Weise in die Unternehmen. Seine Papers teilt er über soziale Medien und beteiligt sich an aktuellen Debatten, während seine Forschungsaktivitäten nicht nachlassen. Das New-Work-Barometer, das er jährlich mit dem Personalmagazin als Partner durchführt, ging in diesem Jahr in die vierte Runde.

Enzo Weber: der Aufklärer

Er ist derzeit einer der bekanntesten Arbeitsmarktforscher im Land und hat sich in den vergangenen zwei Jahren in die HR-Debatte eingemischt. Am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) leitet er seit über zehn Jahren den Forschungsbereich "Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen" und hat sich auch als Experte zur demografischen Entwicklung einen Namen gemacht. Mit seinen Zahlenanalysen und Prognosen macht er auf die dramatische Lage aufmerksam, die durch die Verrentung von 16 Millionen Babyboomern entsteht. Webers Szenarien sind detailliert und zeigen die Auswirkungen auf Branchen und Berufsgruppen. Aus seinen Analysen leitet er praktische Handlungsempfehlungen für die Politik und die Unternehmen ab. Deutschland brauche ein Migrationssaldo von jährlich 400.000 Menschen, aber auch moderne Personalkonzepte, mit denen die Potenziale von Frauen, Älteren oder Ungelernten besser gehoben werden. Dafür engagiert er sich in der Jury des Deutschen Demographie Preises.

Der 43-Jährige ist eloquent. Er hält Vorträge bei Bundestagsfraktionen, tritt bei Kongressen auf, zuletzt auch auf der Zukunft Personal Europe, und ist mit seinen vielen Interviews omnipräsent. In den HR-Debatten fällt er mit seinen Stellungnahmen auf, die viele Glaubenssätze mit empirischen Fakten in Frage stellen. Die Generation Z wolle nicht weniger arbeiten, dafür gebe es keine empirischen Belege. Sie wolle nur anders arbeiten, erläutert er immer wieder. Auch die These, dass die Deutschen immer weniger arbeiten wollen, zweifelt er an. Die Männer hätten zwar früher eine längere Wochenarbeitszeit gehabt, aber die meisten Frauen waren am Erwerbsleben überhaupt nicht beteiligt. Heute seien beide Geschlechter berufstätig. Addiere man beide zusammen, würden die Deutschen heute mehr arbeiten als jemals zuvor.

Antoinette Weibel: die Gärtnerin

Vertrauen macht Organisationen erfolgreicher als Kontrolle und bringt Menschen zum Aufblühen, davon ist Antoinette Weibel überzeugt. Mit ihrem Steckenpferd Vertrauensforschung hat sich die Professorin für Personalmanagement an der Universität St. Gallen einen Namen gemacht. Die 54-Jährige untersucht unter anderem, wie der Einsatz von KI das Vertrauen der Mitarbeitenden auf die Probe stellt und wie stark sich Führungskräfte von Vorschlägen der KI übersteuern lassen. Sie sieht insbesondere HR in der Pflicht, sich mit ethischen Fragen neuer Technologien auseinanderzusetzen. Was es dafür braucht, weiß sie philosophisch und praxisnah zugleich in die HR-Community zu spielen – in sozialen Netzwerken und auf Events.

In den vergangenen zwei Jahren beschäftigte sich die Direktorin am Forschungsinstitut für Arbeit und Arbeitswelten mit dem Projekt "Good Organisations", das sie mit dem Manager Otti Vogt vorantreibt. Denn sie hat beobachtet, dass es zwar viele gut gemeinte Rezepte für Verbesserungen der Arbeit gibt, diese aber oft nicht evidenzbasiert sind oder sie kaum jemand kennt. Deshalb entwickelt sie Skalen für praktische Weisheit, für ein Klima der Exzellenz und für virtuoses Leadership, die sie in Zusammenarbeit mit Unternehmen erprobt. Die Frage, was gute Unternehmen ausmacht, hängt für sie mit einer Vertrauenskultur zusammen: Beides dient dem Wohl der Organisation, der Menschen und der Gesellschaft. Diese Kombination macht ihren Beitrag in der Spitzenforschung für HR einzigartig.

Isabell Welpe: die Futuristin

Sie ist ihrer Zeit immer ein Stück voraus. Schon 2014 hat die Professorin für Strategie und Organisation der TUM School of Management die Demokratisierung von Unternehmen als Erfolgsstrategie vorangetrieben. Während die damaligen Ideen im Zuge von New Work im Mainstream angekommen sind, ist Isabell Welpe schon wieder einen Schritt weiter: Inzwischen fokussiert die 48-Jährige sich auf Blockchain-Technologie. NFTs, Tokens, Metaverse, DAOs und Co – sie setzt sich dafür ein, dass HR ein Grundverständnis für die neue Technologie erwirbt und Anwendungsfälle identifiziert. Sie sieht darin einen Gamechanger für Recruiting und Personalentwicklung, durch schnellere und effizientere Prozesse: überall dort, wo es darum geht, Daten fälschungssicher zu speichern und zu validieren. 

Die umtriebige und gut vernetzte Forscherin ist an der TUM Teil eines interdisziplinäres Forschungsteam aus Informatik, Elektrotechnik und Wirtschaftswissenschaften. Als Gründungsmitglied des TUM Think Tank, der eine Task Force einrichtet, die Politik, Verwaltung, Gesellschaft und Wirtschaft Orientierung und Anleitung im Umgang mit generativer KI geben soll. Auf zahlreichen Fachkonferenzen und in dem von ihr mitgehosteten Podcast Web3& teilt sie ihre Erkenntnisse aus der Forschung und ermutigt Personalverantwortliche, sich für futuristisch anmutende Technologien zu öffnen, um die sie früher oder später sowieso nicht herumkommen. Bei der Weiterbildung identifiziert sie in Zukunft noch viel Luft nach oben: statt One-size-fits-all müsse Bildung viel individueller sein und flexiblere räumliche und zeitliche Strukturen und Curricula ermöglichen – auch mithilfe technischer Errungenschaften. Als Vordenkerin beweist sie sich zudem in Sachen Zukunft von Führung. Sie legt den Finger in die Wunde von Unternehmen, wenn sie betont, wie wenig Programme für Diversität, Gleichstellung und Inklusion (DEI) bislang bewirkt haben. Dabei gibt sie aber auch immer Impulse und Tipps mit – etwa, dass es nicht nur auf klare Zielsetzung, Commitment der obersten Führungsriege, sondern auch auf eine inklusive Kultur und Arbeitsumgebung ankommt.


Eine Übersicht über die "40 führenden HR-Köpfe 2023" finden Sie hier.

Die ausführliche Berichterstattung über die Preisträgerinnen und Preisträger 2023 lesen Sie in Personalmagazin Ausgabe 08/2023 oder in der Personalmagazin-App.

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