Entscheidungsstichwort (Thema)

Wartezeit. Kündigung. Schwerbehinderung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Kündigungen, die gegen § 164 Abs. 2 SGB IX verstoßen, sind rechtsunwirksam.

2. Eine durch § 164 Abs. 2 SGB IX verbotene Diskriminierung ist indiziert, wenn der Arbeitgeber gegen seine Verpflichtung aus § 167 Abs. 1 SGB IX verstößt.

3. Arbeitgeber sind auch während der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG verpflichtet, ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen (entgegen BAG, Urteil vom 21. April 2016 – 8 AZR 402/14 –, BAGE 155, 61-69).

 

Normenkette

VN-BRK Art. 2 Unterabs. 3, Art. 27 Abs. 1 S. 2 Buchst. a; RL 2000/78 Art. 5; BGB § 134; SGB IX § 164 Abs. 2, 4, § 167 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Köln (Aktenzeichen 18 Ca 3954/23)

 

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 22.06.2023 beendet worden ist.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Der Streitwert beträgt 8.400,00 EUR.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristgerechten Arbeitgeber-Kündigung in der Wartezeit.

Der 1984 geborene Kläger ist seit dem 01.01.2023 bei der beklagten Kommune als „Beschäftigter im Bauhof” zu einem monatlichen Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 2.800,00 EUR angestellt. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Vorschriften des TVöD-VKA mit dem Besonderen Teil Verwaltung Anwendung. Bei dem Kläger war bei Ausspruch der Kündigung ein Grad der Behinderung von 80 unter anderem resultierend aus einem frühkindlichen Hirnschaden (Einzel-GdB 50) anerkannt. Der Kläger wurde zwischen dem 02.01. und dem 14.04.2023 in verschiedenen Kolonnen des Bauhofs eingesetzt. Hierüber wurden von den jeweiligen Kolonnenführern Vermerke angefertigt (Anlage 1 zum SS v. 27.09.2023). Ende Mai 2023 riss der Kläger sich beim Fahrradfahren das Kreuzband und war infolge dessen über den Zeitpunkt des Ausspruchs der streitgegenständlichen Kündigung hinaus krankgeschrieben. Mit Schreiben jeweils vom 19.06.2023 hörte die Beklagte den Personalrat, die Schwerbehindertenvertretung sowie die Gleichstellungsbeauftragte zur beabsichtigten „Kündigung in der Probezeit” des Klägers unter Beifügung der als Anlage 1 zur Akte gereichten „Mail des Fachamtes” zum Verlauf seiner Einarbeitung an. Alle drei Stellen teilten bis zum 22.06.2023 mit, keine Einwände gegen die beabsichtigte Kündigung zu haben. Mit Schreiben vom 22.06.2023 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum Kläger ordentlich und fristgerecht zum 31.07.2023.

Gegen diese Kündigung setzt sich der Kläger mit seiner der Beklagten am 07.07.2023 zugestellten Klage zur Wehr.

Er behauptet, für die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeit und sein Engagement bei der Beklagten ein hervorragendes Feedback erhalten zu haben. Behinderungsbedingt habe er allerdings während der Einarbeitungsphase nicht so konstant und konzentriert arbeiten können wie jemand ohne Behinderung. Auch sei er nicht so lernfähig wie ein regulärer Arbeitnehmer. Er benötige Routinen. Sobald er Arbeiten öfters ausführe, werde er sicherer. Auch die Beklagte habe ihren Anteil an seinen Leistungen. Es bedürfe eines Vorgesetzten, der den richtigen Ton zu treffen vermöge. Wenn jemand, der etwas nicht (direkt) umsetzen könne, zu stark kritisiert werde, werde dieser zwangsläufig nervös. Dies wiederum führe dazu, dass er (noch) mehr Fehler mache. In seinen beiden letzten Einarbeitungsstationen sei er dagegen gut zurecht gekommen.

Er hält die infolge seiner Arbeitsunfähigkeit erklärte Kündigung für treuwidrig und meint unter Berufung auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 10.02.2022, Az. C-485/20, dass die Beklagte ihm vor Ausspruch der Kündigung eine leidensgerechte Beschäftigung hätte anbieten müssen. Selbst aus Sicht der einarbeitenden Vorgesetzten sei er gerade nicht für alle Aufgaben ungeeignet gewesen. Aus seiner Sicht wäre ein weiterer Einsatz in einer der beiden ihm zuletzt zugewiesenen Kolonnen hierfür geeignet gewesen. Ferner rügt er die ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrats und der Schwerbehindertenvertretung. Diesen hätte auch der konkrete Grad seiner Behinderung mitgeteilt werden müssen.

Der Kläger beantragt – nach Rücknahme eines allgemeinen Feststellungsantrags:

Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis vom 19.12.2022 nicht durch Kündigung vom 22.06.2023 aufgelöst wurde.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, der Kläger habe sich in der Probezeit nicht bewährt und sich nicht ausreichend ins Team eingefügt beziehungsweise nicht ihren Erwartungen entsprochen.

Sie ist der Auffassung, dass eine Diskriminierung des Klägers nicht vorliege. Erst im Gütetermin sei sie über die seiner Behinderung zugrunde liegenden Erkrankungen aufgeklärt worden. Während des Arbeitsverhältnisses habe sie daher unter keinem tatsächlichen oder rechtlichen Betracht, quasi „proaktiv” auf den Kläger zugehen müssen, weshalb sich die Frage der „Unzumutbarkeit” bzw. eines „unverhältnismäßigen Aufwandes” i. S. v. § ...

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