Tools und KI für den Wissensaustausch

Bei vielen Initiativen ist der Name Programm. Es geht um Peer-to-Peer-Lernformate wie "Wenn Datev wüsste, was Datev weiß", "Best Practice Club" (Otto Group) oder "LEX (Lernen von Experten) Community" der Telekom, aber auch um Technologien und Tools, die dabei helfen, Wissen zu sammeln, zu kategorisieren, womöglich auch weiterzuverarbeiten und zur Verfügung zu stellen. Es geht darum, Wissen im Unternehmen zu halten und weiterzugeben, Wissenssilos aufzubrechen und Wissen zu teilen, und es geht darum, implizites Wissen sichtbar zu machen.
Mit Wissen Potenzial erhalten
Wie nötig das ist, vermittelt ein kurzer Blick auf die Zahlen. Das Institut der Deutschen Wirtschaft meldete Ende Oktober 2024, dass von 2022 bis 2036 alle 19,4 Millionen Menschen in der Altersgruppe der sogenannten Babyboomer das gesetzliche Renteneintrittsalter erreicht haben. Im gleichen Zeitraum steht nur ein Zugang von 12,5 Millionen jungen Menschen als Arbeitskräftepotenzial gegenüber. Wenn Zuwanderung die Herausforderung nicht löst, müsse das bestehende Potenzial besser ausgenutzt werden, um Wohlstandsverluste zu vermeiden. Das heißt auch: Wissen zu erhalten und verfügbar zu machen, wird wichtiger denn je.
Die Umfrage "Supercharging Company Knowledge with AI" der Harvard Business Review Analytic Services bestätigt den Ansatz. Die Autoren hatten gezielt Leserinnen und Leser befragt, die mit Entscheidungen ihres Unternehmens in Bezug auf organisatorisches Wissen vertraut sind. Die Mehrheit betonte die Notwendigkeit, ihr organisatorisches Wissen gut zu verwalten (97 Prozent) zu nutzen (97 Prozent) und daraus einen Mehrwert zu schaffen (96 Prozent). Umgekehrt war etwa die Hälfte der Befragten der Ansicht, dies geschehe noch nicht in ausreichendem Maße.
Unpassende Tools fürs Wissensmanagement und Quiet Constraint
Technologien und Wissenstransfer-Tools ermöglichen es, Wissen nicht nur zu sichern, sondern auch zugänglich zu machen und zu vernetzen. Die Herausforderung ist mitunter, die passenden Tools zu finden und diese Werkzeuge gezielt zusammenzuführen. Das belegen Zahlen der Harvard-Business-Review-Umfrage. Demnach setzen 60 Prozent der befragten Unternehmen bereits eine Vielzahl verschiedener Werkzeuge ein, bringen damit aber eher Ineffizienz in Verbindung. Gleichzeitig spielt auch das Klima in der Organisation, wie zum Beispiel Vertrauen und Motivation, eine Rolle, ob und wie Menschen bereit sind, vorhandene Tools zu nutzen.
In jüngster Zeit macht außerdem die These vom "Quiet Constraint" die Runde. Dabei handelt es sich um eine Form der stillen Zurückhaltung, die immer mehr Menschen daran hindert, ihre Erfahrungen und Fähigkeiten mit anderen zu teilen. Laut einer Umfrage der Lernapp Kahoot sagten 58 Prozent der befragten Berufstätigen, dass sie über wertvolle Kompetenzen verfügen, welche sie aber lieber für sich behalten. Dieser Anteil war um so höher, je jünger die Befragten waren. Als wesentliche Gründe für diese Zurückhaltung nannten die Befragten den fehlenden Raum für den Wissensaustausch und das Gefühl, nie gefragt worden zu sein.
Wissenstransfer versus Lernen
Wissenstransfer und Lernen sind zentrale Konzepte, die in Unternehmen wie Tools oft miteinander verknüpft werden. Wissenstransfer ist ein Teilbereich des Wissensmanagements und fokussiert sich darauf, Wissen systematisch zu erfassen, zu organisieren, zu speichern und strukturiert weiterzugeben oder auszutauschen, um spezifisches Know-how auf möglichst vielen Ebenen zu bewahren. Die individuelle Verarbeitung und Verinnerlichung dieses Wissens – das Lernen – ist ein eigenständiger Prozess. Er baut auf den transferierten Inhalten auf, geht aber darüber hinaus, indem das Wissen in den eigenen Arbeitskontext integriert und in individuelle Erfahrungen umgewandelt wird. Wissenstransfer-Tools schaffen so die Grundlage für Lernprozesse, die in den Köpfen der Mitarbeitenden verankert werden.
Szenarien für den Wissenstransfer
Die Anwendung von Wissenstransfer-Tools ist besonders in drei Bereichen effektiv: beim Wissenserhalt bei Mitarbeiterwechseln, beim Aufbrechen von Wissenssilos und bei der Sichtbarmachung impliziten Wissens.
Wissenserhalt beim Ausscheiden oder beim Wechsel von Mitarbeitenden, Onboarding neuer Mitarbeitender: Besonders kritisch ist die Sicherung von Wissen, wenn erfahrene Mitarbeitende das Unternehmen verlassen. In der Regel besitzen diese Mitarbeitenden umfangreiches Erfahrungswissen und tiefere Einblicke, die in formellen Prozessen oft nicht dokumentiert sind. Leitfäden zum Wissenstransfer empfehlen an dieser Stelle den Einsatz struktureller Maßnahmen, um Wissen in Transfergesprächen systematisch zu erfassen und an Nachfolger zu übergeben.
Aufbrechen von Wissenssilos: Wissenssilos stellen eine häufige Barriere dar, die den internen Informationsfluss behindert. Ein zentrales, durch Tools unterstütztes Wissensmanagement reduziert solche Barrieren und schafft eine "Single Source of Truth". Laut Umfrage der Harvard Business Review (HBR) stellt Fragmentierung das Hauptproblem im Wissensmanagement dar. 73 Prozent der Unternehmen sind davon betroffen. Eine einheitliche Plattform, die Informationen bündelt, kann die Zusammenarbeit über Abteilungsgrenzen hinweg fördern und dadurch Innovation und Effizienz stärken.
Sichtbarmachung von implizitem Wissen: Implizites Wissen ist in der Regel schwer dokumentierbar und oft nur denjenigen bekannt, die täglich damit arbeiten. Der Wissenstransfer gelingt hier am besten durch direkten Wissensaustausch und die Transkription von Erfahrungsgesprächen. KI-Tools und Plattformen bieten die Möglichkeit, solche Gespräche aufzuzeichnen und durch NLP-Techniken gezielt nach Schlagwörtern oder Themen zu durchsuchen. Die gewonnenen Informationen werden anschließend in Wissensdatenbanken abgelegt und sind somit für zukünftige Mitarbeitende leichter zugänglich.
Großes Potenzial für das Wissensmanagement und den Wissenstransfer wird der KI zugeschrieben. Zwar setzen laut HBR-Umfrage erst drei Prozent KI-Tools dafür effektiv ein, allerdings haben bereits 17 Prozent Pilotprojekte gestartet oder planen diese, und weitere 24 Prozent erwägen dies. 86 Prozent der befragten Unternehmen sind überzeugt, dass KI-Tools den Zugang zu Wissen vereinfachen und die Verteilung im Unternehmen verbessern werden.
Künstliche Intelligenz und Wissenstransfer
Die Zahlen entsprechen den Beobachtungen, denn wie beim digitalen Lernen werben auch immer mehr Anbieter von Wissenstransfer-Tools mit künstlicher Intelligenz. Zu den zentralen Potenzialen gehört die Fähigkeit, große Datenmengen in kürzester Zeit zu analysieren und systematisch aufzubereiten.
Zu den Herausforderungen gehört die Qualität der gewonnenen Inhalte. Sie hängt stark von den zugrunde liegenden Daten und den eingesetzten Algorithmen ab. Verzerrungen oder fehlende Kontextualisierung können zu Missverständnissen oder Wissensverlust führen. Eine regelmäßige Qualitätskontrolle und – manuelle – Überprüfung durch erfahrene Mitarbeitende kann sicherstellen, dass das Wissen korrekt und vollständig erfasst wird. Eine weitere Hürde ist der Datenschutz: Die Erfassung und Verarbeitung persönlicher Daten erfordert nicht nur die Zustimmung der Beteiligten, sondern auch den Einsatz geeigneter Sicherheitsmechanismen. Das kann auch Online-Meetings umfassen, die zwar explizit dem Austausch von Wissen dienen, die aber nicht aufgezeichnet werden.
Wissensmanagement: Vom Unternehmens-Wiki zum KI-Tool
In Wissensmanagement- und Wissenstransfer-Tools soll das Wissen leicht auffindbar und natürlich gut organisiert sein, die Tools sollen einfach zu bedienen, also benutzerfreundlich sein und sich leicht in bestehende Systeme integrieren lassen. Das Onlinelexikon Wikipedia steht womöglich nicht ganz vorne auf der Liste, wenn nach populären Tools für den Wissenstransfer gefragt wird. Unternehmensinterne Wikis können allerdings auch für den Wissenstransfer genutzt werden – etwa wenn das Wiki als zentrale Wissensdatenbank genutzt wird und allen Mitarbeitenden Lese- und Schreibrechte dafür eingeräumt werden.
Zu den Standard-Tools gehören Kollaborations- und Dokumentenmanagementsysteme, die häufig auch als Intranet-Lösung oder Wissensmanagement-Plattform eingesetzt werden. Zu diesen Lösungen gehören beispielsweise Confluence (Atlassion) oder Sharepoint (Microsoft). Ganz auf Wissensmanagement in mittelständischen Unternehmen konzentrieren sich die Onlineplattform Boost HQ oder Matterial. Diese Plattformen ermöglichen es, Arbeitsprozesse, Richtlinien und Schulungsmaterialien zu dokumentieren und zentral verfügbar zu machen. Sie sollen sicherstellen, dass Wissen strukturiert abgelegt und schnell auffindbar ist.
Kollaborations-und Messaging-Plattformen wie Slack (Salesforce) und Microsoft Teams oder Discord (Discord Inc.), Chanty und andere ergänzen die formellen Wissensplattformen durch ihren Fokus auf den informellen Austausch. In Kombination mit integrierbaren KI-Wissens-Bots, die Gespräche durchsuchen, können Informationen zu relevanten Themen schneller bereitgestellt und Konversationen aufgezeichnet werden.
Relativ neu auf dem Markt sind KI-gestützte Lösungen wie sie die Startups Great 2 know GmbH und Platform 3 L GmbH anbieten. Beide Tools nutzen KI in Form von Natural Language Processing, um aufgezeichnete Gespräche und Interviews automatisch zu transkribieren, relevante Inhalte herauszufiltern und daraus Lerninhalte und personalisierte Lernpfade zusammenzustellen. Diese können dann zum Beispiel beim Onboarding von neuen oder beim Debriefing von ausscheidenden Mitarbeitenden genutzt werden.
Kollaborative Arbeitsplattformen wie Trello, Evernote, Teams oder digitale Whiteboards wie Miro und Mural ergänzen das Tool-Portfolio.
Vertrauen als Schlüssel für den Wissenstransfer
Eine zentrale Rolle für einen erfolgreichen Wissenstransfer spielt die Einbindung der Mitarbeitenden. Dabei sind sowohl die Unternehmenskultur, psychologische Aspekte als auch die eingesetzte Technik zu berücksichtigen. Die alte Weisheit "Wissen ist Macht" wird nach wie vor von vielen Mitarbeitenden auch zum Selbstschutz gelebt. In einer Metaanalyse von 104 Studien zum Thema "Wissensverheimlichung" aus dem Jahr 2024 wurden als häufigste Gründe für das aktive Zurückhalten von Wissen genannt, sich von der Organisation betrogen zu fühlen und Angst um den eigenen Arbeitsplatz zu haben. Umgekehrt wirkten sich psychologische Sicherheit, ein ermutigender Führungsstil und ein den Wissensaustausch förderndes Klima positiv aus.
Studien zeigen, dass die Akzeptanz und Motivation zur Nutzung von Wissenstransfer-Tools auch dann steigt, wenn diese benutzerfreundlich gestaltet sind und die Mitarbeitenden den Nutzen für die eigene Arbeit klar erkennen. Die HBR-Umfrage ergab, dass 41 Prozent der Unternehmen Schwierigkeiten bei der Implementierung hatten, weil die Benutzerfreundlichkeit der eingesetzten Tools nicht ausreichend war. Regelmäßige Schulungen und Einweisungen stellen sicher, dass alle Mitarbeitenden das Potenzial der Tools optimal nutzen können.
Wissenstransfer und Lernprozess verbinden
Die Verknüpfung von menschlichem Wissen mit den Möglichkeiten KI-gestützter Tools stellt eine zukunftsweisende Lösung dar. Die Kombination aus strukturiertem Wissenstransfer und individuellen Lernprozessen schafft eine Grundlage für eine nachhaltige Wissenskultur, die Kreativität, Innovation und Agilität fördert. Unternehmen, die Wissen als strategisches Asset erkennen und gezielt nutzbar machen, schaffen damit auch eine wertvolle Basis für die langfristige Mitarbeiterbindung und -zufriedenheit.
Dieser Beitrag ist erschienen in neues lernen, Ausgabe 6/2024, das Fachmagazin für Personalentwicklung. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der App personalmagazin - neues lernen. In der App finden Sie auch die aktuellen News rund um "neues lernen" und den Podcast für die betriebliche Lernszene. Kristina Enderle da Silva und Julia Senner hinterfragen im Podcast "neues lernen" aktuelle Lerntrends, liefern Fakten und geben Einblicke in die Unternehmenspraxis.
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