Learning-Management-Systeme für die digitale Weiterbildung

Es gibt sie immer noch: Learning-Management-Systeme, mit denen sich die (digitale) Weiterbildung im Unternehmen organisieren und rechtssicher abbilden lässt. Aber die modernen Lernsysteme können längst viel mehr und werden mit KI zum effizienten Lernbegleiter im Unternehmen.

Wer sich bei Anbietern von Lernsystemen umhört, stößt immer wieder auf den Namen Netflix. Der Streaming-Dienst wird in zweierlei Hinsicht als Vorbild genannt: Das Design der Benutzer­oberfläche und die KI, die den Abonnenten Vorschläge für weitere Filme macht. Genau so soll modernes digitales Lernen funktionieren. Die Anbieter von Lernsystemen haben sich darauf eingestellt. Ursprünglich für die Verwaltung, Bereitstellung und das Reporting von Lerninhalten konzipiert, sollen die Tools auch einfach zu bedienen sein, alle Medien und Endgeräte integrieren, Schnittstellenmanagement beherrschen, leicht zu administrieren sein und den Datenschutzbestimmungen entsprechen.

Besonderheiten des LMS- und LXP-Markts

Auf der Learntec 2023 Ende Mai in Karlsruhe war es zu beobachten: An fast jedem Stand, bei etablierten Anbietern ebenso wie bei jungen Unternehmen und Startups, waren die Abkürzungen LMS und LXP zu lesen, gelegentlich ergänzt um den Begriff "Skills". Der Markt für Lernsysteme befindet sich zwar seit einiger Zeit in einer Konsolidierungsphase, dies gilt aber vor allem für den internationalen Markt, auch wenn es hierzulande immer mal wieder zu Übernahmen kommt. Einkäufer müssen eine Vielzahl von Anbietern bewerten, die alles daran setzen, nicht vergleichbar zu sein. Das erhöht die Auswahl und die Komplexität des Kaufprozesses. Auf der anderen Seite ist insbesondere der deutschsprachige Markt klein und speziell und stellt vor allem internationale Anbieter vor Herausforderungen. Das liegt zum einen an den geltenden Datenschutzbestimmungen und der betrieblichen Mitbestimmung, zum anderen an der Vielzahl mittelständischer und kleinerer Unternehmen in den unterschiedlichsten Branchen mit ganz unterschiedlichen Bedürfnissen. Dies führt dazu, dass es zwar viele deutschsprachige Anbieter gibt, aber nur wenige davon auf dem internationalen Markt aktiv und bekannt sind. Umgekehrt ist die Zahl der internationalen Lernsystemanbieter auf dem deutschsprachigen Markt überschaubar, und während die Fachwelt bereits über die Einsatzmöglichkeiten von "Large Language Models" wie Chat GPT nachdenkt und damit experimentiert, gibt es noch viele Unternehmen, die sich gerade erst für die Einführung eines Lernsystems entschieden haben. 

Unternehmen aller Größen und Branchen stehen vor ähnlichen Herausforderungen, bei deren Bewältigung ein Lernsystem helfen kann:

  • Digitale Transformation und schneller technologischer Wandel mit daraus resul­tierendem erhöhtem Weiter­bildungs­bedarf, der möglichst direkt am Arbeitsplatz erfüllt werden soll
  • Schulungsbedarf, der sich aus gesetzlichen Anforderungen ergibt
  • Fachkräftemangel, der eine verbesserte interne Förderung (Reskilling und Up­skilling) und Talentmobilität erfordert
  • Schnelles Onboarding, um neue Mitarbeitende schnell produktiv zu machen
  • Zugang zu Lerninhalten über alle möglichen Endgeräte, Stichwort "Responsive Design"

Komplexität steigt mit den Anforderungen

Die bunten Bilder und das Netflix-ähnliche Look-and-feel vieler Lernsysteme sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich dahinter eine recht komplexe Technik verbirgt und nicht jedes System für jede Anforderung geeignet ist. Die Anbieter von LMS und LXP erweitern ständig die Funktionalität und Robustheit ihrer Komponenten. Im Wesentlichen lassen sie sich wie folgt unterscheiden: Learning-Management-Systeme (LMS) unterstützen die Verwaltung und das Management von Lernprogrammen, stellen Lerninhalte bereit, dienen der Verwaltung von Lernressourcen und dem Nachweis gesetzlich vorgeschriebener Schulungen, zum Beispiel zu Compliance, die den Lernenden zugeordnet werden.

Learning Experience Platforms (LXP) unterstützen das selbstgesteuerte Lernen und stellen eine breite Palette von Lerninhalten und Lernaktivitäten zur Verfügung. Lernende erhalten Lernempfehlungen, die auf dem Nutzerverhalten oder dem persönlichen Profil basieren. Viele LMS verfügen mittlerweile auch über LXP-Funktionalitäten, ebenso wie LXP-Anbieter ihre Systeme um LMS-Funktionalitäten ergänzen. Andere Anbieter betrachten beide Systeme nach wie vor getrennt, bündeln sie zu Learning Suites und stellen Schnittstellen für eine reibungslose Integration zur Verfügung, über die dann zum Beispiel auch Skill-Management-Systeme angebunden werden können. Relativ neu sind All-in-One-Systeme, die alle Funktionalitäten und mehr bieten. Aufgrund der hohen Nachfrage während der Coronapandemie wurden in viele Systeme auch Videokonferenz-Tools integriert.

Orientierung an populären Diensten

Eine Institution, die sich seit Jahren wissenschaftlich mit dem E-Learning-Markt in Deutschland beschäftigt, ist das MMB-Institut in Essen. Lutz Goertz, Leiter der MMB-Bildungsforschung, sieht bei den Anforderungen an zukunftsfähige Lernsysteme unter anderem adaptive Lernformate, die das personalisierte Lernen fördern, und Interoperabilität als wichtig an. "Die Gesellschaft wird immer heterogener und das Lernen individualisierter. Außerdem möchte man schnell Dinge lernen, die man gerade benötigt", sagt Goertz und verweist auf die Bedeutung von im Privaten genutzten Plattformen: "Systeme wie Youtube oder Suchmaschinen wie Google zeigen, wie man sich von einem Verzeichnis viele verschiedene Lerninhalte erschließen kann. Diesen Anspruch haben Lernende auch bei Lernangeboten. Sie haben kein Verständnis dafür, von einer Lerninsel zur nächsten zu springen." Niedrigschwelligkeit und hohe Usabil­ity sind Ansprüche, die durch mobile Anwendungen selbstverständlich geworden sind. Goertz ist überzeugt: "Systeme, die noch Bedienoberflächen aus den 2000er-Jahren haben, werden gemieden."

Generative KI-gestützte Sprachmodelle sieht Goertz in Zukunft besonders für die Generierung von Content in Gebrauch. Hierauf könnten auch gute Assistenzfunktionen aufsetzen, zum Beispiel Chatbots, die die Funktion eines "Learning Companion" übernehmen, während "Machine Learning" die Empfehlungen für Content und die Vermittlung von gleichgesinnten Lernpartnern weiter verbessern kann. "Wir müssen schauen, was die großen Anbieter von allgemeinen Funktionen wie Suchmaschinen, Videoplattformen, Streamingdiensten und Dialogsystemen Neues auf den Markt bringen – und was sich davon für das Lernen verwenden lässt", sagt Goertz.

Offene Systemarchitektur für nahtlose Integration

Auch ein Billing-System könnte in Zukunft noch wichtiger werden, etwa weil zunehmend Partner und Kunden mit Lerninhalten versorgt werden sollen. Das lässt sich auch mit einem sogenannten "Headless LMS" lösen. "Headless" steht demnach für eine Integrationsstrategie, bei der ein Frontend über APIs (Schnittstellen) mit Microservices im Backend kommuniziert. "Im Bereich der Learning-Systeme dient eine Headless-Strategie dazu, individuelle Frontend-Bedarfe zu bedienen und auf der anderen Seite offen für Dritt-Datenintegrationen zu sein",  führt Sven Becker, CTO der IMC AG aus Saarbrücken,  aus, deren LMS im internationalen Kontext unter anderem als Beispiel für diese Funktionalität bekannt ist. Becker nennt das Beispiel eines Kunden, der über ein Händlerportal verfügt, über das er vom Verkauf eines Produkts über die Befähigung der externen Vertriebskräfte alles abbilden möchte. "In diesem Fall muss sich ein Learning-Management-System nahtlos in das Partnerportal integrieren lassen – beziehungsweise einen Schritt weiter: Das LMS bestimmt in diesem Fall nicht das Design und die Benutzeroberfläche, diese Themen werden von dem Händlerportal übernommen. Das LMS wiederum liefert die Logiken und das Datenmodell, um das Händlerportal durch Learning-Prozesse anzureichern." Diese Art der Integration ist zum Beispiel auch für die nahtlose Einbindung eines LMS in Tools wie Microsoft Teams geeignet, die dann die Benutzeroberfläche stellen. 

"Low Code" als schneller und vereinfachter Ansatz zur Entwicklung von Anwendungen wie Apps sind zudem ein neuer Trend in der IT, der laut Becker die LMS-Anbieter fordern könnte, ihre Systemarchitektur neu zu denken. "Die Entwicklungszyklen und vor allem die Volatilität in den Trendthemen erlauben nicht mehr, alles selbst zu entwickeln", ist der IMC-CTO überzeugt. Er geht noch einen Schritt weiter: Statt über Lernkonzepte werde man in Zukunft mehr über Informationsflüsse sprechen, um das Lernen am Arbeitsplatz noch stärker in den Kontext der aktuellen Tätigkeit eines Mitarbeitenden zu integrieren. "Man muss es sich so vorstellen, dass verschiedene Systeme miteinander kommunizieren und so das LMS etwa über die Information verfügt, dass sich eine Vertriebsmitarbeiterin gerade im Zug auf dem Weg zum Kunden befindet und das LMS dann spezielle Learnings zu diesem Kunden liefert." Sein Fazit: "Die richtige Information am richtigen Ort zur richtigen Zeit ist immer noch eine der stärksten didaktischen Modelle, die man systemtechnisch unterstützen kann."

Neuer Code für zukünftige Ansprüche

Beim Münchner E-Learning-Anbieter Fischer, Knoblauch & Co. Medienproduktionsgesellschaft mbH, kurz FKC, hat man die Systemarchitektur bereits überdacht und das hauseigene LMS "Nectar" vor rund drei Jahren komplett neu aufgesetzt. Ziel war es dabei, ein System zu schaffen, das nicht nur den Anforderungen und dem Zeitgeist entspricht, sondern auch für den weiteren Ausbau gerüstet ist und sowohl für Lernende als auch für Administratoren benutzerfreundlicher ist. Neben der Benutzeroberfläche im Netflix-Stil wurde daher auf volle Responsivität geachtet. Nicht nur die Nutzerinnen und Nutzer, sondern auch die Administratoren können alle Inhalte und Funktionen mobil von allen möglichen Endgeräten aus abrufen und nutzen. Neben der wichtigen DSGVO-Konformität mit Serverstandorten in Deutschland soll ein spezielles Rollen- und Rechtekonzept für zusätzliche Sicherheit sorgen. Individuelle Lernwege und persönliches Empfehlungsmanagement gehören ebenso zum Standard des Systems wie die Integration multimedialer Lerninhalte in modularen Kursreihen. 

Interoperabilität gewährleistet

Die "Digital Suite" der Haufe Akademie aus Freiburg umfasst als eigenständige, aber bei Bedarf aufeinander abgestimmte Produkte wie das hauseigene LMS und LXP sowie spezifische Lösungspakete, Content und einen mobilen Guide mit Microlearnings zu Future Skills. So könne man optimal auf die unterschiedlichen Bedarfe der Kunden eingehen, sagt Marketingleiterin Susanne Bachmann. Für viele Kunden ist das "Compliance College" der Einstieg, ein Lösungspaket, mit dem wie bei einem großen LMS neben der Bereitstellung der Inhalte auch die Dokumentationspflichten abgedeckt werden können. Geht es um ein Learning Ecosystem, so Bachmann, bildet das LXP den Kern der Lösung und wird um ein LMS für die zu dokumentierenden Schulungen ergänzt. Das LMS ermöglicht dann auch eine bessere Nachvollziehbarkeit der Lernprozesse. Mit den Lösungen reagiert die Haufe Akademie auch auf die Forderung nach Interoperabilität. Kunden können eigene und externe Inhalte sowohl im LMS als auch im LXP nutzen, erläutert Bachmann und nennt als Beispiel Kurse auf Linkedin Learning, die direkt über das LXP angesteuert werden können.

Der Chatbot ist der Star 

Neben der IMC AG und der Haufe Akademie gehört die Time4you GmbH aus Karlsruhe zu den deutschen Lernsystem-Anbietern, die von den Marktanalysten von Fosway im Fosway 9-Grid für Lernsysteme als relevant für den europäischen Markt eingestuft werden. Der IBT-Server wurde in den vergangenen Jahren entlang von Trends wie Benutzerfreundlichkeit, KI, Badges und Leaderboards oder Foren und Learner Communities  weiterentwickelt und um LXP-Funktionalitäten ergänzt. Ganz Linkedin-like können Lernende zum Beispiel auch ihre eigene Seite gestalten und mit Content für ihre  Kollegen und Kolleginnen füllen, um so ein eigenes Netzwerk aufzubauen. Das Thema "Skills" geht Time4you mit einem Kompetenzcheck an, den die Kunden auf Basis von Jobprofilen selbst erstellen können. Highlight ist zudem ein Chatbot, den Kunden als virtuellen Lernbegleiter ihrer Mitarbeitenden einsetzen.

Personalplanung im Fokus 

Eine Sonderstellung nimmt Cornerstone On Demand ein. Das US-Unternehmen gilt als weltgrößter Anbieter im E-Learning-Markt. Zum Portfolio gehören unter anderem die ehemaligen LMS-Anbieter Sumtotal und Saba sowie Edcast als LXP und neu ein KI-gesteuerter Opportunity Marketplace als eine Art Talentmanagement-Plattform, über die Unternehmen die interne Talentmobilität fördern. Cornerstone reagiert damit auf den Fachkräftemangel und die wachsende Bedeutung der internen Talent-Mobility. Die interne Talentbörse gibt einerseits dem Unternehmen einen Überblick über die in der Belegschaft vorhandenen Talente, um diese bei Bedarf für andere Positionen zu rekrutieren. Gleichzeitig erhalten die Talente die Möglichkeit, ihre vorhandenen Kompetenzen mit den Anforderungen abzugleichen, um sich für eine bestimmte Position weiterzuentwickeln. In Kombination mit der Edcast Learning Experience Platform (LXP) soll so ein vollständig vernetztes Lern-Ökosystem entstehen.

Genaue Bedarfsermittlung ist immer nötig

Die Lernsysteme, die wir hier exemplarisch für die angesprochenen Trends vorgestellt haben, stellen einen kleinen, aber bedeutenden Ausschnitt in einer breit gefächerten Branche dar. Die Tücke liegt im Detail und in der Vielfalt der Systeme. Eine genaue Bedarfsermittlung und eine passgenaue Beratung bleiben daher wichtig. Die Auswahl ist so groß wie nie, auch weil Startups und junge Unternehmen den Markt für sich entdeckt haben, die mit frischen Ideen punkten.

Dieser Beitrag ist erschienen in neues lernen, Ausgabe 4/2023, das Fachmagazin für Personalentwicklung. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der App personalmagazin - neues lernen.


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