Change-Schulungen, die wirken


Kolumne Lerntransfer: Change-Schulungen, die wirken

„Die wollen sich nicht verändern.“ Pauschalverurteilungen, wie diese, zeigen den Ärger auf Mitarbeitende, denen es vermeintlich an Veränderungsbereitschaft fehlt und die damit der Stein des Anstoßes im notwendigen Change-Getriebe in Firmen sind. Doch diese Sicht ist verblendet und verhindert wirksame Veränderung, wie Kolumnist Axel Koch aufzeigt.

Ob strukturelle Veränderungen wie der Abbau von Hierarchieebenen, Kultur- und Diversitätsinitiativen oder Kosteneinsparungsprogramme – Dr. Rouven Kanitz, Assistant Professor of Organizational Change an der Erasmus University Rotterdam School of Management, hat bereits zahlreiche Veränderungsprozesse begleitet. Ich habe den Forscher gefragt, wie er an Transformationsprozesse herangeht – und bin dabei auf ungewohnte Einsichten für mehr Wirksamkeit gestoßen, die ich hier gerne teile.

Vier Einflussfaktoren auf Veränderungsbereitschaft

Damit Firmen mit einem Veränderungsprozess die gewünschten Ziele erreichen, ist die aktive Veränderungsbereitschaft der Beschäftigten entscheidend. Viele Learning & Development-Profis kennen jedoch das typische Bild aus Schulungen: eine Wand aus Zynismus und Widerstand, sichtbar in den Mienen der Teilnehmenden – so eisig, dass selbst die Eiskönigin frieren würde.

Doch da fängt schon der Irrtum an. Es mag den Anschein haben, als fehle den Teilnehmenden schlicht die richtige Haltung oder bestimmte Persönlichkeitseigenschaften. Doch die Einflussfaktoren sind weit vielschichtiger, erklärt der Forscher. „Die Reaktion von Mitarbeitenden allein durch ihr Mindset oder ihre Persönlichkeit zu erklären, greift zu kurz.“ Er identifiziert vier Kategorien, die in einem komplexen Zusammenspiel die Veränderungsbereitschaft beeinflussen.

Change-Inhalte: Was wird verändert? Change ist nicht gleich Change – eine effizienzgetriebene Restrukturierung mit Personalabbau löst größere Unsicherheit aus und führt zu anderen Reaktionen als der wachstumsorientierte Aufbau einer neuen digitalen Business Unit. Veränderungsinhalte lassen sich anhand bestimmter Eigenschaften unterscheiden: Wie tiefgreifend oder inkrementell ist eine Veränderung? Ist sie fokussiert oder breit angelegt? Innovations- oder effizienzgetrieben?

Change-Kontext: Welche Faktoren innerhalb und außerhalb der Organisation sind wichtig? Ein interner Aspekt ist die Historie erlebter Veränderungen: Haben die Beschäftigten bereits mehrere Restrukturierungswellen durchlebt? Oder ist eine frühere Veränderung als erfolgreich in ihren Köpfen verankert? Historie beeinflusst, ob Wandel mit Skepsis oder mit Offenheit begegnet wird. Auch externe Faktoren spielen eine Rolle. Beispielsweise kann ein plötzlicher technologischer Wandel den Veränderungsdruck erhöhen und die Akzeptanz unter den Beschäftigten beeinflussen.

Change-Prozess: Wie wird der Change-Prozess gestaltet? Diese Kategorie steht im Fokus der Verantwortlichen, da sie hier Einfluss nehmen können. Dazu gehören Fragen wie: Wann und wie wird kommuniziert? Wer wird in welcher Phase beteiligt? Welche Trainingsangebote unterstützen den Wandel? Ein erfolgreicher Change-Prozess erfordert, das Wollen, Können, Wissen und Dürfen aus Sicht der Mitarbeitenden bestmöglich zu aktivieren, um eine nachhaltige Mobilisierung zu ermöglichen.

Individuelle Charakteristika: Ein weiterer Faktor sind die Charakteristika der Mitarbeitenden. Dazu gehören demografische Merkmale wie Alter, aber auch Persönlichkeitsfaktoren wie Offenheit für Veränderung oder die Identifikation mit der Organisation. Je nach Change Inhalt und Kontext können bestimmte Charakteristika Einfluss haben. Beispielsweise kann eine starke Identifikation mit der bestehenden Kultur dazu führen, dass Mitarbeitende Change skeptisch sehen. In einem Familienunternehmen könnte eine Modernisierungsstrategie, die stark auf Digitalisierung setzt, von langjährigen Beschäftigten als Bedrohung der identifikationsstiftenden Tradition empfunden und daher abgelehnt werden.

„Entscheidungsorientiert“ statt „datengetrieben“

Auf Basis dieses Konzepts entwickeln Kanitz und sein Team gemeinsam mit Organisationen einen situationsspezifischen Change-Analytics-Ansatz, der Veränderungsprozesse durch qualitative und quantitative Befragungen begleitet. Idealerweise werden dabei auch relevante HR- und Geschäftsdaten einbezogen. Der entscheidende Unterschied: Statt einfach „datengetrieben“ zu handeln, steht ein entscheidungsorientierter Ansatz im Fokus. „Es geht nicht darum, möglichst viele Daten zu sammeln, sondern darum, wesentliche Entscheidungen gezielt zu unterstützen.“ Die zentrale Frage lautet: Welche kritischen Entscheidungen müssen wir im Change-Prozess treffen? Und darauf aufbauend: Welches Design und welche Daten benötigen wir, um diese Entscheidungen evidenzbasierter treffen zu können? So entsteht ein strategisch ausgerichteter Lernprozess, der gezielt auf die Herausforderungen eingeht, anstatt sich von verfügbaren Daten leiten zu lassen.

Ausgeklügeltes Design für mehr Wirkung

Ein durchdachtes Forschungsdesign ist entscheidend – und wird dennoch oft vernachlässigt. Statt sich strategisch zu überlegen, wie eine Datenerhebung gestaltet sein sollte, um aussagekräftige (kausale) Rückschlüsse zu ermöglichen, wird häufig zu viel Zeit auf die Auswahl einzelner Fragen verwendet.

Besonders Change-Verantwortliche interessieren sich für Fragen der Wirksamkeit – diese lassen sich jedoch kaum durch einmalige Befragungen beantworten. Stattdessen braucht es einen Ansatz, der auf (quasi-)experimentellen Methoden basiert.

Ein bewährtes Mittel sind Warte- und Vergleichsgruppen: Während einige Bereiche eine Maßnahme direkt erhalten, setzen andere sie erst später um oder starten mit alternativen Maßnahmen. Durch die gezielte Verknüpfung von Maßnahmen und Befragungszeitpunkten lässt sich erkennen, ob vermutete Effekte tatsächlich eintreten. Zum Beispiel: Haben interaktive Schulungen oder eher selbstgesteuerte Lernvideos dazu beigetragen, dass Teilnehmende sich besser auf den Change vorbereitet fühlen?

Bessere Entscheidungen, die auch Personalverantwortliche und Betriebsräte gut finden

 „Wir wollen gemeinsam mit Organisationen auf eine Lernreise gehen, in der beide Seiten profitieren.“ Durch diesen Ansatz unterstützen die Forscher Change-Verantwortliche dabei, fundiertere und bewusstere Entscheidungen zu treffen. So kam zum Beispiel einmal die Erkenntnis, dass das direkte Führungsverhalten der Teamleiter den stärksten Einfluss hätte, aber sehr niedrig ausgeprägt war. Dieser Zusammenhang war aber gar nicht in der Change-Architektur beachtet worden.

Zwar mag dieses Vorgehen auf den ersten Blick aufwendig erscheinen, doch der Forscher betont, dass herkömmliche Methoden oft auch zehntausende Euro kosten und zeitintensiv sind. Zudem entwickeln Organisationen im Rahmen der Zusammenarbeit meist einen Ansatz, den sie langfristig für zukünftige Change-Projekte nutzen können. Seiner Erfahrung nach sehen Betriebsräte ein solches Vorgehen positiv – insbesondere, wenn die Ansätze gemeinsam mit Personalverantwortlichen und Datenschützern entwickelt werden. Sie schätzen, dass „Mitarbeitende auf diese Weise eine Stimme bekommen.“ Natürlich gibt es aber auch Stimmen, die einen solchen Ansatz kritisch hinterfragen.

Fazit: Change kann evidenzbasiert, adaptiv und nachhaltig gestaltet werden

Veränderungsbereitschaft ist vielschichtig – und lässt sich nicht auf eine einfache Formel reduzieren. Ein fundiertes, entscheidungsorientiertes Vorgehen ermöglicht es, Change-Prozesse gezielter zu analysieren und wirksamer zu gestalten, zum Beispiel und auch durch unterstützende Schulungen. Durch durchdachte Designs kann Change nicht nur evidenzbasiert und adaptiv, sondern auch nachhaltiger gestaltet werden.

Wer sich intensiver mit diesen Ansätzen auseinandersetzen möchte, kann sich direkt mit Dr. Rouven Kanitz auf LinkedIn vernetzen.


Prof. Dr. Axel Koch ist promovierter Diplom-Psychologe und arbeitet als Professor für Training und Coaching an der Hochschule für angewandtes Management in Ismaning (bei München). In seiner Forschung befasst sich Koch mit dem Thema Lerntransfer und nachhaltige Veränderung. Er hat über 30 Jahre Erfahrung als Personalentwickler, Trainer und Coach. Er steckt hinter dem Pseudonym "Richard Gris", unter dessen Namen 2008 das Buch "Die Weiterbildungslüge" erschien.