"KI macht nicht unbedingt das Leben leichter, sondern es ist einfach nochmal eine weitere Variante im Methodenrepertoire", meint Gert Schilling, der sowohl vielen L&D-Professionals als auch Trainern und Trainerinnen durch seinen alljährlichen Trainer-Kongress in Berlin bekannt sein dürfte. Der Wahlberliner engagiert sich seit vielen Jahren für die Themen Didaktik und Methodik. Als er mit ChatGPT in Kontakt kam, entstand in seinem Trainerhirn die Idee, diesen KI-Chatbot in die typischen Seminarphasen einzubauen. So auch für die Phase des Transfers. Den Begriff "KI-Methode" nutzt er, wenn bei einer Trainingsmethode auch ChatGPT ein Bestandteil ist. Er sieht es wie ein Puzzleteil.
ChatGPT als Überraschungsgast im Training
"Für mich ist ChatGPT wie ein Überraschungsgast, den ich mir ins Seminar hole. Mit allen Überraschungen, Konsequenzen, Herausforderungen und auch positiven Effekten", erzählt mir der studierte Berufspädagoge mit einem Lächeln. Den Begriff Überraschungsgast hat er gewählt, weil er die Prompts, die es für die KI-Methode braucht, zwar getestet hat, aber es immer noch manchmal Überraschungen geben kann – selbst wenn der Chatbot zu 98 Prozent das ausgibt, was den Teilnehmenden hilft. Vom Grundsatz funktioniert es so, dass der Trainierende einen Prompt für die Teilnehmenden mitbringt, "der dann so funktioniert, dass etwas entsteht, was didaktisch Sinn ergibt". Die Voraussetzung ist, dass zumindest ein paar Teilnehmende einen Laptop oder ein Smartphone mit einem Zugang zu der kostenlosen ChatGPT-Version haben.
Feedback mit KI-Tipps weiterführen
Rund um das Thema Transfer hat er zwei Ideen entwickelt. Die eine Idee lässt sich gut für Seminare nutzen, bei denen die Teilnehmenden Feedback zu ihrem Verhalten bekommen; etwa Rhetorik-, Kommunikations- oder Konflikttrainings. Klassischerweise erhalten Teilnehmende nach einer Übung Tipps, wie sie bestimmte Situationen besser meistern können. Gert Schilling hat dieses gewohnte Vorgehen mit KI gekoppelt: "Ich habe einen Prompt entwickelt, in den man Tipps von anderen Teilnehmenden eingeben kann und die KI sagt zu dem Tipp nochmal etwas – und das ist etwas, was die Teilnehmenden im Seminar machen können oder auch zur Transferunterstützung nach dem Seminar." Als ich das hörte, war ich tatsächlich erst mal skeptisch. Ergibt das wirklich Sinn? Für einen Tipp von einem echten Menschen nochmal einen Tipp vom Chatbot bekommen?
Doch offenbar hat das, was die Maschine auswirft einen gewissen Zauber. Gert Schilling erzählte mir nämlich: "Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Teilnehmenden schon auch neugierig sind, was die KI zu den Tipps sagt, die sie von den anderen Teilnehmenden bekommen haben." Für Gert Schilling ist das der Prototyp einer guten KI-Methode: "Ich finde es schön, wenn ich in so einer Methode eine Mischung aus KI und Mensch-Mensch habe", verriet er mir.
Selbstversuch am Beispiel Kommunikationsseminar
Um mir selbst ein Bild zu machen, habe ich es gleich mal ausprobiert: Der Chatbot begrüßt mich mit den Worten "Sag mir, wenn du so weit bist". Ich versetze mich nun in die Lage eines Teilnehmenden in einem Kommunikationsseminar. Der Chatbot fordert mich nun auf "Bitte konkretisiere die folgenden Tipps für Axel". An dieser Stelle notiere ich als Teilnehmer die Tipps, die ich von den anderen Teilnehmenden im Seminar bekomme. Ich schreibe drei Tipps auf. Einer davon ist: "Nicht so schnell reden". Danach lautet der Prompt:
"1. Nenne zu jedem Tipp ein konkretes Praxisbeispiel. 2. Erläutere das Mindset, das zu jedem Tipp gehört. 3. Wenn passend, ergänze jeden Tipp um ein Dialogbeispiel in wörtlicher Rede. Entweder mit einer anderen Person oder mit der inneren Stimme."
In Windeseile produzierte dann ChatGPT das folgende Ergebnis:
Tipp: Nicht so schnell reden
Praxisbeispiel: Axel hält einen kurzen Projektbericht im Teammeeting. Statt die Fakten in einem Atemzug herunterzurattern, spricht er bewusst etwas langsamer und schaut nach jedem Abschnitt kurz in die Runde, ob alle folgen können.
Mindset: "Mein Ziel ist nicht, alles möglichst schnell loszuwerden, sondern so zu sprechen, dass die anderen mich gut verstehen."
Dialogbeispiel (innere Stimme):
- Axel: "Ich habe so viele Punkte, ich muss mich beeilen."
- Innere Stimme: "Stopp. Dein Tempo entscheidet, ob die anderen dir folgen können. Lieber klar als schnell."
Als ich dieses und noch weitere Outputs gesehen hatte, war ich schon beeindruckt, was herauskam. Es geht schnell und eröffnet nochmal neue Perspektiven und Ideen für die Reflexion und Umsetzung. Als Teilnehmer ist man auch gespannt, was herauskommt. Wenn das zehn Teilnehmende eines Seminars für jeden Einzelnen leisten sollten, würde das ewig dauern. So ist es nur ein Klick.
KI als Sparringspartner nach dem Seminar
Mit Blick auf die Lerntransferförderung lässt sich diese Methode so einsetzen, dass die Teilnehmenden den Prompt als Link an die Hand bekommen und damit zu Hause weiterarbeiten. Die Idee bleibt dieselbe. Feedback einsammeln im echten Leben und die Tipps in ChatGPT eingeben. Mein erster Impuls war die Frage, ob es Teilnehmende im Alltag überhaupt machen. Gert Schilling meinte dazu: "Das Transfer-Dilemma ist ja, die Teilnehmenden zu motivieren, nach dem Seminar noch irgendetwas zu machen. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass sie neugierig sind, was die KI sagt."
Also eine schöne Idee, die Mut macht, weiter in Richtung KI-Methoden zur Lerntransferförderung zu denken. Das Beispiel macht vielleicht dem einen oder anderen Lust, mal selbst Prompts für den Lerntransfer zu entwickeln und sich mehr mit dem Einsatz von Chatbots zu befassen. Mehr zum Thema findet sich auch in Gert Schillings aktuellem Buch "33 KI-Methoden für den Seminareinsatz".
Prof. Dr. Axel Koch ist promovierter Diplom-Psychologe und arbeitet als Professor für Training und Coaching an der Hochschule für angewandtes Management in Ismaning (bei München). In seiner Forschung befasst sich Koch mit dem Thema Lerntransfer und nachhaltige Veränderung. Er hat über 30 Jahre Erfahrung als Personalentwickler, Trainer und Coach. Er steckt hinter dem Pseudonym "Richard Gris", unter dessen Namen 2008 das Buch "Die Weiterbildungslüge" erschien und hat die preisgekrönte "Transferstärke-Methode" entwickelt.