Virtual Reality

Der Lernerfolg wird sichtbar


VR in der Weiterbildung verdient eine zweite Chance

Der große Hype um Virtual Reality ist wohl vorbei. Doch das virtuelle Lernformat hat eine zweite Chance verdient: Die Weiterentwicklungen der vergangenen Jahre machen ihre anfänglichen Schwächen inzwischen wett.

Digitale Trainings sind skalierbar, orts­unab­hängig und kosten­effizient. Doch sie haben auch Neben­wirkungen: ablenkungs­anfällige Teil­nahme, geringer Praxis­bezug und schwacher Transfer in den Arbeits­alltag. Virtual Reality (VR) verspricht, diese Lücke zu schließen – mit Fokus, Interaktion und realitätsnahen Szenarien, ohne die Skalierbarkeit zu verlieren. Da stellt sich die Frage, warum trotzdem noch wenige Unternehmen VR im Alltag nutzen.

In diesem Beitrag bündeln wir unsere Erfahrungen mit VR bei PWC Deutschland: intern im laufenden Betrieb und in der Begleitung von Unternehmen. Es ist kein Leitfaden, sondern ein ehrlicher Praxisbericht mit Learnings, Anekdoten und Ratschlägen. 

Es hat sich viel getan im VR-Bereich: Heute sind Headsets leichter, stand-alone, mit integrierten Sensoren und Kameras; die Bildqualität und das Tracking sind deutlich besser. In unseren rund 2.000 Demos der PWC-eigenen VR-Recruiting-Anwendung (Baujahr 2023) mussten nur etwa zehn Personen die Nutzung wegen Schwindel oder Kopfschmerzen abbrechen. Umgekehrt berichteten viele von Beschwerden bei früheren VR-Erfahrungen, hatten aber mit moderner Hardware und Software keine Probleme. Unser praktischer Rat: Wer Virtual Reality schon einmal ausprobiert hat, sollte der Technologie eine zweite Chance geben. Sie hat einen relevanten Qualitätssprung gemacht.

Kosten und Beschaffung: Hardware ist nicht mehr der Engpass 

Leistungsfähige VR-Headsets sind heute ab rund 300 Euro erhältlich. In der Vergangenheit lagen die Kosten deutlich höher, was ein echtes Skalierungshemmnis darstellte. Für viele Anwendungsfälle braucht es zudem keine Individualentwicklung – heutige VR-Lösungen setzen häufig auf Lizenz- beziehungsweise  SaaS-Modelle und ermöglichen einen günstigen Einstieg. Ein Punkt, der gerne übersehen wird: Product-Life-Cycle. Was passiert mit Geräten bei Defekten, Updates, Nutzerwechsel oder am Lebensende und wo lagern sie?  Wir hatten anfangs keinen etablierten Prozess für diese Geräteklasse. Inzwischen arbeiten wir mit Dienstleistern, die Altgeräte abkaufen oder Tauschgeschäfte ermöglichen. 

Auch Pooling hilft: Oft benötigen nicht viele Mitarbeitende gleichzeitig Headsets; je nach Nutzung und Logistik kann ein Gerät 25 bis 50 Personen abdecken. Selten werden bei uns mehr als 15 bis 30 Headsets zeitgleich eingesetzt. Zur Hardwarewahl: Wir haben primär mit der Meta Quest Pro gearbeitet (etwa wegen Hand- und Eye-Tracking). Aktuell wären die Meta Quest 3 oder vergleichbare Pico-Modelle unsere präferierten Geräte. Die Entscheidung sollte grundsätzlich an Anwendungsfall, Datenschutzvorgaben und Betriebsrealität ausgerichtet werden.

Verantwortlichkeiten und Betrieb: die eigentliche Hürde 

Der Einkauf ist die leichteste Übung. Entscheidend für den Erfolg ist, wer die Geräte operativ und organisatorisch "besitzt". Ohne klare Verantwortlichkeit bleiben Headsets ungenutzt oder verursachen Reibung. Was die Owner-Rolle umfasst:

  • Operatives Device-Management: Lagerung, Laden, Updates, Hygiene, Versandlogistik, Rücklauf, Tracking von Lagerorten
  • Administrative Governance: Einkauf, Regis­trierung, Technology-Risk-Management, Datenschutz- und Compliance-Abstimmungen, Freigabeprozesse
  • Content- und User-Management: Bereit­stellung und Aktualisierung von Inhalten, Benutzerverwaltung, einfache, sichere Zugänge (etwa via Kiosk Mode)
  • Anbahnung und Pflege von Kooperationen und Partnerschaften
  • Enablement-Services: Vorbereitung, Ein­weisung, Begleitung bei Einsätzen, Problem­löser für Fachbereiche


Wir haben zunächst vieles händisch in Excel und mit Stand-alone-Laptops gelöst – für Piloten absolut ausreichende Maßnahmen, solange Disziplin herrscht. Später sind wir auf ein professionelles Device-Management für VR umgestiegen, um Prozesse zu stabilisieren und zu skalieren.

Als Owner für die Technologie sind wir Wegbereiter für PWC: Verständnis aufbauen, Probleme lösen, Ungewissheit und Nervosität mit Souveränität begegnen. Letztendlich geht es darum, nicht nur Vertrauen in die Technologie, sondern auch in den Support aufzubauen. Einen One-Stop-Shop für technische Fragen, benötigte Geräte, fachlichen Support beim Einsatz oder Train-the-Trainer-Formate. Neben der technologischen Kompetenz ist die Ownership-Rolle stark menschlich geprägt: Mitarbeitende mitnehmen, Vorurteile abbauen, Menschen begeistern.

Vom Piloten zum Portfolio: mehrere Anwendungsfälle statt Einzellösung 

Wie bei Laptops oder Smartphones gilt: Ein einzelner Use Case rechtfertigt selten die Anschaffung und den Betrieb. Wir sind 2022 mit Remote-Collaboration gestartet und haben VR Schritt für Schritt erweitert – wie etwa Recruiting, Cyber-Security-Aware­ness, Soft-Skill-Trainings und Simulationen. Eine Zielgruppe skaliert selten über das ganze Unternehmen; die Breite entsteht über mehrere passgenaue Anwendungsfälle. Bevor Sie größer einkaufen oder vollständig implementieren, ist ein User-Acceptance-Test (UAT) zentral. Unser kompaktes Vorgehen:

  • Ziel und Messgrößen definieren: Was soll VR in diesem Schritt erreichen?
  • Klein starten: ein bis drei Geräte,fünf bis zehn Pilot­nutzer, Standardsoftware (Testlizenz)
  • Passende Nutzer auswählen: Relevanz zur Arbeit herstellen, Freiwilligkeit und Sicher­heit betonen
  • Sessions begleiten: Einweisung, Unter­stützung, strukturiertes Feedback
  • Entscheidung treffen: stoppen, iterieren oder skalieren – und Inhalte/Prozesse ent­sprechend anpassen

Ein wichtiger Aspekt: Die Technologie muss zur Nutzergruppe passen. Einen Designer überzeugt nicht zwingend unsere Recruiting-Anwendung, und umgekehrt. Die Bereitschaft steigt, wenn die Erfahrung positiv ist und sich klar mit der eigenen Arbeit verknüpfen lässt.

PWC Deutschland hat mit dem Immersive Lab im Experience Center Frankfurt einen Ort geschaffen, an dem immersive Technologien wie VR ausprobiert werden  können. Besucher kommen oft aus Neugier wegen des futuristischen Aufbaus, gehen aber mit einer prägenden Erfahrung und konkreten Erkenntnissen zur Nutzbarkeit der Technologie.

Datenschutz, Betriebsrat und Compliance: früh, transparent, anfassbar 

Wie bei jeder neuen Technologie ist die Zusammenarbeit mit Datenschutz, Betriebsrat und Compliance entscheidend. Unser Learning: frühzeitig einbinden, gemeinsam ausprobierbar machen und konkrete Anwendungsfälle besprechen. Das erhöht das Verständnis,  schafft Vertrauen und verhindert (berechtigte) kritische Nachfragen, wenn Teams sich übergangen fühlen. Praktische Maßnahmen bei uns:

  • Einwilligung: vor Nutzung durch einen klaren Disclaimer, der vor dem Immersive Lab steht; Aufklärung im Kiosk Mode oder durch das Set-up in der Brille.
  • Autarke Geräte: Für den Start mit VR eignen sich Stand-alone-Headsets und ein bewusst schlanker Betrieb ohne vollständige Systemintegration. Der Scope ändert sich erfahrungsgemäß im oder nach dem Piloten – erst nach der Reife lohnt die Integration.
  • Kontinuität: Eine klar benannte Owner-Rolle pflegt den Dialog mit Datenschutz/BR/Compliance, bereitet Unterlagen vor und aktualisiert Prozesse. 

Lohnt sich VR? Ja – wenn die Ziele klar sind und der Betrieb funktioniert 

Viele Unternehmen haben während des Metaverse-Hypes Geräte beschafft, die heute in Schränken liegen. Ohne klares Ziel und reibungsarmen Betrieb kippt das subjektive Kosten-Nutzen-Verhältnis schnell ins Negative. Unsere Erfahrungen:

  • Zielklarheit: Ist das Ziel Personal­marke­ting, Lerntransfer, Sicherheits­ver­halten? Daran richtet sich die Produktauswahl, das Inhalts­design und die Erfolgsmessung aus.
  • Enablement statt Hürden: Fachbereiche möchten VR nutzen, nicht Technologie-prozesse organisieren. Die Owner-Funktion absorbiert Reibung und übernimmt das fachliche Sparring: Was geht? Wie? Mit welchen Prozessen?
  • Breite statt Monokultur: Mehrere Anwen­dungs­fälle sorgen für Auslastung, Legiti­mation und Akzeptanz – und recht­fertigen die Infrastruktur.
  • Realistische Erwartungen: Nicht jedes Thema ist ein VR-Thema. Reine Faktenvermittlung, kurze Inhalte oder fehlende Räume oder Time Slots sind schlechte Voraussetzungen. VR lohnt dort, wo Interaktion, Sicherheit und Praxisnähe den Unterschied machen.

Bei PWC Deutschland haben sich zwei Anwendungsfälle etabliert:

Personalmarketing
Um bei Studierenden als Arbeitgeber erlebbar zu werden, nutzen wir seit etwa zwei Jahren eine eigene, individualisierte VR-Anwendung. In dieser können Interessenten an vier interaktiven Stationen PWC auf der virtuellen Dachterrasse unseres Frankfurter Offices kennenlernen und sich informieren. Genutzt wird die Anwendung primär auf Messen und Recruiting-Events. Die Technologie dient  als Pull-Faktor, um Personen für den Messestand zu begeistern, die spezifischen Inhalte in der Anwendung vermitteln einen Mehrwert für Nutzer. Die Nutzung erfolgt mit Hand-Tracking (Controller haben sich bei vielen Anwendungen als Hürde dargestellt) und ist lokal auf den Geräten installiert. Letzteres war vor allem für die erstmalige Nutzung relevant, da es die IT- und Compliance-Komplexität stark reduziert. Ein weiteres wichtiges Designkriterium für die Anwendung ist, dass sie ohne Internet funktioniert. Ein Durchlauf der Anwendung dauert circa 10 Minuten.

Die Fachbereiche erhalten vorbereitete Geräte (geladen, mit korrektem Content und Reinigungssets) und können diese direkt zu Messen mitnehmen. Die Geräte sind so konfiguriert, dass sie nach Start innerhalb weniger Sekunden einsatzbereit sind. 

Learning & Development
In L&D nutzen wir VR mit zwei unterschiedlichen Schwerpunkten: Soft-Skill-Training mit KI-Avataren und ein Cyber-Security- Game. Wir haben festgestellt, dass sich Gesprächssituationen und Soft-Skill-Trainings im E-Learning nicht immer effektiv umsetzen lassen. Das eigene Formulieren von Fragen und Antworten sowie die authentische, individuelle Kommunikation stellt hier Hürden für Standardlösungen dar. Rollenspiele stoßen auf begrenzte Akzeptanz und sind kostenintensiv.

Für Soft-Skill-Trainings nutzen wir daher (ergänzend zu etablierten Lernlösungen) eine Standardsoftware unseres Kooperationspartners 3spin Learning. In einer Web-Anwendung lassen sich individuelle Lernszenarien mit KI-Avataren ohne Programmierkenntnisse umsetzen. Im Kundenkontext nutzen wir diese, um die Durchführung von forensischen Interviews mit praxisnahen Szenarien und Charakteren zu trainieren – in einer Art virtuellem Rollenspiel. Auch das Führen von Feedbackgesprächen oder der Verkauf/Beratung zu komplexeren Produkten wie einer Berufsunfähigkeitsversicherung lassen sich mit der Software gut trainieren. Wir nutzen dabei weniger standardisierte Inhalte, sondern erstellen eigene Trainings, um  die Fach- und Industrieexpertise von PWC einfließen zu lassen. Im internen Kontext nutzen wir die Software, um Mitarbeitende auf Pitches und Rückfragen vorzubereiten. 

Cyber-Security-Trainings leiden oft darunter, dass Nutzer aus der Opferrolle heraus agieren. Das Training ist also erfolgreich absolviert, wenn am Ende kein Schaden eintritt. Aus unserer Perspektive steigert es die Motivation, wenn der Nutzer etwas erreichen kann und eine aktive Rolle im Training einnimmt. Das Cyber-Security-Game versetzt den Nutzer in die Perspektive eines Hackers. Es müssen selbst Phishing Angriffe durchgeführt, Accounts gehackt und Malware versendet werden. Der Perspektivwechsel sorgt für eine stärkere Motivation und Kurzweiligkeit des Trainings. In etwa 15 Minuten lernt der Nutzer die Methoden von Cyber-Kriminellen und versteht, welche Abwehrmechanismen es dem Hacker schwierig machen, erfolgreich zu sein.

So haben wir VR in den produktiven Einsatz gebracht 

Unsere wichtigsten Grundsätze:

Problem klären: Welches konkrete Problem löst VR?
Unser erster Anwendungsfall war VR Remote Collaboration während/nach der Coronapandemie. Dieses hat sich dann weiterentwickelt zum Fokus auf Recruiting/Employer Branding am Messestand, um PWC als Arbeitgeber erlebbar zu machen sowie immersive Lernszenarien, um Lerninhalte realistischer zu trainieren.

Erlebbar machen: Demos und Sparring anbieten 
Jeder Mitarbeitende hat die Möglichkeit, VR-Hardware im  Immersive Lab  auszuprobieren oder sich Geräte für die Evaluation für den Kundeneinsatz zusenden zu lassen. Dabei bietet das Immersive Tech-Team auch fachliches Sparring an.

Klein starten, sauber messen
Wir haben mit drei Headsets begonnen und schrittweise auf 15, 30 und 50 Geräte erhöht. Ziel war die Durchführung von VR-Workshops in der EMEA-Region mit zehn bis 20 zeitgleichen Nutzern. Die Hochphase war während des Metaverse Hypes mit Standardsoftware für Remote Collaboration. Aktuell nutzen mehrere interne Teams von PWC die Geräte für oben genannte Anwendungsfälle.

Ownership etablieren
Ein bis zwei Verantwortliche des Immersive Tech-Teams orchestrieren Technologie, Prozesse und Stakeholder (Datenschutz/BR/IT/Fachteams) und bieten Enablement-Services. Sie befähigen Teams, sich auf den fachlichen Einsatz zu fokussieren und eliminieren alle Hindernisse dafür. Sie sind zentraler Ansprechpartner für Fragen zur Technologie, fachlichen Cases sowie operativem Support beim Einsatz.

Dieser Beitrag ist erschienen in neues lernen, Ausgabe 6/2025, das Fachmagazin für Personalentwicklung. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der App Personalmagazin - neues lernen.


Weitere Artikel aus neues lernen zum Thema jetzt lesen:

Überblick: Lehr- und Lernmedien heute. Für digitales Lernen steht eine breite Palette an Formaten zur Verfügung. Doch damit gute Lösungen kein Flop werden, müssen viele Faktoren zusammenpassen.

Immer schön flexibel bleiben. Skillmanagement ist ein strategisches Instrument, um Unternehmen zukunftsfähig aufzustellen. Welche Fehler es dabei zu vermeiden gilt.

Kleiner Kaffee, große Wirkung: Serie zu Tools, die die Transferleistung nach einer Weiterbildung steigern. Dieses Mal: Der 1-Euro-Kaffee als Einstieg ins Entsendegespräch.


Schlagworte zum Thema:  Digitalisierung , Weiterbildung
0 Kommentare
Das Eingabefeld enthält noch keinen Text oder nicht erlaubte Sonderzeichen. Bitte überprüfen Sie Ihre Eingabe, um den Kommentar veröffentlichen zu können.
Noch keine Kommentare - teilen Sie Ihre Sicht und starten Sie die Diskussion