Lernangebote auf Tiktok für Jüngere und Deskless Worker

Wie lassen sich junge Menschen in den Betrieben mit Aus- und Weiterbildungsangeboten erreichen, sodass sie beispielsweise eine Berufsausbildung beenden? Diese Frage stellt sich trotz vieler digitaler Lernangebote angesichts einer steigenden Zahl an Azubis, die ihre Ausbildung abbrechen. Womöglich ist Lernen nach Art von Tiktok eine Lösung, meint unsere Kolumnistin Gudrun Porath.

2,52 Millionen junge Menschen im Alter von 20 bis 34 Jahre waren 2021 ohne Berufsausbildung (Quelle: BIBB), gehören also zu den sogenannten "Ungelernten". Von denjenigen, die nicht in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, ist es knapp ein Fünftel. Bildung auf klassischem Wege, gerne auch mit digitalen Lernangeboten, erreicht sie offensichtlich nicht.

Tiktok als Medium der Stunde

Dabei ist es ja nicht so, dass all diese so dringend benötigten jungen Menschen nichts wissen wollen und sich nicht weiterbilden. Die überwiegende Mehrheit weiß zum Beispiel ganz genau, wie man ein Smartphone benutzt, um mit den Freunden und Vorbildern zu kommunizieren. Sie benutzen dafür - tut mir leid, wenn Sie aus dem Alter raus sind und noch drin sind - nicht Facebook. Tiktok ist das Medium der Stunde, mit dem sehr viele Menschen privat täglich mehr Zeit verbringen, als sie das jemals freiwillig in Schule oder Seminar tun würden. Sie haben zwar im formalen Sinne einen geringen Bildungsstand, wissen aber sehr genau, wie ein Tiktok-Video funktioniert und was es ausmacht. Warum Tiktok also nicht für das Lernen in der betrieblichen Aus- und Weiterbildung nutzen?

Das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden

Die Idee hinter "Tiktok for Learning" ist einfach und keineswegs neu, nur etwas in den Hintergrund gerückt, bis jetzt das britische Startup EduMe eine "Tiktok for Learning"- Plattform übernommen hat. Inhalte, die Spaß machen und gleichzeitig lehrreich sind, können einen nachhaltigen Lerneffekt erzielen. Das Prinzip des "Edutainment" - also die Verbindung von Bildung und Unterhaltung - kommt gerade bei jungen Menschen gut an und fördert die Motivation, Neues zu lernen. Kurze Videoformate ermöglichen eine schnelle Informationsaufnahme, was vor allem für diejenigen von Vorteil ist, die wenig Zeit haben oder sich nur schwer auf längere Lerneinheiten konzentrieren können.

EduMe hat sich auf Lernangebote für Deskless Worker spezialisiert. 80 Prozent der Beschäftigten weltweit arbeiten "deskless", also ohne eigenen Schreibtisch. Dazu gehören Beschäftigte im Handel, aber auch in der Logistik oder Produktion. Fast alle haben ein Smartphone. Warum es nicht zum Lernen nutzen? In einem Geschäft mit der EduMe-Plattform funktioniert das zum Beispiel so: Der Arbeitgeber platziert QR-Codes an gut zugänglichen Stellen mit Produkten, zu denen die Kundinnen und Kunden einen hohen Informationsbedarf haben. Über diese QR-Codes können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Bedarf Informationen abrufen, die im Tiktok-Format als kurze Videosequenz zu standardisierten Schulungen aufbereitet wurden.

Ausbildungsinhalte müssen zugänglicher gemacht werden

Zwei Fragen stellen sich: Wie effektiv ist "Tiktok for Learning", die Plattform oder die Art der kurzen Videos, die dort eingesetzt werden? Brauchen wir das wirklich, wo wir doch in den Unternehmen bereits eine zum Teil gut ausgebaute digitale Lerninfrastruktur haben?

Die Antwort auf die Frage eins liefern mittlerweile Studien wie zum Beispiel die von Aimee Jacobs und Yu-Chun Pan. Sie wollten herausfinden, ob Tiktok mehr kann, als das Engagement der Lernenden zu steigern, und ob es sich auch positiv auf die tatsächliche Leistung der Lernenden durch formale Benotung auswirkt. Die Ergebnisse eines kontrollierten Experiments deuten darauf hin, dass Tiktok einen positiven Einfluss auf die Leistung und das selbst wahrgenommene Engagement der Lernenden hat.

Die Antwort auf die Frage zwei "Brauchen wir das wirklich auch bei uns?" ist aus meiner Sicht ein klares "Ja". Vielleicht nicht unbedingt Tiktok selbst, aber auf jeden Fall eine Plattform dieser Art, die ebenso leicht zugänglich ist. Das zeigen die Zahlen derer, die wir mit klassischer Aus- und Weiterbildung eben nicht erreichen, die wir aber als Fachkräfte dringend brauchen. Lassen Sie uns dorthin gehen, wo sie sind, oder digitales Lernen wenigstens so anbieten, dass es bei dieser Zielgruppe ankommt. Es gibt keinen anderen Weg.


Über die Kolumnistin: Gudrun Porath ist freie Journalistin. Sie beobachtet unter anderem für das Haufe Personal-Portal und die Zeitschrift "personalmagazin - neues lernen" die Trends auf dem E-Learning-Markt.