Girls' Day? Nein Danke!

Immer wieder wird kritisiert, dass es an der Berufsorientierung mangelt. Doch auch die bestehenden Angebote kommen bei den jungen Leuten nicht immer gut an. Außerdem beklagen sie Lücken beim Onboarding. Die Studie Azubi-Recruiting Trends 2023 zeigt, wo Wunsch und Wirklichkeit auseinanderklaffen.

Die Mehrheit der jungen Leute sucht sich ihren Ausbildungsplatz aus: Über die Hälfte (52 Prozent) der Azubis hat zwei oder mehrere Ausbildungsangebote erhalten, ermittelte die Studie Azubi-Recruiting Trends 2023 von U-Form Testsysteme. Gleichzeitig bleiben immer mehr Lehrstellen unbesetzt. Laut Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der DIHK, liege ein Grund in der zunehmenden Verunsicherung bei der Berufswahl durch eine mangelnde Berufsorientierung.

Angehende Azubis halten Girls' Day und Boys' Day für überflüssig

Gerade die etablierten Orientierungsangebote kommen bei den (angehenden) Auszubildenden derzeit nicht gut an. Als Antwort auf die Frage, welche Angebote sie für besonders verzichtbar halten, nannten die meisten den Girls' Day beziehungsweise Boys' Day. Der Girls' Day ist ein einmal im Jahr stattfindender Aktionstag, der Mädchen motivieren soll, technische und naturwissenschaftliche Berufe zu ergreifen. Umgekehrt ist der Boys' Day ein Aktionstag, an dem Jungen Berufe kennenlernen können, in denen überwiegend Frauen arbeiten.

Insgesamt 54 Prozent der Befragten würden diesen Aktionstag am liebsten abschaffen. Allerdings gibt es hier deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Während knapp 61 Prozent der männlichen Befragten den Aktionstag für überflüssig halten, sind es bei den weiblichen Azubis gut 46 Prozent. Doch auch unter den weiblichen Azubis landet der Girls' Day ganz oben auf der Streichliste, kurz vor der Schülerfirma, die bei Mädchen deutlich unbeliebter ist als bei Jungs.

Die meisten Angebote zur Berufsorientierung sind wenig beliebt

Auf Platz zwei der unbeliebten Angebote zur Berufsorientierung liegt die Schülerfirma mit insgesamt 42 Prozent aller Nennungen, gefolgt von einer Potenzialanalyse der Bundesagentur für Arbeit (39 Prozent). Der berüchtigte Besuch im Berufsinformationszentrum (BIZ) der Bundesagentur für Arbeit liegt mit 34 Prozent Ablehnung auf Platz vier und die Berufsberatung der Bundesagentur für Arbeit mit knapp 24 Prozent auf Platz fünf der Unbeliebtheits-Skala. Auf Platz sechs folgt der Berufsfelderkundungstag (21 Prozent).

Berufsmessen sind hilfreich, wenn andere Azubis vor Ort sind

Eine Berufsmesse wird nur von wenigen Azubis (zehn Prozent) als verzichtbar für die Berufsorientierung angesehen. 58 Prozent der Azubis haben schon einmal an einer solchen Messe teilgenommen. Aber nicht immer passen die Angebote der Ausbildungsunternehmen, die sich dort vorstellen, zu den Wünschen der Azubi-Bewerberinnen und -Bewerber. Diese äußerten in der Umfrage vor allem den Wunsch, dort mit Azubis aus den Unternehmen zu sprechen. Allerdings hatte nicht einmal die Hälfte der Azubis "häufig" oder "sehr häufig" die Gelegenheit dazu, bei solchen Messen tatsächlich mit Azubis zu sprechen.

Die Angebote zur Berufsorientierung, die bei den befragten Jugendlichen am besten ankamen, sind Betriebsbesichtigungen (knapp zehn Prozent Ablehnung) und Schülerpraktika (acht Prozent Ablehnung).

Riesige Lücken beim Azubi-Onboarding

59 Prozent der Azubis finden es wichtig, in der Phase zwischen der Zusage für einen Ausbildungsplatz und dem Antritt der Ausbildung Kontakt zum Unternehmen zu halten. Hier scheint sich zu bestätigen, dass die Generation Z gern an die Hand genommen wird. Aber zwischen den Betreuungswünschen der Azubis in der Pre-Boarding-Phase und der Realität in den Ausbildungsbetrieben tut sich eine riesige Lücke auf:

Maßnahme im Pre-Boarding

Wichtigkeit aus Sicht der Azubis

Maßnahme in der Praxis umgesetzt

Ablaufplan für den ersten Arbeitstag

92 %

62 %

Bereitstellung von Infos zur Berufsschule

88 %

40 %

Azubi-Start-Paket mit Infos

85 %

48 %

Hilfe bei Fragen zu Krankenkasse, Versicherungen

75 %

25 %

Zuweisung eines Paten/einer Patin

71 %

26 %

Zugang zu einer E-Learning-Plattform

69 %

9 %

Einladung zur (Online-)Veranstaltungen

67 %

34 %

Einladung in eine Azubi-Whatsapp-Gruppe

58 %

22 %

Willkommensnachricht nach Vertragsunterzeichnung

53 %

45 %


Die Ergebnisse zeigen, dass schon Kleinigkeiten einen Unterschied machen können, um am ersten Arbeitstag motivierte Auzbis begrüßen zu können: Nur ein Viertel der Befragungsteilnehmer und -teilnehmerinnen wird von ihrem Ausbildungsbetrieb mit Informationen zur Krankenkasse und Versicherungen unterstützt oder bekommt einen Paten oder eine Patin für Fragen zur Seite gestellt. Nicht einmal jeder zehnte Azubi erhält Zugang zu einer E-Learning-Plattform.

Zufriedene Azubis – je nach Branche

Branchenübergreifend ist eine Mehrheit der Azubis mit ihrer Ausbildung zufrieden (56 Prozent), wobei die Ausbildungszufriedenheit stark mit der allgemeinen Lebenszufriedenheit korreliert. Die Studie hat aber deutliche Unterschiede zwischen den Branchen ermittelt: Am zufriedensten sind Azubis in Versicherungen (64 Prozent), im Maschinenbau/in der Industrie (64 Prozent) und bei Banken (58 Prozent). Im Handwerk (48 Prozent), im Bereich Automotive (46 Prozent) und vor allem in der Chemie (42 Prozent) ist die Zufriedenheit am geringsten.

Was Auszubildenden wichtig ist: Spaß und Kompetenz

"Eine Ausbildung, die Spaß macht", wünschen sich fast alle Azubis (94 Prozent). Nur ein Kriterium ist ihnen noch wichtiger: fachkompetente Ausbilderinnen und Ausbilder (95 Prozent). Auch ein gutes Verhältnis zu den Ausbilderinnen und Ausbildern, die Anerkennung und Wertschätzung der eigenen Arbeit, gute Arbeitsmarktchancen im gelernten Beruf und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Beruf und Privatleben stehen weit vorn bei den "sehr wichtigen" und "eher wichtigen" Kriterien einer Berufsausbildung.

Auf den weiteren Plätzen folgen Kriterien, die vor allem eine Bedeutung für die Zukunft haben: Aufstiegschancen nach der Ausbildung, Fortbildungsmöglichkeiten nach der Ausbildung, Arbeitsplatzsicherheit nach der Ausbildung und Übernahmechancen im Ausbildungsbetrieb.

Nur drei der 23 Kriterien, die für die Studie abgefragt wurden, kamen bei der Mehrheit der Befragten nicht richtig an: Die Größe des Ausbildungsbetriebs (23 Prozent), das Image des Betriebs (34 Prozent) und sein soziales und ökologisches Engagement (47 Prozent). Vielleicht ist die Generation Z weniger sozial und ökologisch orientiert als ihr Ruf.

Arbeitszeiten: nicht ohne mein Wochenende!

Auf eine Arbeitsstunde mehr oder weniger pro Woche kommt es den Azubis offenbar nicht an. Eine geringe Arbeitszeit von beispielsweise 35 statt 39 Stunden halten nur 45 Prozent der Befragten für "sehr wichtig" oder "eher wichtig". Beim Wochenende lassen nur wenige Azubis mit sich reden: 85 Prozent wollen freie Wochenenden und Feiertage. 77 Prozent wünschen sich flexible Arbeitszeiten und 68 Prozent möchten lange Anfahrten zur Arbeit vermeiden. Keine Schichtarbeit wünschen sich 60 Prozent der Befragten und 57 Prozent möchten gern im Homeoffice arbeiten. 58 Prozent möchten während der Arbeitszeit für die Berufsschule lernen. Aber gegen Überstunden sprechen sich nur 19 Prozent der Befragten aus.

An der doppelperspektiven Befragung unter wissenschaftlicher Begleitung von Professor Christoph Beck von der Hochschule Koblenz hatten zwischen Dezember 2022 und März 2023 4.284 Schüler, Schülerinnen und Azubis teilgenommen sowie 1.639 Ausbildungsverantwortliche.


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