Die Situation am Ausbildungsmarkt in Deutschland

Nach dem historischen Tief auf dem Ausbildungsmarkt im Coronajahr 2020 ist die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge 2021 und 2022 zwar wieder leicht gestiegen. Dennoch liegt das Niveau deutlich unter dem von 2019. Auch die Zahl der Unternehmen, die ihre Ausbildungsplätze nicht besetzen können, nimmt immer weiter zu. Was die Gründe dafür sind und was Unternehmen tun können.

Der Arbeitsmarkt und damit mittelbar auch das Ausbildungssystem stehen vor großen strukturellen Herausforderungen. Diese Herausforderungen ergeben sich zum einen aus den großen übergeordneten Trends Digitalisierung, Dekarbonisierung und Demografie. Hinzu kommen aktuelle Ereignisse wie die Nachwirkungen der Corona-Pandemie und sowie die wirtschaftlichen Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine.

Ausbildungsmarkt: Die Ausbildungssituation in Deutschland

Eine besondere Herausforderung für den Ausbildungsmarkt im Jahr 2022 war die Ausbildungsnachfrage junger Menschen. Die Nachfrage ist im Vergleich zum Vorjahr weiter gesunken, wohingegen das Ausbildungsangebot weiter gewachsen ist. Aus Sicht der Jugendlichen hat sich die Marktlage demnach weiter verbessert. So liegt der Anteil unbesetzter Stellen am Gesamtangebot der Betriebe erstmals seit Erfassung über dem Anteil der noch suchenden Ausbildungsstellenbewerberinnen und -bewerber an der Gesamtnachfrage. Betriebe sehen sich folglich mit immer größeren Schwierigkeiten bei der Besetzung ihrer Ausbildungsstellen konfrontiert. 

Abgeschlossene Ausbildungsverträge: Weniger als vor der Coronakrise

 2022 ist die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge im dualen System im Vergleich zum Vorjahr nur minimal gestiegen - auf 475.100 (plus 0,4 Prozent), im Vergleich zum Ausbildungsniveau vor der Pandemie gibt es immer noch noch einen deutlichen Abstand (minus 9,5 Prozent im Vergleich zu 2019). Das zeigt der  aktuelle Berufsbildungsbericht, der die Situation des vergangenen Ausbildungsjahrs 2022/23 abbildet und auf Daten des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) beruht.

Die Zahl der Ausbildungsplatzangebote stieg im vergangenen Jahr um 7.800 auf 544.000 Stellen (plus 1,4 Prozent). Bis Ende September 2022 wurden 475.100 Verträge neu abgeschlossen – 2.000 mehr als im Vorjahr (plus 0,4 Prozent). Die Ausbildungsnachfrage sank um 1 Prozent auf 535.544.

Unbesetzte Ausbildungsplätze: Passungsprobleme nehmen zu

Bei  der Zusammenführung von Angebot und Nachfrage zeigt sich, dass 2022 der Anteil der unbesetzten Stellen am betrieblichen Angebot weiter gestiegen sind, wohingegen der Anteil noch suchender Bewerberinnen und Bewerber gesunken ist: Die Zahl der unbesetzten Stellen stieg um 9 Prozent auf 68.900 (Vorjahr: 63.200), die Zahl der unversorgten Bewerber sank um 7,8 Prozent auf 22.700 (Vorjahr: 24.600).

In Bezug auf die Schwierigkeiten bei der Zusammenführung von offenen Ausbildungsstellen und unversorgten Bewerbern sind auch die Ergebnisse der aktuellen Ausbildungsumfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) interessant:

  • 42 Prozent aller IHK-Ausbildungsbetriebe konnten im vergangenen Jahr nicht alle angebotenen Ausbildungsplätze besetzen – ein Anstieg um 10 Prozentpunkte gegenüber dem letzten Befragungszeitpunkt.
  • Von diesen 42 Prozent, die nicht alle Ausbildungsplätze vergeben konnten, haben 36 Prozent keine einzige Bewerbung erhalten; dies bedeutet einen Anstieg auf 27.000 Ausbildungsbetriebe, die keine einzige Bewerbung erhielten.
  • Die Betriebe, die immerhin noch Bewerbungen erhalten, aber ihren Platz dennoch nicht besetzen konnten, haben die Bewerbungen zu einem Großteil als nicht passend (67 Prozent) eingeschätzt.

Gründe für unbesetzte Ausbildungsplätze

Laut der Studie "Azubi-Recruiting-Trends 2023" macht fast die Hälfte der Azubis (49,6 Prozent) und Ausbildungsverantwortlichen (45,3 Prozent) die fehlende Berufsorientierung in Schulen als Ursache für unbesetzte Ausbildungsstellen und unversorgte Bewerber aus. Ein Grund für die berufliche Desorientierung möglicher Azubi-Bewerbender ist die stetig steigende Zahl der Ausbildungsberufe. Aktuell sind es schon 324. Während der Coronapandemie hat die Berufsorientierung zusätzlich gelitten, weil entsprechende Präsenzangebote weggefallen sind. Ein weiterer Grund ist die mangelnde Berufsorientierung an Schulen: Laut dem DGB-Ausbildungsreport 2022 sagen knapp drei Viertel der Auszubildenden, dass ihnen die Angebote der Berufsorientierung an allgemeinbildenden Schulen weniger oder gar nicht geholfen haben.

Schulmarketing und Berufsorientierung: Wie Unternehmen selbst aktiv werden können

Unternehmen sollten also auch in Sachen Berufsorientierung selbst aktiv werden und Angebote zur Berufsorientierung in ihr Ausbildungsmarketing integrieren. Viele Unternehmen setzen beispielsweise auf Schulmarketing. Hierunter fallen per Definition einerseits klassische Werbemittel im Schulumfeld – beispielsweise Plakate oder gebrandete College-Blöcke, Schulmäppchen und Stundenpläne, aber auch ausbildungsrelevante Unterrichtsmaterialen für Lehrer. Auch Informationsveranstaltungen sind Teil des Schulmarketings. Solche Orientierungsangebote in Zusammenarbeit mit Schulen bietet inzwischen die Mehrheit der ausbildenden Unternehmen an. Auch die Teilnahme an Aktionstagen, wie dem Girls‘ und Boys‘ Day sind eine Möglichkeit, junge Menschen im Dschungel der Ausbildungsangebote Orientierung zu bieten und den für sie passenden Beruf zu entdecken. Oft gibt es auch lokale Initiativen zur Berufsorientierung, an denen sich Unternehmen beteiligen können – Beispiele hierfür finden Sie im Beitrag "Schnitzeljagd im Jobwald".

Auszubildende: Digitale Recruiting-Prozesse sind Pflicht

Auch Fehler im Recruiting-Prozess können die Ursache dafür sein, dass Unternehmen ihre Ausbildungsplätze nicht besetzen können. So gaben beispielsweise 30 Prozent der für den Azubi-Report 2022 des Informationsportals Ausbildung.de befragten Auszubildenden an, schon einmal eine Bewerbung abgebrochen zu haben, weil das Bewerbermanagementsystem zu kompliziert war oder die Unterlagen nicht hochgeladen werden konnten. Die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler (55 Prozent) nutzt vorwiegend oder ausschließlich das Smartphone, für 15 Prozent ist es sogar das einzige Endgerät, das ihnen zur Verfügung steht. Eine nicht mobiloptimierte Karriereseite kann daher für diese Zielgruppe eine unüberwindbare Hürde darstellen.

Azubis finden: Schnell sein lohnt sich

Doch auch jenseits der Technik sollten Unternehmen ihre Recruiting-Prozesse hinterfragen. Manche sind einfach nicht schnell genug. Wer meint, auf perfekte Kandidatinnen und Kandidaten warten zu können, wird schnell feststellen müssen: Bewerbende sind schneller als je zuvor vom Markt. Wer zögert, verliert. So haben 29 Prozent der für den Azubi-Report befragten Auszubildenden bereits nach einer Woche eine Rückmeldung von ihrem heutigen Ausbildungsbetrieb auf ihre Bewerbung erhalten. Und 31 Prozent bereits nach ein bis drei Tagen. Das heißt: Über die Hälfte aller Bewerberinnen und Bewerber ist nach spätestens einer Woche in den Bewerbungsprozess eingestiegen, der sie zu ihrem heutigen Ausbildungsplatz geführt hat. Und 46 Prozent aller Auszubildenden haben weniger als vier Wochen von der Bewerbung bis zur Zusage benötigt.

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