Sieben typische Mythen rund um den Bewerbungsprozess

Das Anschreiben ist der wichtigste Teil der Bewerbung und wer ein hohes Gehalt fordert, wird automatisch aussortiert. Ganz so ist es in der Realität dann doch nicht. Eine Studie hat typische Bewerbungsmythen untersucht und festgestellt, dass die Ansichten von HR und Fachkräften oft auseinanderklaffen.

2.000 Fachkräfte mit Berufsausbildung und 250 HR-Verantwortliche wurden von Meinestadt.de und dem Marktforschungsinstitut Respondi Anfang 2022 befragt. Dabei zeigten sich in einigen Punkten erhebliche Abweichungen bei dem, was im Bewerbungsprozess wichtig ist. Die größten Differenzen aus Sicht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der HR-Verantwortlichen gab es bei diesen sieben Punkten:

Mythos 1: Das Anschreiben ist der wichtigste Teil der Bewerbung

69 Prozent der Fachkräfte stimmen dieser Aussage zu, aber nur 49 Prozent der HR-Verantwortlichen. Die Mehrheit der Fachkräfte hält das Anschreiben immer noch für den wichtigsten Teil der Bewerbung. Ursache dafür dürfte sein, dass die meisten Bewerbungsratgeber das weiterhin so kommunizieren. Die Nachricht, dass die Bedeutung des Anschreibens aus Sicht der HR-Abteilungen auf dem Rückzug ist, ist offensichtlich noch nicht überall angekommen.  

Fakt ist: Angesichts leerer Fachkräfte-Arbeitsmärkte und der eher geringen Aussagekraft für den Erfolg im Job ist das Anschreiben in den vergangenen Jahren in die Kritik geraten. Mehr und mehr Unternehmen verzichten mittlerweile darauf, es einzufordern.

Empfehlung an HR: Gerade außerhalb von Büroberufen stellen Anschreiben eine zusätzliche Hürde für die Bewerbung dar. Arbeitgeber, die solche Hürden abbauen, erreichen auf engen Märkten mehr potenzielle Bewerberinnen und Bewerber.

Mythos 2: Bewerbungen mit Rechtschreibfehlern werden sofort aussortiert

73 Prozent der Fachkräfte stimmen dieser Aussage zu, aber nur 54 Prozent der HR-Verantwortlichen. Allerdings ist diese Zustimmung auf beiden Seiten meist nicht uneingeschränkt. So zeigen die Freitextantworten der Fachkräfte, dass sich Zweifel an der politischen Korrektheit (Lese-Rechtschreibschwäche und Migrationshintergründe) und der Aktualität (Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt) dieses Vorgehens mehren. Die HR-Verantwortlichen sind größtenteils der Meinung, dass Strenge in Sachen Rechtschreibung oft kontraproduktiv ist und den Recruitingerfolg gefährdet.

Empfehlung an HR: Für alle, die beruflich schreiben, zum Beispiel Sekretärinnen und Sekretäre, sollte die schriftliche Bewerbung als ernstzunehmende Arbeitsprobe angesehen werden. Für viele andere Berufe sagen Rechtschreibfehler wenig über die Eignung im Beruf aus. Allerdings können sie signalisieren, wie hoch das Interesse an dem Job ist. Wer den Job wirklich will, wird ein Korrekturprogramm nutzen oder eine andere Person gegenlesen lassen.

Mythos 3: Es macht einen schlechten Eindruck, wenn Bewerbende nach den Urlaubstagen fragen

38 Prozent der Fachkräfte stimmen dieser Aussage zu, aber nur 22 Prozent der HR-Verantwortlichen. Früher galt es quasi als Selbstvernichtungsknopf, wenn Bewerbende im Jobinterview nach Urlaubstagen, einem Sabbatical oder ähnlichem gefragt haben. Aber das hat sich geändert. Nur noch jeder fünfte Personaler beziehungsweise jede fünfte Personalerin deutet die Frage nach den Urlaubstagen als Zeichen, dass es der Person nur um den Urlaub geht. Insbesondere, wenn im Jobinterview das Bewerberinteresse vor allem der Aufgabe gilt. 

Empfehlung an HR: In engen Kandidatenmärkten interessieren sich Stellensuchende besonders auch dafür, was ihnen vom Arbeitgeber geboten wird. Machen Sie Fachkräften ein attraktives Angebot in Sachen Work-Life-Balance und Urlaub, dann sollten Sie das bereits in der Stellenanzeige bekanntgeben. Häufig ist das das Zünglein an der Waage, wenn es um die Entscheidung für oder gegen eine Bewerbung geht.

Mythos 4: Wer ein zu hohes Gehalt fordert, wird automatisch aussortiert

60 Prozent der Fachkräfte stimmen dieser Aussage zu, aber nur 45 Prozent der HR-Verantwortlichen. Der Fachkräftemangel sowie die gestiegene Transparenz zum Thema Gehalt haben offenbar dazu geführt, dass immer weniger Personalerinnen und Personaler der Ansicht sind, Bewerbende würden sich mit einer zu hohen Gehaltsforderung aus dem Rennen kicken. Die Fachkräfte denken mehrheitlich anders – wahrscheinlich aufgrund schlechter Erfahrungen in der Vergangenheit.

Empfehlung an HR: Sorgen Sie für Transparenz und vermeiden Sie Pokerspielchen. So stellen Sie sicher, dass Sie die Bewerberinnen und Bewerber nicht verärgern, denn diese kennen heute zumeist ihren Marktwert. Ratsam ist es, bereits in der Stellenanzeige eine Gehaltsangabe oder zumindest eine Gehaltsspanne zu nennen. So wissen die Stellensuchenden gleich, woran sie sind, und Google for Jobs belohnt die Angabe mit einem besseren Ranking des Jobinserats.

Mythos 5: Wer bereits ein anders Jobangebot hat, soll das im Jobinterview nicht erwähnen

57 Prozent der Fachkräfte stimmen dieser Aussage zu, aber nur 43 Prozent der HR-Verantwortlichen. Früher, als das Angebot an Fachkräften die Nachfrage überstieg, galt es als opportun, so zu tun, als ob das Interesse nur dem einen Arbeitgeber gelte. Angesichts kandidatenorientierter Märkte sieht die Mehrheit der Personaler ein solches Denken als nativ an.

Fachkräfte können im Bewerbungsgespräch durchaus selbstbewusst auftreten, um das Beste für sich herauszuholen. Dazu gehört auch, zu signalisieren, dass es noch ein anderes Angebot gibt.

Empfehlung an HR: Wahrscheinlich bewegen auch Sie sich bei den meisten Positionen auf einem Arbeitsmarkt, auf dem die Bewerbenden sich die Arbeitgeber aussuchen können. Schalten Sie deshalb von der bisherigen Haltung "Auswählen" auf "Überzeugen" um und akzeptieren Sie, dass sich ihre Bewerbenden auch anderweitig umsehen.

Mythos 6: HR-Verantwortliche informieren sich in sozialen Medien über die Bewerbenden

73 Prozent der Fachkräfte stimmen dieser Aussage zu, aber nur 59 Prozent der HR-Verantwortlichen. "Ab und zu wird das gemacht, aber eher nicht." Dieser Kommentar von HR-Seite macht exemplarisch deutlich, dass Bewerbende diesen Faktor überschätzen. Zwar sehen sich Personalerinnen und Personaler durchaus die Social Media Accounts von Personen in beruflichen Netzwerken an. Bei Fachkräften mit Berufsausbildung spielen diese jedoch kaum eine Rolle und werden deshalb auch nur selten durchforstet. 

Empfehlung an HR: Instagram, Facebook und Co. sagen wenig über Kompetenzen von Personen aus und dürfen als vornehmlich privat genutzte Netzwerke eigentlich auch gar nicht für den Background-Check genutzt werden. Außerdem stellt sich die Frage, welchen Erkenntnisgewinn es bringt, zu erfahren, dass jemand jedes Fußballspiel seines Heimatclubs besucht. Setzen Sie Ihre Zeit lieber sinnvoller ein.

Mythos 7: Eine Bewerbung anzusehen, dauert im Schnitt 90 Sekunden

67 Prozent der Fachkräfte stimmen dieser Aussage zu, aber nur 56 Prozent der HR-Verantwortlichen. Tendenziell unterschätzen Fachkräfte die Zeit, die HR-Verantwortliche investieren, um eine Bewerbung durchzusehen. Aber tatsächlich ist die Zeitspanne eher kurz, in der Recruiterinnen und Recruiter eine Entscheidung fällen, ob die Person zu einem Jobinterview eingeladen wird. Das gilt insbesondere dann, wenn sehr viele Bewerbungen auf eine ausgeschriebene Stelle eingehen.

Empfehlung an HR: Passendere statt mehr Bewerbungen muss das Ziel sein. Da hilft eine transparente Kommunikation, zum Beispiel in den Stellenanzeigen, sowie die Auswahl eines zielgruppengerechten Recruitingkanals.  

Bewerberinnen und Bewerber agieren zurückhaltend  

Diese sieben Bewerbungsmythen, in denen die Ansichten von HR-Verantwortlichen und Stellensuchenden am weitesten auseinanderklaffen, machen deutlich: Auf dem Bewerbungsmarkt hat sich in den vergangenen Jahren einiges geändert. Oftmals gibt es falsche Vorstellungen, wie die andere Seite denkt, wie eine Bewerbung aussehen sollte oder was im Bewerbungsgespräch wichtig ist.

Die größten Differenzen zeigen sich bei Themen, bei denen die Fachkräfte deutlich "vorsichtigere" Meinungen hatten als die HR-Verantwortlichen. Das zeigt zum Beispiel auch die Aussage "Potenzial und Persönlichkeit der Bewerbenden sind wichtiger als Noten und Know-how". Dieser Aussage stimmen nur 74 Prozent der Fachkräfte zu, aber 79 Prozent der HR-Verantwortlichen. Die Personalerinnen und Personaler in den Unternehmen sehen mehr Potenzial in ihren Bewerbenden als diese selbst.


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