Nachhaltigkeitskriterien in der Vorstandsvergütung

Ökologische und soziale Kriterien werden bei der Vorstandsvergütung zunehmend als Kennzahlen berücksichtigt – das zeigt eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung. Doch echte Steuerungswirkung insbesondere hinsichtlich einer mitarbeiterorientierteren Führung entfalten sie noch nicht.

Nahezu alle börsennotierten Unternehmen richten ihre Vorstandsvergütung auch an der Erreichung von Nachhaltigkeitszielen aus. Das zeigt eine neue Studie, die das Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.) der Hans-Böckler-Stiftung gefördert hat.

Laut der Untersuchung hatten bereits im Geschäftsjahr 2021 durchweg alle Unternehmen im DAX sowie 41 von 50 MDAX-Unternehmen nachhaltige Kriterien in ihre Vergütungssysteme integriert oder die Einführung für das Geschäftsjahr 2022 angekündigt. Zum Vergleich: 2013 hatten lediglich zehn Unternehmen im DAX und sechs im MDAX entsprechende Kriterien in ihrer Vergütungspraxis umgesetzt oder geplant.

ESG-Kriterien als Maßstab für Vergütung: Langfristigkeit genügt nicht mehr

Die Gründe für diese regelrechte Explosion von ESG-Kriterien sind vielschichtig. So hat das Thema Nachhaltigkeit im gesellschaftlichen Diskurs spürbar an Bedeutung gewonnen. Damit einher geht auch die Erwartung der Öffentlichkeit, dass Unternehmen in diesen Fragen stärker ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachkommen.

Vor allem aber sorgten regulatorische Änderungen, insbesondere durch das Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II), für neue Rahmenbedingungen in der Vergütung. Die damit verbundene Neufassung des § 87 AktG Abs. 1 S. 2 sieht vor, dass die Vergütungsstruktur bei börsennotierten Gesellschaften auf eine "nachhaltige und langfristige" Entwicklung der Gesellschaft auszurichten sei. Zuvor sprach § 87 AktG lediglich von einer "nachhaltigen" Unternehmensentwicklung, wobei in der Praxis "nachhaltig" und "langfristig" als reine Zeitspanne angesehen wurden. Tatsächlich sind aber variable Vergütungsbestandteile, die auf einer mehrjährigen, also langfristigen Steigerung des Unternehmenswerts abzielen, weder ökologisch noch sozial nachhaltig. Bereits 2019 bestätigte deshalb der Rechtsausschuss des Bundestags, dass der Aufsichtsrat "bei der Festsetzung der Vergütung, insbesondere der Wahl der Vergütungsanreize, auch soziale und ökologische Gesichtspunkte in den Blick zu nehmen hat".

Unter "langfristig" lassen sich nun demnach die Anteile variabler Vergütung verstehen, die auf einer mehrjährigen Bemessungsgrundlage beruhen. "Nachhaltig" meint dagegen die Einführung von Kennziffern, die auf soziale und ökologische Ziele ausgerichtet sind. Auch Investoren und Stimmrechtsberater fordern vermehrt die Nutzung von Nachhaltigkeits-KPIs. Das alles ist Ausdruck eines sich abzeichnenden Konsens, der ESG-Kriterien als festen Teil eines Vergütungssystems vorsieht.

Wirkung von ESG-Kriterien in der Vorstandsvergütung

Wie gehaltvoll die verwendeten Kennzahlen im Ergebnis tatsächlich sind, muss der Aufsichtsrat überprüfen. Die Steuerungswirkung der ESG-Kriterien hängt, so die Studienergebnisse, stark davon ab, wie groß ihr Anteil an der gesamten variablen Vergütung ist. Für das Geschäftsjahr 2021 lag der Durchschnitt im DAX bei 22 Prozent und im MDAX bei 20 Prozent. Gespräche mit Arbeitnehmervertretungen und Aufsichtsräten bestätigen, dass in Zielvereinbarungen definierte Nachhaltigkeitskriterien in der Praxis auch umgesetzt werden. Es gelte die einfache Faustregel: Themen, nach denen vergütet wird, erhalten mehr Aufmerksamkeit.

Nachhaltigkeitskriterien lassen sich aus der Unternehmens- und Nachhaltigkeitsstrategie ableiten. Vergütet werden sollte die Erreichung von Zielen, die für das Unternehmen und seine Stakeholder "wesentlich" (material) sind. Somit fügt sich die Vorstandsvergütung zunehmend in die allgemeine Nachhaltigkeitsberichterstattung der Unternehmen ein. Wird diese Schnittstelle genutzt, erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit, dass intern Daten zu den jeweiligen ESG-Zielen vorliegen.

Vorstandsvergütung: Häufigste ESG-Kriterien sind CO2-Ausstoß und Mitarbeiterzufriedenheit

Hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung und des Inhalts der ESG-Kriterien stellt die Studie einen leichten "Überschuss" an ökologischen Kriterien gegenüber den sozialen Kriterien fest. Das insgesamt am häufigsten vorkommende ökologische Kriterium ist die Reduzierung des CO2-Ausstoßes bzw. die Emissionsreduktion (28 der 40 DAX-Unternehmen, 16 der 41 MDAX-Unternehmen). Bei den sozialen Kriterien ist das am häufigsten vorkommende Ziel die Mitarbeiterzufriedenheit (jeweils in zehn Unternehmen in DAX und MDAX).

Diese Daten decken sich mit dem Stimmungsbild der von den Studienautoren befragten Arbeitnehmervertretenden in Aufsichtsräten. Ihrer Einschätzung zufolge bekommen Umweltziele in den Unternehmen aktuell mehr Aufmerksamkeit als soziale Kriterien. In diesem Zusammenhang besteht das Risiko, dass ökologische und soziale Kriterien zu Ungunsten der Mitarbeiterbelange im Vergütungssystem gegeneinander ausgespielt werden.

Nachhaltigkeit als Vorstandskompetenz nicht klar abgrenzbar

Die Studie hat Nachhaltigkeitskriterien nicht auf ihre Qualität hin untersucht. Hier wird sich in den nächsten Jahren zeigen, ob die definierten Ziele auch die gewünschte Steuerungswirkung entfalten. Der Blick in die Vergütungsberichte zeigt allerdings, dass die Nachhaltigkeits-KPIs in puncto Nachvollziehbarkeit, Ausgestaltung und Relevanz für die Vergütungshöhe unterschiedlich ausgestaltet sind.

So verwenden 15 DAX-Unternehmen (elf im MDAX) Nachhaltigkeitskriterien nicht als festen prozentualen Anteil der variablen Vergütung, sondern nutzen die Kriterien als Multiplikator. Das Ergebnis der ESG-Ziele schafft einen Faktor, der mit der Zielerreichung anderer finanzieller Kriterien multipliziert wird, um auf einen finalen Auszahlungsbetrag zu kommen. Zu kritisieren ist bei dieser Form der Verwendung, dass ESG-Kriterien nicht eigenständig wirken, sondern vom Ergebnis finanzieller Kennzahlen abhängen.

Bei der Transparenz in der Berichterstattung ist allgemein noch Luft nach oben. Ein Beispiel ist die Praxis vieler Unternehmen, verschiedene Nachhaltigkeitskriterien unter dem "Label ESG" zu bündeln. In diesen Fällen ist es nicht leicht, festzustellen, welche eigentlichen Kriterien in dem Paket enthalten und wie ambitioniert die Zielsetzungen gestaltet sind. Durch Integration in die Vorstandsvergütung können Unternehmen ihren Stakeholder und sich selbst vergewissern, welche Aspekte des Themas Nachhaltigkeit unternehmerisch prioritär sind. Dafür müssen die KPIs aber auch klar definiert und transparent kommuniziert werden.

Nachhaltigkeitskriterien in der Vorstandsvergütung müssen nachgeschärft werden

In den nächsten Jahren wird ein erstes Fazit zur Wirkung von Nachhaltigkeitskriterien in der Vorstandsvergütung möglich sein. Es liegt am Aufsichtsrat, diesen Prozess der Zielerreichung zu verfolgen und die Kriterien bei Bedarf nachzuschärfen. Zu erwarten ist auch, dass viele kleinere, nicht börsennotierte Unternehmen nachziehen und selbst Nachhaltigkeitskriterien in ihrem Vergütungssystem verankern. Denn: Die sozial-ökologische Transformation ist im vollen Gange.

Weitere Gesetzgebungsverfahren wie das CSRD sorgen für eine noch weitreichendere Berichterstattung zum Thema Nachhaltigkeit. Auch die Vorstandsvergütung bietet Aufsichtsräten immer mehr die Möglichkeit, auf die Nachhaltigkeitsziele ihres Unternehmens Einfluss zu nehmen. Damit die Transformation gelingen kann, gehören sowohl ökologische als auch soziale Kriterien in die Vergütungssysteme. Die Arbeitnehmerbeteiligung als ein zentrales Element guter Unternehmensführung kann bei der Integration von Nachhaltigkeits-KPIs helfen. 


Zu den Autoren:

Judith Beile ist Geschäftsführerin und Beraterin bei der Unternehmensberatung wmp consult Wilke Maack GmbH.

Katrin Schmid ist Mitarbeiterin bei der Unternehmensberatung wmp consult Wilke Maack GmbH.

Navid Armeli ist Referatsleiter im Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung der Hans-Böckler-Stiftung (I.M.U.).


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