Interview mit Ana-Cristina Grohnert zu Diversity Management

Unternehmen, die um Diversity Management herumzukommen versuchen, könnten ihre Zukunft verspielen. Das ist ein Fazit aus einer noch unveröffentlichten Studie der "Charta der Vielfalt". Die Fortschritte gehen nicht schnell genug, meint Ana-Cristina Grohnert, Vorstandsvorsitzende der Arbeitgeberinitiative, im Interview.

Haufe Online-Redaktion: Frau Grohnert, nach 2016 hat die Charta der Vielfalt nun erneut Unternehmen zum Status quo beim Diversity Management befragt. Was hat sich verändert?

Ana-Cristina Grohnert: Es ist erschreckend, wie stark diejenigen, die sich für das Thema engagieren, und diejenigen, die dabei stagnieren, auseinanderdriften. Die Zahl der Unterzeichner der Charta der Vielfalt hat in dem Zeitraum um rund 1.500 Unternehmen zugenommen. Hier sehen wir bei einzelnen Maßnahmen - wie Diversity-Training, Leadership-Initiativen und Förderung von Netzwerken – ein zweistelliges Wachstum. Aber es ist uns noch nicht gelungen, eine Bewegung zu kreieren, die die anderen Arbeitgeber mitreißt. Nur jedes dritte Unternehmen setzt überhaupt Diversity-Maßnahmen um.

Diversity: Gemischte Teams bilden Vielfalt des Marktes ab

Haufe Online-Redaktion: Warum finden Sie es falsch, wenn Unternehmen – gerade jetzt in der Krise – andere Prioritäten haben?

Grohnert: Diversity ist ein Wirtschaftsfaktor. Nur wenn Arbeitgeber die Innovationskraft und Kreativität aller Beschäftigten nutzen, können sie künftig erfolgreich sein. Eine aktuelle Studie der Boston Consulting Group (BCG) hat erst wieder vorgerechnet, dass der wirtschaftliche Erfolg mit gemischten Teams um 25 Prozent steigt. Sie können sich das auch ganz konkret vor Augen führen: Wenn zehn Menschen mit gleichem Background, gleichem Geschlecht und gleicher Herkunft in einem Raum sitzen, wie sollen sie da die Vielfalt der Marktgegebenheiten, Kunden- und Mitarbeiterwünsche in ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigen?

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Haufe Online-Redaktion: Laut Ihrer Studie ist die flexible Gestaltung von Arbeitszeiten die häufigste Diversity-Maßnahme. Dieses Thema würde man heute eher unter New Work oder Future of Work als unter Diversity Management verbuchen.

Grohnert: Das ist richtig. Aber die Flexibilisierungsagenda hat vor mehr als zehn Jahren mit Diversity Management angefangen – und zwar aus der Frauenbewegung und dem Bedürfnis heraus, dass man Menschen unabhängig von ihren Lebensmodellen die Möglichkeit geben möchte, Karriere zu machen. Teilzeit-Mütter, Homeoffice und Flexibilisierung von Karrierewegen – Arbeitgeber wollten eine Employer Brand aufbauen, die neue Generationen mit an Bord nimmt. Schon damals war klar: Das schaffen wir nicht über eine Präsenzkultur, sondern nur über Flexibilisierung. New Work und Diversity Management haben viele Überschneidungen: Es geht darum, agiler zu werden, Vorurteile zu überwinden und sich an verschiedenen Perspektiven konstruktiv zu reiben.

Haufe Online-Redaktion: Besteht Diversity Management nur aus Einzelmaßnahmen?

Grohnert: Diversity Management ist eine Grundhaltung. Es geht um die Überzeugung, dass man keine Potenziale liegen lässt und sich alle voll ins Unternehmen einbringen können. Das Ziel ist es, eine "inclusive Culture" zu bauen.

Vier Typen bezüglich der Einstellung gegenüber Diversity Management

Haufe Online-Redaktion: Sie haben in Ihrer Studie vier Typen der Einstellung gegenüber Diversity Management ausgemacht: Skeptiker, Pragmatiker, Kommunikatoren und Strategen. Inwiefern unterscheiden sich da die Grundhaltungen?

Grohnert: Die Kommunikatoren sagen, wir nutzen Diversity Management, weil es auf die Unternehmensmarke einzahlt. Die Strategen analysieren die Prozesse und versuchen das Ganze in jede Form der Wertschöpfung einzubeziehen. Die Pragmatiker fangen mit Gender an und fördern vor allem die Netzwerke, während die Skeptiker glauben, sie könnten das auch alles aussitzen. Diese Typen sehen wir quer durch Unternehmen in verschiedenen Abteilungen. Bei den Unterzeichnern der "Charta" nimmt die Zahl der Skeptiker ab, während die Strategen mehr werden. Bei den Nicht-Unterzeichnern machen die Skeptiker nach wie vor einen großen Anteil aus. Das ist eine Ursache für die Entwicklung beim Thema Gender.

Die Unternehmen sind nicht disruptiv genug."


Haufe Online-Redaktion: Diversity-Kriterien bei der Auswahl von Bewerberinnen stehen in Ihrer Befragung an Platz drei der umgesetzten Maßnahmen. Gleichzeitig macht die Allbright Stiftung Rückschritte bei Frauen in Vorstandspositionen aus. Wie passt das zusammen?

Grohnert: Maßnahmen wie Zielvorgaben oder flexibles Arbeiten zeigen Fortschritte: Bis zur Stufe drei unter dem Vorstand haben fast alle Unternehmen die Pipelines gut mit Frauen gefüllt. Bei der ersten und zweiten Ebene unter dem Vorstand wird es schon dünner und im Vorstand selbst herrscht dann die Verstopfung. Die Allbright Stiftung stellt fest, hier geht der Anteil der Frauen sogar zurück. Da werden wir im europäischen Vergleich, aber auch international abgehängt. Die Unternehmen sind nicht disruptiv genug.

Haufe Online-Redaktion: An der Tatsache, dass die Vorstände deutscher Konzerne in den letzten zwölf Monaten wieder männlicher wurden, haben auch Unterzeichner der Charta der Vielfalt ihren Anteil: Bei Commerzbank, Deutsche Bank, VW, Henkel und Continental folgten im Vorstand Männer auf Männer. Einige verzeichnen null Frauen im Vorstand, zum Beispiel Siemens, Bayer und Linde – Letztere haben sogar nach dem Ausscheiden einer Vorstandsfrau keine Frau nachbesetzt. Bleibt Diversity Management oft nur gute PR?

Grohnert: Das sind Momentaufnahmen und es gibt Gegenbeispiele. Adidas hat nun die Position der CHRO wieder mit einer Frau besetzt – nach Karen Parkin kommt Amanda Rajkumar. Und bei anderen Unternehmen wie SAP schied zwar die CEO aus, aber im Personalvorstand folgt mit Sabine Bendiek eine Frau auf einen Mann. Auch im Allianz-Vorstand sind wieder zwei Frauen. Da muss ich die Unterzeichner der Charta der Vielfalt in Schutz nehmen. Aber insgesamt geht es nicht voran und ich kann die Ungeduld vieler Akteure verstehen – die der Initiative FidAr etwa, die sich mit 17 Frauenverbänden zur Berliner Erklärung zusammengeschlossen hat, oder der Frauen, die die Social-Media-Aktion #Ichwill betreiben.

Neues Führungspositionengesetz sieht verbindliche Quoten vor

Haufe Online-Redaktion: In Berlin liegt ein Gesetzentwurf der Bundesfamilienministerin für ein neues Führungspositionengesetz (FüPoG II) vor, das verbindliche Quoten für Frauen in Führungspositionen vorsieht. Unterstützen Sie dieses Gesetzesvorhaben?

Grohnert: Als Initiative, die auf freiwillige Verpflichtung setzt, war es schon immer unser Anliegen, ohne Quote voranzukommen. Aber die Quote wird kommen, auch wenn es noch viele Widerstände gibt und der Gesetzentwurf noch angepasst werden muss. Familienministerin Giffey berichtet, dass viele Unternehmen hinter vorgehaltener Hand das Gesetz quasi als Anschub beim Tempo der Veränderung befürworten. Es ist schließlich Aufgabe der Politik, Ziele zu setzen, wenn das die Wirtschaft nicht aus freien Stücken tut. Unternehmen müssen sich bewusst machen, was nun auf sie zukommt. Bei denen, die noch Zielgröße Null ausrufen, wird es ein großes Rütteln geben.

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Haufe Online-Redaktion: Selbst die Deutsche Bahn, die beim Thema Diversity Management gut aufgestellt ist, hat sich aber in einem Schreiben an mehrere Bundesminister gegen das Gesetz ausgesprochen. Wie erklären Sie sich das?

Grohnert: Sobald die Politik in die freie Wirtschaft eingreifen möchte, sind automatisch die Widerstände da. Dennoch ist dieser Brief unverständlich, denn die Deutsche Bahn wäre mit zwei Frauen im Vorstand von dem Gesetz erst einmal gar nicht betroffen, da sie ihre Hausaufgaben gemacht hat. Man hätte das anders formulieren müssen, indem man auf die Erfolge im Diversity Management verweist. Wenn man betont hätte, dass man sich selbst Ziele setzt, sie auch erfüllt und transparent darüber berichtet, dann hätte das jeder verstanden. Das ist der Weg, den wir bei der Charta der Vielfalt gehen möchten: Positives verstärken und so Nachahmer animieren.

Geschlechterparität in den Dax-Vorständen: Situation ist "eklatant"

Haufe Online-Redaktion: Die erwähnte BCG-Studie rechnet vor, dass 175 Männer ihren Job an eine Frau abgeben müssten, um Geschlechterparität in den Vorständen der 100 größten deutschen Börsenunternehmen zu erreichen. Löst eine solche Kommunikation nicht eher Angst als Zustimmung bei denjenigen aus, die aktuell an der Macht sind?

Grohnert: Wir als Charta setzen auf ein Miteinander und betonen, was Unternehmen durch Diversity gewinnen. Nur so können wir gemeinsam eine neue Kultur schaffen. Aber wenn das andere so vorrechnen, dann zeigt das, wie eklatant die Situation ist.

Haufe Online-Redaktion: Die Gender-Thematik erfährt gerade hohe Aufmerksamkeit und wird fast schon mit Diversity gleichgesetzt. Stört Sie das nicht?

Grohnert: Ja, einerseits ist Gender Diversity gerade total hip. Wir wissen natürlich durch "Black Lives Matter", die Rassismus-Debatte oder die post-migrantische Bewegung, dass wir eine viel größere Aufgabe als Gesellschaft haben. Aber wie bei der Flexibilisierungsagenda gehen die Frauen eben voran. Sie vereinen viele Diversity-Themen, denn sie gehören ja auch allen möglichen anderen Gruppen an. Und letztlich machen sie zweifelsfrei 50 Prozent der Bevölkerung aus und sind in Führungsetagen und auf Entscheidungsebenen nur zu zehm Prozent abgebildet. Da wird die Diskrepanz eindeutig sichtbar.

Religion und sexuelle Orientierung sind weiter oft Tabu-Themen

Haufe Online-Redaktion: Laut Ihrer Studie sehen Unternehmen aber noch bei vielen Aspekten wie Religion und Weltanschauung oder sexuelle Orientierung und Identität keinen Handlungsbedarf.

Grohnert: Noch immer erleben viele Religion oder die Anliegen der LGBTI-Bewegung (steht für Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender und Intersex, Anm. der Redaktion) als etwas sehr Privates – das sind Tabu-Themen. Deshalb ist es so wichtig, dass sich die verschiedenen Netzwerke begegnen, so dass man andere Lebensentwürfe besser kennenlernen kann. Nur dann kann es gelingen, die Komfortzone zu verlassen und Vorurteile über den Haufen zu werfen.

Haufe Online-Redaktion: Hat die Corona-Situation die Offenheit für ein umfassendes Diversity Management eher vergrößert oder verkleinert?

Grohnert: Die Pandemie hat uns vor Augen geführt, dass es Menschen gibt, die an den Rand der Gesellschaft gedrückt werden. Das betrifft insbesondere Menschen ohne Ausbildung und in prekären Situationen und ist abhängig von der Familiensituation, der sozialen Schicht der Eltern, einem bestimmten Wohnumfeld oder "Milieu", in dem sich jemand bewegt. Über vierzig Prozent der Befragten haben schon eindeutig Diskriminierung aufgrund von sozialer Herkunft im Beruf beobachtet.

Haufe Online-Redaktion: Erleben wir also fast schon eine Art Zweiklassengesellschaft in Unternehmen, abhängig von der sozialen Herkunft?

Grohnert: Wir haben hier noch viele Vorurteile. Die häufigste Form der Benachteiligung liegt dabei in der Ausgrenzung durch Kommunikation, gefolgt von der Benachteiligung in Bewerbungsverfahren und einer Geringschätzung der Leistungsfähigkeit. Es herrscht eine Art Leistungsmythos vor: man muss ein Mann, weiß und in einem bestimmten Alter sein, um Karriere zu machen. Diese Vorstellung prägt noch immer die Personalauswahl, insbesondere im Top-Management. Wer die Standards durchbricht, hat es schwerer, trotz Talent und hohem Potenzial.

Beim Diversity Management ist es wie beim Klimawandel: Wir reden schon lange darüber und es passiert zu wenig. Deshalb müssen wir noch mehr trommeln."


Haufe Online-Redaktion: Auch die Flexibilisierungsinstrumente und die Angebote fürs Homeoffice gelten oft nur für gut ausgebildete Mitarbeitende, sodass die Verhältnisse zementiert werden. Wie lässt sich das aufbrechen?

Grohnert: Unternehmen müssen die soziale Herkunft adressieren und dürfen keine Berufsgruppen ausklammern, wenn es um eine höhere Flexibilisierung geht. Das sollte überall im Unternehmen verankert sein: im Diversity Management, in HR und in den Führungsetagen – wie bei allen anderen Diversity-Themen auch. Das klappt dann am besten, wenn Diversity-Manager auf der obersten Führungsebene aufgehängt sind oder an den Vorstand berichten. Bei den Charta-Unterzeichnern ist das inzwischen sehr häufig der Fall. Aber beim Diversity Management ist es wie beim Klimawandel: Wir reden schon lange darüber und es passiert zu wenig. Deshalb müssen wir noch mehr trommeln.


Über die Studie: Die "Charta der Vielfalt", eine Arbeitgeberinitiative, die für ein vorurteilsfreies Arbeitsumfeld auf freiwillige Verpflichtung von Unternehmen setzt, hat wie bereits 2016 nun im Mai und Juni 2020 erneut Führungskräfte und Personalmanager zum Status quo beim Diversity Management befragt. Insgesamt nahmen 130 Personalverantwortliche aus Unternehmen, die die Charta der Vielfalt nicht unterzeichnet haben, und 380 aus Unterzeichner-Unternehmen an der Studie teil. Erste Ergebnisse werden am 5. November 2020 veröffentlicht.


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