Agilität als Meta-Erfolgsfaktor

Agilität ist derjenige Erfolgsfaktor der Digitalisierung, zu dem alle anderen Erfolgsfaktoren beitragen und auf den sie im Kern abzielen. An der Agilität entscheidet sich die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens. Warum, das erläutert Marcus Sassenrath.

Hierbei geht es wirklich ans Eingemachte, denn hier wird die Machtfrage gestellt. Wenn die bestehenden Organisationsstrukturen die Organisation nicht schnell genug machen, dann müssen sie in Frage gestellt werden.

Wenn ein Unternehmen sich nur auf den Ausbau einer Kompetenz konzentrieren wollte, so sollte es die Agilität wählen. Der Rest ergibt sich daraus. Ein Unternehmen, dem es gelingt, sich schneller zu verändern, wird die digitale Transformation bewältigen – so wie diejenigen unserer Vorfahren überlebt haben, die sich am besten an neue Situationen anpassen konnten. Veränderungsfähigkeit ist die wichtigste und erfolgskritischste Kompetenz. Denn wer sein Unternehmen in seiner Veränderungsfähigkeit verbessert, wird fast automatisch auch Fortschritte bei den anderen Erfolgsfaktoren erzielen: Innovationen werden schneller umgesetzt, Wissen wird selbstorganisiert ausgebaut, Partnerschaften werden auf- und abgebaut, wo es die Anpassung an das Umfeld erfordert. An der Agilität entscheidet sich die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens.

Von Kunden und Wettbewerbern wird eine Mindest-Agilität bestimmt, die ein Unternehmen erreichen muss, um zu überleben. Außerdem gibt es eine maximale Agilität, die ein Unternehmen erreichen kann. Sie wird vor allem bestimmt von der bestehenden Kultur, der Innovationskraft, den Machtstrukturen, der Weitsicht des Managements und der Veränderungsbereitschaft der Mitarbeiter. Wenn die von außen bedingte Mindestagilität größer ist als die, zu der das Unternehmen maximal in der Lage ist, dann überlebt das Unternehmen die digitale Transformation nicht.

Die Organisation auf dem Weg zur Agilität

Die herkömmliche Organisationsform der hierarchischen Abteilungsorganisation steht praktisch jedem der Erfolgsfaktoren im Weg: Die mit ihr einhergehende fehlende Prozessorientierung behindert Innovationskraft und Kundennähe, Wissen wird nicht übergreifend, sondern nur für die Abteilungsaufgaben aufgebaut. Der Grundgedanke des Ab-Teilens steht im Widerspruch zum Partnering, bei dem es darum geht, sich ergänzende Teile enger zusammenzubringen (lt. pars = der Teil). Am meisten leidet allerdings die Fähigkeit, sich in Reaktion auf Umweltveränderungen selbst zu verändern. Unter dem einengenden und abgrenzenden Denken in Abteilung und Hierarchie erstickt die Agilität, an diesen Klippen zerschellen Verantwortungsübernahme und Eigeninitiative.

Die meisten Unternehmen sind nicht nur klassisch streng hierarchisch nach Abteilungen organisiert, sie sind häufig auch außerordentlich zentralistisch aufgestellt. Anstatt die dezentrale Intelligenz der Mitarbeiter gemäß dem Subsidiaritätsprinzip zu fördern, machen sie die Mitarbeiter zu zentral gesteuerten Marionetten, die alles dürfen nur nicht selbst denken.

Was benötigt wird, ist eine Organisation, die Selbstorganisationsfähigkeit und dezentrale Intelligenz der Mitarbeiter fördert und nutzt. So eine Organisation muss sich statt an Abteilungen an Prozessen ausrichten. Sie muss sich flexibel anpassen an die Änderungen, die vom Kunden ausgehen und sich auf die Prozesse der Leistungserstellung auswirken.

Hier lesen Sie, welche Rahmenbedingungen eine agile Organisation braucht.

Agile Führung

Wenn die Abteilungsorganisation dem Erfolg der digitalen Transformation im Wege steht, dann stellt das ebenso die Form der Führung infrage, die mit ihr Hand in Hand geht: Führung verstanden als Form der Kontrolle, der Koordination und des Disziplinierens. Dieses Führungsverständnis behindert Agilität. Es untergräbt nämlich dezentrale Verantwortungsübernahme und selbstgesteuertes Lernen ebenso wie Eigeninitiative und einen übergreifenden Blick für Chancen und Risiken, die sich in einer dynamischen Umwelt unerwartet und dezentral jederzeit ergeben.

Unternehmen müssen ihr Grundverständnis von Führung weiterentwickeln, und zwar hin zu einem "New Management". Das bedeutet, klassische hierarchische Führung abzubauen und durch Selbstorganisation und Zusammenarbeit auf Augenhöhe zu ersetzen.

(Lesen Sie auch: Was agile Führung ausmacht).

Zusammen mit dem Wechsel von der Abteilungs- zur Prozessorganisation stehen Unternehmen vor einer Herkulesaufgabe. Schließlich erschüttert dieser Umbau das gesamte Machtgefüge einer Organisation. Doch erst der Erfolg dieser Transformation verleiht Ihrem Unternehmen die notwendige Agilität und befähigt es auch für die digitale Transformation.

Wissenserwerb im Zeitalter der Digitalisierung

Wenn die Halbwertszeit des Wissens immer weiter sinkt, wenn das, was in Studium, Ausbildung oder den ersten Berufsjahren gelernt wird, immer weniger relevant ist für Herausforderungen in der Digitalisierung, dann muss sich auch die Weise, wie Unternehmen und ihre Mitarbeiter lernen, verändern.

Eigentlich nicht wirklich ein neues Thema, das Schlagwort Wissensgesellschaft begleitet uns schon ein paar Jahre. Doch was ist in den Unternehmen geschehen? Man muss sicher differenzieren, aber für die meisten Unternehmen gilt: fast nichts. Nach wie vor findet Wissenserwerb zum großen Teil über Seminare statt, die etwa in fünf Tagen die SAP-Auftragserfassung schulen oder in zwei Tagen Design Thinking als Methode vermitteln sollen. Das kann’s nicht sein. Wenn sich die Umwelt immer schneller ändert, die Möglichkeiten, Probleme zu lösen, immer vielfältiger werden, dann muss Wissenserwerb nicht gnädig von der Personalentwicklung gewährt, sondern fest in die tägliche Arbeit implementiert werden. Jeder Mitarbeiter wird zum ständig Lernenden und zum ständig Lehrenden, denn jeder ist Spezialist auf seinem Gebiet und damit in der Verantwortung, anderen das Wissen zu vermitteln, das diese aus den Domänen für ihre Aufgaben benötigen, die nicht ihre eigenen sind.

Zusammenarbeit und Kommunikation im agilen Unternehmen

Die Zusammenarbeit von Mitarbeiter mit Kollegen aus dem gleichen Unternehmen oder von Partnern, Kunden, Lieferanten, Behörden usw. muss deutlich vereinfacht und beschleunigt werden, um agiler, innovativer, kundennäher zu werden und Partnerschaften zum Leben zu erwecken.

Unglaublich, welche hierarchischen Hürden Mitarbeiter häufig nehmen müssen, um überhaupt in Kontakt treten zu dürfen mit Personen außerhalb des eigenen Unternehmens. Die Zusammenarbeit muss wie die Organisation als Ganzes viel stärker auf den Kunden ausgerichtet werden. Dazu müssen Kommunikationshürden abgebaut und die Kommunikation und Kontaktaufnahme niederschwelliger werden. Das meint z. B. Verzicht auf Formalien: „Posts” statt E-Mail, kein Kommentieren vermeintlich dummer Fragen, sondern ganz einfach eine freundliche und offene Kommunikation. Der zentrale Grundsatz für die Gestaltung einer Zusammenarbeit, die Agilität unterstützt: auf Augenhöhe, beziehungsorientiert und unkompliziert. Auch hierbei liegt noch ein weiter Weg vor den meisten Unternehmen.

Vor der digitalen Transformation steht die mentale Transformation

So wie die Agilität der Meta-Erfolgsfaktor der Digitalisierung ist, so ist die Weiterentwicklung von Kultur und Mindset die wichtigste Changeherausforderung für Unternehmen in ihrer digitalen Transformation. Anders ausgedrückt: Ohne Agilität kein Erfolg bei der Digitalisierung der Prozesse, Produkte und Geschäftsmodelle, ohne Veränderung von Kultur und Mindset keine Agilität.

Die Unternehmenskultur hat sich in einer Zeit geringerer Veränderungsgeschwindigkeit entwickelt, sie passt nicht zur Dynamik und Komplexität im heutigen Zeitalter der Digitalisierung. Die Kultur ist die Summe der gelebten Überzeugungen, Werte, Prinzipien und Regeln einer Organisation. Man kann sie als die Persönlichkeit eines Unternehmens bezeichnen. Diese Kultur setzt Grenzen dafür, was eine Organisation erreichen kann. Entscheidende Elemente lassen sich am besten in den folgenden drei Fragen ausdrücken bzw. mit den Antworten auf diese:

  • Wie hoch ist das Maß an Perfektion, das an die Arbeitsergebnisse angelegt wird?
  • Wie willkommen ist eine neue Idee?
  • Wie reagieren wir auf Entscheidungen, die sich als falsch herausstellen?

Diese drei Fragen zielen auf kulturell tief verwurzelte Verhaltensmuster ab, die die Fähigkeit eines Unternehmens, sich an geänderte Umweltbedingungen schnell anzupassen, stark beeinflussen. In den meisten Unternehmen ist Veränderungsfähigkeit in der Kultur wenig verankert. Deshalb liegt hier auch die größte Herausforderung in der digitalen Transformation: die Weiterentwicklung der Kultur zu einer, die Veränderungen willkommen heißt und unterstützt.

Ich behaupte nicht, dass die notwendigen Änderungen einfach umzusetzen sind. Aber sie sind möglich und notwendig, um die Zukunft Ihres Unternehmens zu sichern. Vor der digitalen Transformation steht erst einmal die mentale Transformation.

Über den Autor:

Marcus Sassenrath verantwortet die Digitalstrategie der BPW Bergische Achsen KG. 2013 wurde er von der Computerwoche unter die besten CIOs im Mittelstand gewält.


Buchtipp:

Der obige Text ist ein Auszug aus dem Buch "New Management. Erfolgsfaktoren für die digitale Transformation" von Marcus Sassenrath, das bei Haufe erschienen ist. Sie können das Buch im Haufe-Shop bestellen.


Aktuelle News und Informationen zum Thema Agilität finden Sie auf unserer Themenseite.