Digitalstrategie: Entwicklung und Roadmap

Die Digitalisierung wird in den meisten Unternehmen nur auf der Ebene der primären Spielfelder – Prozesse, Produkte, Geschäftsmodelle – diskutiert und mit bestimmten Tools und Methoden angegangen. Was dabei fehlt, ist die systematische Betrachtung der Erfolgsfaktoren und Herausforderungen.

Nur wenn alle Aspekte der Digitalisierung systematisch analysiert wurden, lassen sich die richtigen Schwerpunkte bei der Entwicklung der Roadmap für den Weg in die digitale Transformation setzen. Bei welchen Erfolgsfaktoren ist mein Unternehmen eher schwach, wo steht es dagegen schon ganz gut da? Wo liegen daher die besonderen Herausforderungen für mein Unternehmen?

Analyse der digitalen Ausgangssituation

Antworten darauf liefert eine digitale Reifegradanalyse, also die Betrachtung, wie weit Ihr Unternehmen bei der Besetzung der primären Spielfelder der Digitalisierung ist und in welchem Umfang es die Erfolgsfaktoren der digitalen Transformation bereits sicherstellen kann. Das Ergebnis dieser Analyse liefert die Grundlage für die Identifikation der Veränderungsaufgaben, die zumeist einer der oben beschriebenen Veränderungsherausforderungen zugeordnet werden können.

Roadmap und Handlungsplan zur digitalen Transformation

So entsteht eine profunde Analyse der „digitalen Ausgangssituation” des Unternehmens, und zwar im Verhältnis zur Position der Wettbewerber und zum Stand der technischen Möglichkeiten. Daraus lässt sich ein Handlungsplan zum Vorantreiben der digitalen Transformation ableiten. Dabei wird dann schnell klar, dass die Herausforderungen vor allem im Bereich von Kultur und Mindset liegen. Die wiederum lassen sich am besten über konkretes Handeln, konkrete Projekte und Maßnahmen weiterentwickeln.

Digitale Transformation als Weg zur Angleichung an das Gehirn

Man kann die (noch junge) Geschichte der Informationstechnologie bzw. Digitalisierung als eine Geschichte der Angleichung an das Gehirn sehen. Deutlich wird das an Meilensteinen in der Entwicklung von IT:

Von der „Elektrizität” zur Informationsverarbeitung

Die Informationstechnologie begann mit der Nutzung von Elektrizität für Rechenoperationen – auch im Gehirn sind elektrische Ladungen die Grundlage nahezu aller neuronalen Vorgänge. Die frühen Computer nutzten Röhren und anschließend Transistoren dazu, digitalen Input – „Strom aus” oder „Strom an”, Null oder Eins – zu kombinieren und so einen digitalen Output zu erzeugen. Im Gehirn geschieht in den Nervenzellen etwas ganz Ähnliches. Der Input anderer Nervenzellen wird zusammengerechnet und führt dazu, das die Nervenzelle einen digitalen Output erzeugt: Sie feuert oder sie feuert nicht. Die Kombination einer großen Anzahl dieser kleinsten Einheiten der Informationsverarbeitung – Transistoren bzw. Nervenzellen – kann in der Summe riesige Informationsmengen verarbeiten

Mit der Vernetzung von Computern begann die Informationstechnologie, ein weiteres Grundprinzip von Nervensystemen zu übernehmen.

Anbindung von Input- und Output„geräten”

Das Gehirn kombiniert den Input unterschiedlicher Sensoren, um einen situationsgerechten Output zu generieren. Oder anders ausgedrückt: Unser Sinne nehmen die Umwelt wahr, leiten die Information ans Gehirn weiter, das daraus ein Verhalten ableitet, das den Anforderungen der aktuellen Situation gerecht wird.

Inputsensor – Verarbeitung – Output über ein Gerät: Besonders hierbei wird deutlich, wie mit technischem Fortschritt Informationssysteme dem Gehirn immer ähnlicher werden. Die Sensorik wird immer sensibler und vielfältiger, ebenso werden die Möglichkeiten, Geräte, also Maschinen, Roboter, andere Computer usw., zu steuern immer ausgefeilter, das Anwendungsspektrum breiter.

Vernetzung

Wenn wir nun die Hardware-Ebene verlassen und die durch sie ermöglichte Nutzung von Software betrachten, so zeichnet sich ebenso das Bild einer Angleichung an das menschliche Gehirn und seiner Verhaltens„programme” ab: Wir nutzen Software im Privaten (soziale Netzwerke) wie in Unternehmen (Kommunikationssysteme) immer mehr dazu, uns zu vernetzen, und setzen so das Grundprinzip der Arbeitsweise des Gehirns um.

Innerhalb des Gehirns wie innerhalb eines Unternehmens gilt: Vernetzung ermöglicht es, lokale bzw. spezialisierte Verarbeitungskapazität zu verknüpfen und so neue Erkenntnisse zu gewinnen. Dadurch wird dezentrale Kompetenz kombinierbar und erzeugt die kombinierte Kompetenz eines vernetzten Systems.

Big Data

Zunehmende Vernetzung und die enorme Zunahme von Sensorik – erst in den letzten Jahren ist die Herausforderung entstanden, große Datenmengen zu aussagekräftigen Informationen zu verdichten. Dies ist eine Schlüsselherausforderung, die das Gehirn hervorragend beherrscht, denkt man nur an die Fähigkeit, die enormen Datenmengen, die über die Augen geliefert werden, in „realtime” zu verarbeiten und relevante Informationen zu erkennen.

Machine Learning

Eine aktueller Hype-Begriff. Ihm wird eine große Zukunft vorausgesagt, er drückt aber erneut nichts anders aus, als dass Software eine Kernkompetenz des Gehirns nachahmen soll. Und zwar nicht im Sinne von „Merken” – das können Computer wesentlich besser und zuverlässiger als Gehirne. Bei Machine Learning geht es vielmehr darum, vorhandene Entscheidungsregeln auf der Basis hinzugekommener Informationen selbstständig anzupassen. Beispielsweise geht es darum, solche Werbung in einem Webshop einzublenden, die aufgrund des aktuellen Benutzerverhaltens mit höherer Wahrscheinlichkeit zu einem Kauf führt. Es sollen also nicht mehr einfach feste Regeln gesetzt werden wie etwa die, „im Zeitraum der Fußball WM verstärkt Werbung für Sportbekleidung anzeigen”. Vielmehr gilt es zu untersuchen, welche Produkte gerade aktuell besonders häufig gesucht und bestellt werden. Welche neue Regel lässt sich daraus ableiten? Dann wird z. B. ein Zusammenhang von gekauften Produkten und dem aktuellen Wetter, der Nachrichtenlage oder einer Fernsehsendung festgestellt und das Shopsystem hat eine Regel gelernt, die künftig nicht nur die Anzeige von Werbung steuert, sondern auch die Bevorratung von Artikeln steuern kann.

Funktionsmechanismen des flexibelsten und komplexesten Systems nutzen

Die digitale Transformation mit ihren Entwicklungen, Herausforderungen und Risiken lässt sich besser verstehen, wenn man sie auch als Weg zur Angleichung an das Gehirn versteht. Letztlich bieten die technischen Neuerungen der letzten Jahre den Unternehmen, die sie einsetzen, die Chance, immer Gehirn-ähnlicher zu werden und so die Funktionsmechanismen zu nutzen, die das Gehirn zum erfolgreichsten, flexibelsten und komplexesten System machen, das wir kennen.

Über den Autor:

Marcus Sassenrath verantwortet die Digitalstrategie der BPW Bergische Achsen KG. 2013 wurde er von der Computerwoche unter die besten CIOs im Mittelstand gewält.

 

Buchtipp:

Der obige Text ist ein Auszug aus dem Buch "New Management. Erfolgsfaktoren für die digitale Transformation" von Marcus Sassenrath, das bei Haufe erschienen ist. Sie können das Buch im Haufe-Shop bestellen.