Rz. 12

§ 1 Abs. 4 KSchG nimmt die Richtlinie des § 95 BetrVG ausdrücklich in Bezug. Sofern in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 BetrVG oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt ist, wie die sozialen Gesichtspunkte nach § 1 Abs. 3 Satz. 1 KSchG im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, kann die Bewertung allein auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Betriebspartner sind aufgrund der seit dem 1.1.2004 geltenden Rechtslage in die Lage versetzt worden, die Gewichtung der nunmehr allein relevanten sozialen Gesichtspunkte – Alter, Beschäftigungsdauer, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung (§ 1 Abs. 3 Satz. 1 KSchG) – vorzunehmen. Die Bewertung von in der Richtlinie benannten sozialen Gesichtspunkten untereinander ist also vom Arbeitsgericht im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses allein auf grobe Fehlerhaftigkeit zu überprüfen.[1]

 

Rz. 13

Das juristische Schrifttum diskutiert durchaus kontrovers, ob der Betriebsrat nach § 95 Abs. 1 BetrVG mitzubestimmen hat, wenn der Arbeitgeber der Sozialauswahl bei konkret anstehenden betriebsbedingten Kündigungen ein Punkteschema zugrunde legen will. Das BAG hat diese Frage bejaht (BAG, Beschluss v. 26.7.2005, 1 ABR 29/04), indes offen gelassen, welche Sanktion dem Arbeitgeber drohe, wenn er ein solches Punkteschema ohne die Zustimmung der Belegschaftsvertretung anwende. Für die Praxis ist aus der Erfurter Entscheidung der Hinweis abzuleiten, im Zweifel den Betriebsrat über die Auswahlentscheidung auf dem Hintergrund des Schemas erst gar nicht zu unterrichten. Das BAG hat nämlich ferner bestimmt, dass ein Mitbestimmungsrecht nicht bestehe, wenn der Arbeitgeber die eigentliche Auswahlentscheidung losgelöst von der Vorauswahl im Rahmen einer Einzelfallabwägung treffe.[2] Indes ist der Arbeitgeber jedenfalls an ein von ihm selbst geschaffenes Auswahlsystem gebunden. Setzt sich also der Arbeitgeber über das ihn bindende Auswahlsystem eigenmächtig hinweg, liegt eine grobe Fehlerhaftigkeit vor, die der Betriebsrat gerichtlich zu beanstanden vermag (LAG Hamm (Westfalen), Urteil v. 6.4.2011, 6 Sa 2023/10[3]). Die Betriebspartner vermögen Auswahlrichtlinien später oder zeitgleich mit dem Abschluss eines Interessenausgleichs mit Namensliste ändern. Setzen sie sich über einen Punkt der Auswahlrichtlinie hinweg, gilt die im Interessenausgleich enthaltene Namensliste (BAG, Urteil vom 24.10.2013, 6 AZR 854/11[4]).

[1] Vgl. ErfK-Oetker, § 1 KSchG Rz. 355 ff.
[2] Vgl. hierzu: Bauer/Krieger, Anm. zu BAG AP Nr. 43 zu § 95 BetrVG 1972; Bonami/Naumann, ArbRB 2006, 111.
[4] DB 2014,66.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Personal Office Platin. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge