Rz. 14

§ 75 BetrVG begründet eine Überwachungspflicht von Betriebsrat und Arbeitgeber. Diese Pflicht besteht allerdings nicht nur im Verhältnis zwischen den Betriebspartnern, sondern auch im Verhältnis des Betriebsrats und der einzelnen Betriebsratsmitglieder gegenüber den Arbeitnehmern des Betriebs ebenso wie im Verhältnis des Arbeitgebers zu den einzelnen Arbeitnehmern.[1]

Arbeitgeber und Betriebsrat haben aktiv auf die Beachtung der in § 75 BetrVG normierten Grundsätze hinzuarbeiten und für ihre Einhaltung einzutreten. Sie haben sich gegenseitig auf Mängel und Verstöße hinzuweisen und sich um deren Beseitigung zu bemühen. Auch dürfen sie selbst keine Verstöße gegen diese Grundsätze begehen, selbst wenn davon betroffene Arbeitnehmer mit derartigen Verstößen einverstanden sein sollten.[2]

Die Überwachungspflicht ist eine allgemeine Aufgabe, zu deren Durchführung der Arbeitgeber den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend zu unterrichten hat (BAG, Beschluss v. 10.10.2006, 1 ABR 68/05[3]).

 

Rz. 15

Arbeitgeber und Betriebsrat haben die Grundsätze des § 75 BetrVG auch beim Erlass von Betriebsvereinbarungen zu beachten (BAG, Beschluss v. 11.11.1986, AP Nr. 4 zu § 1 BetrAVG Gleichberechtigung; BAG, Urteil v. 22.3.2005, 1 AZR 49/04[4]; BAG, Urteil v. 24.1.2006, 3 AZR 583/04[5]; BAG, Urteil v. 18.5.2010, 3 AZR 97/08). Verstöße hiergegen führen zur Nichtigkeit der Regelung gem. § 134 BGB.[6] Dies ist nun auch ausdrücklich im AGG geregelt. Aus § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG ergibt sich, dass alle individual- und kollektivrechtlichen Vereinbarungen und Maßnahmen, die gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG verstoßen, unzulässig sind. § 7 Abs. 1 AGG ist Verbotsgesetz i. S. v. § 134 BGB. Entgegenstehende Vereinbarungen und Maßnahmen sind danach nichtig. Das AGG ordnet in § 7 Abs. 2 noch einmal ausdrücklich die Unwirksamkeit von Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG verstoßen, an. Vom Verbot erfasst werden grundsätzlich alle Vereinbarungen, die nach Inkrafttreten des AGG am 18.8.2006 abgeschlossen worden sind. Übergangsbestimmungen enthält § 33 AGG. Danach gilt für Rechtsverhältnisse, die bereits am 18.8.2006 abgeschlossen waren, altes Recht. Dies hat das BAG mit Blick auf das gemeinschaftsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung in der Richtlinie 2000/78/EG für vor dem Inkrafttreten des AGG abgeschlossene Sozialpläne bestätigt (BAG, Urteil vom 20.01.2009, 1 AZR 740/07). In zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des AGG bestehenden Dauerschuldverhältnissen, zu denen auch ein Arbeitsverhältnis gehört, kann sich eine andauernde und fortgesetzte nachteilige Behandlung als eine nicht abgeschlossene Diskriminierung darstellen, die zur Anwendbarkeit des AGG führt, auch, wenn das Dauerschuldverhältnis bereits vor Inkrafttreten des AGG abgeschlossen wurde.

 

Rz. 16

Arbeitgeber und Betriebsrat sind schließlich verpflichtet, eine Verletzung der in § 75 festgelegten Grundsätze im Einzelfall zu verhindern. Der Betriebsrat darf demzufolge im Rahmen seiner Beteiligungsrechte nach §§ 99 und 102 BetrVG seine Zustimmung z. B. zu einer personellen Maßnahme, die gegen die Grundsätze des § 75 verstößt, nicht erteilen bzw. muss ihr widersprechen

 
Praxis-Beispiel

Arbeitgeber A beabsichtigt, dem Mitarbeiter M zu kündigen, weil er homosexuell ist. A hört gemäß § 102 BetrVG den Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung an und teilt ihm die Gründe für die beabsichtigte Kündigung mit. Der Betriebsrat muss der Kündigung widersprechen, weil sie diskriminierend wäre.

 

Rz. 17

§ 75 Abs. 1 BetrVG dient auch in seiner Neufassung nur dem Schutz der im Betrieb tätigen Arbeitnehmer. Nicht geschützt werden die internen Organisationsakte des Betriebsrats, wie z. B. die Wahl des Vorstands. Derartige Entscheidungen trifft der Betriebsrat auch weiterhin in eigener Kompetenz.[7]

 

Rz. 18

§ 75 BetrVG gibt den Arbeitnehmern keine Ansprüche gegen den Betriebsrat und den Arbeitgeber auf Einhaltung und Beachtung der dort genannten Grundsätze (BAG, Beschluss v. 3.12.1985[8]).

 
Praxis-Beispiel

Mitarbeiter M, dem Arbeitgeber A wegen seiner Homosexualität kündigen will, hat keinen Anspruch gegen den Betriebsrat darauf, dass dieser der Kündigung widerspricht.[9]

Die Angleichung der Regelung an das AGG hat daran nichts geändert.

 

Rz. 19

Umstritten ist, ob § 75 BetrVG neben einer Überwachungspflicht auch ein Überwachungsrecht verleiht. Nach der überwiegenden Meinung in der Literatur besteht ein solches Recht, wonach ein Betriebspartner im Fall von Verstößen gegen § 75 durch den jeweils anderen Betriebspartner von diesem ein Unterlassen bzw. eine Beseitigung verlangen kann. Nach der Rechtsprechung des BAG (BAG, Beschluss v. 28.5.2002, AP Nr. 39 zu § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebs) bestehen dagegen keine Rechte der Betriebsparteien untereinander aus § 75 BetrVG.

[1] Fitting/Engels, § 75 BetrVG Rz. 18.
[2] Fitting/Engels, § 75 BetrVG Rz. 18.
[3] NZA 2007, 99.
[4] NZA 2005, 773.
[5] NZA 2006, 1431.
[6] S. auch Fitting/Engels, § 75 BetrVG Rz. 22 m. w. N.
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