Verdachtskündigung bei Compliance-Verstößen

Auch im Arbeitsrecht spielt Compliance eine nicht unerhebliche Rolle. So können Verstöße auch zu arbeitsrechtlichen Sanktionen führen. Neben Abmahnungen und Tatkündigungen ist in diesem Zusammenhang bei Beweisschwierigkeiten auch an Verdachtskündigungen zu denken.

Aus arbeitsrechtlicher Sicht fallen unter Compliance-Regelungen zunächst Arbeitnehmerschutzvorschriften, deren Einhaltung der Arbeitgeber zu gewährleisten hat und die in zahlreichen Gesetzestexten niedergeschrieben sind. Dazu zählen etwa Vorschriften im Bereich des Datenschutzes (normiert im BDSG), der Arbeitssicherheit (ArbSchG), der Arbeitszeit (ArbZG) oder zum Schutz des Persönlichkeitsrechts der Arbeitnehmer durch das Gebot der Gleichbehandlung (AGG).

Zu diesen gesetzlichen Arbeitnehmerschutzvorschriften treten unternehmensinterne Compliance-Regelungen, die sich das Unternehmen selbst setzt und die das wechselseitige arbeitsvertragliche Pflichtenprogramm mitgestalten. Es handelt sich um Vorgaben des Arbeitgebers an die Arbeitnehmer zur Wahrung sowohl gesetzlicher als auch unternehmensinterner Regelungen. Arbeitgeber fixieren auf diesem Wege unter anderem arbeitnehmerseitige Pflichten, die dazu dienen, die dem Arbeitgeber obliegenden Pflichten zur Überwachung der Einhaltung und Umsetzung gesetzlicher Vorschriften im Betrieb einzuhalten.

Verstöße gegen diese aus Arbeitnehmersicht zu beachtenden Compliance-Regelungen können arbeitsrechtliche Konsequenzen vom Ausspruch einer Abmahnung bis hin zur Kündigung zur Folge haben. Dieser Beitrag beleuchtet den Spezialfall der Verdachtskündigung bei Compliance-Verstößen.

Inhalte von Compliance-Regelungen

Unternehmensinterne Compliance-Regelungen, auch bekannt als Verhaltenskodex oder Betriebsordnung, dienen dem Risikomanagement, sollen transparente Strukturen schaffen und zudem eine effektive Kontrolle und Überwachung des Unternehmens ermöglichen. Hierzu gehören Vorschriften, die das Verhalten gegenüber Wettbewerbern oder den Umgang mit Geschenken, Einladungen und anderen Vorteilen von Mandanten und Dritten regeln. Compliance-Vorschriften können auch regeln, wie sich Arbeitnehmer zu kleiden haben, dass eine Verschwiegenheitspflicht besteht oder ein Rauchverbot während der Arbeitszeit in den Innenräumen gilt. Grundsätzlich wird unterschieden zwischen

  • Compliance-Regelungen, die gesetzlich ohnehin bestehende Pflichten wiederholen (z.B. bei Korruptions- und Schmiergeldverboten),
  • Compliance-Regelungen, die gesetzliche Pflichten konkretisieren (z.B. Pflicht der Arbeitnehmer, bestimmte schwere Gesetzesverstöße beim Arbeitgeber zu melden) sowie
  • Compliance-Regelungen, die die Pflicht zu einem bestimmten Verhalten begründen (z.B. generelle Pflicht der Arbeitnehmer, jede Form des Gesetzesverstoßes beim Arbeitgeber zu melden).

Regelmäßig bestimmen Unternehmen einen sog. Compliance-Officer. Dieser ist u.a. zuständig für die Einrichtung und Betreuung einer Beschwerdestelle, bei welcher Compliance-Verstöße gemeldet werden können. Auch die Aufklärung potentieller Compliance-Verstöße fällt unter die Zuständigkeit des Compliance-Officers.

Einführung der Compliance-Regelungen

Die Einführung von Compliance-Regelungen kann sowohl individualrechtlich durch Ausübung des Direktionsrechts oder Änderung des Arbeitsvertrags als auch kollektivrechtlich durch Tarifvertrag oder Abschluss einer Betriebsvereinbarung erfolgen.

In der Regel bietet sich der Abschluss einer Betriebsvereinbarung an, da zumindest Teile einer Compliance-Richtlinie nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG („Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb“) mitbestimmungspflichtig sind. Die Rechtmäßigkeit der Compliance-Regelungen ist an den gesetzlichen Vorschriften zu messen, etwa an den AGB-rechtlichen Vorschriften der §§ 305 ff. BGB bei arbeitsvertraglichen Regelungen oder an den Vorgaben des BetrVG (etwa § 75 BetrVG) bei Betriebsvereinbarungen.

Verletzung von Compliance-Regelungen

Die Verletzung von Compliance-Regelungen ist für den Arbeitgeber häufig von besonderem Gewicht. Zum einen ist die Einhaltung der Verhaltenspflichten elementar, damit der Arbeitgeber selbst seinen gesetzlichen Überwachungspflichten genügt. Zum anderen kann ein Verstoß gegen Compliance-Regelungen über das individuelle Vertrauensverhältnis zum Arbeitnehmer hinaus negative Auswirkungen für das Betriebsklima und die Außendarstellung des Unternehmens haben.

Arbeitsrechtliche Sanktionen bei Compliance-Verstößen

Arbeitsvertragliche Sanktionen von Verstößen gegen Compliance-Regelungen können etwa in Form von Abmahnung oder Kündigung erfolgen. So sah das LAG Rheinland-Pfalz in einem Urteil vom 26.02.2016 (Az.: 1 Sa 358/15) eine vorwerfbare Pflichtverletzung in der mangelnden Unterrichtung des Arbeitgebers darüber, dass der Arbeitnehmer zu einem Verstoß gegen das Schmiergeldverbot angehalten wurde. Allerdings war die Kündigung mangels vorheriger Abmahnung unwirksam. Zudem erachtete das OLG Düsseldorf arbeitsrechtliche Sanktionen wie Abmahnung und Kündigung für zulässig bei Verstößen gegen die Lenk- und Ruhezeiten für Fahrpersonal (Beschl. v. 21.12.2007 – IV 2 Ss [OWi] 83/07).

Zu entsprechenden arbeitsrechtlichen Sanktionen können Unternehmen gar verpflichtet sein, um sich ihrerseits „compliant“ zu verhalten. Denn für eine verbindliche Geltung bedürfen Compliance-Regelungen der Durchsetzung. Hierzu sind im Falle von Verstößen Konsequenzen erforderlich – anderenfalls würde das gesamt Compliance-System in Frage gestellt.

Da sich die Verhaltenspflichten aus Compliance-Richtlinien oftmals auf das Verhältnis zu Dritten, insbesondere Kunden und Wettbewerbern beziehen, kann es in der Praxis schwierig sein, einen Verstoß des Arbeitnehmers nachzuweisen und aufgrund eines erwiesenen Sachverhalts zu kündigen (sog. Tatkündigung). Haben die internen Ermittlungen („investigation“) zu einem möglichen Compliance-Verstoß zu keinem nachweisbaren Ergebnis geführt, bleibt dem Arbeitgeber das Mittel der sog. Verdachtskündigung. Eine Verdachtskündigung kann sowohl als ordentliche als auch als außerordentliche Kündigung erfolgen. Hierbei sind – neben den bekannten formellen und inhaltlichen Voraussetzungen einer Kündigung – einige Besonderheiten zu beachten.

Besonderheiten bei Verdachtskündigungen

1. Vorliegen einer Straftat oder einer sonstigen schwerwiegenden Verfehlung des Arbeitnehmers

Die in Rede stehende Pflichtverletzung muss von besonderem Gewicht sein. Der Verdacht muss sich entweder auf eine Straftat beziehen (etwa Diebstahl nach § 242 StGB oder Unterschlagung nach § 246 StGB), die erwiesenermaßen von einem Mitarbeiter begangen wurde. Oder es muss – sofern es sich nicht um eine Straftat handelt – eine besonders schwerwiegende Pflichtverletzung im Verdacht stehen. Hierfür bedarf es allerdings des Gewichts eines außerordentlichen Kündigungsgrundes.

2. Objektive Umstände belegen den Verdacht

Der Verdacht muss objektiv durch bestimmte Tatsachen begründet sein.

Allein aus dem Umstand, dass die dem Arbeitnehmer zur Last gelegte Handlung nicht mit letzter Sicherheit erwiesen ist, kann aber umgekehrt nicht gefolgert werden, auch die Verdachtskündigung sei nicht gerechtfertigt. Denn es kommt ja gerade nicht darauf an, dass die Tat erwiesen ist.

3. Dringender Verdacht

Erforderlich ist die zumindest überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass der Arbeitnehmer die ihm vorgeworfene Pflichtverletzung oder Straftat begangen hat. Es kann von Bedeutung sein, ob der verdächtige Arbeitnehmer durch schuldhaftes Verhalten erhebliche Gründe für den Verdacht geliefert und sich nicht um die Aufklärung der ihm zur Last gelegten Taten bemüht hat.

4. Anhörung des Arbeitnehmers

Der Arbeitgeber ist im Rahmen der Aufklärungsmaßnahmen dazu verpflichtet, dem Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung die belastenden Umstände mitzuteilen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Anhörung ist Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung.

Die Anhörung vor Ausspruch einer Verdachtskündigung ist dabei von einer bloßen Befragung im Rahmen interner Compliance-Ermittlungen zu unterscheiden. Zwar kann ein Gespräch mit dem Arbeitnehmer beiden Zwecken dienen – für eine wirksame Verdachtsanhörung muss jedoch ein greifbarer Sachverhalt in Bezug genommen werden. Dem BAG zufolge muss der Arbeitnehmer die Möglichkeit haben, bestimmte, zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen zu bestreiten und Entlastendes vorzutragen (BAG Urt. v. 13.03.2008 – 2 AZR 961/06).

Achtung: Sofern der Arbeitgeber zunächst eine Tatkündigung ausspricht, ist es ihm nicht möglich, während des Prozesses, wenn er seiner Beweispflicht nicht hinreichend nachkommen kann, auf eine Verdachtskündigung umzuschwenken. In diesem Fall mangelt es an der für die Verdachtskündigung erforderlichen Anhörung des Arbeitnehmers. Auch die Anhörung des Betriebsrates nach § 102 BetrVG ist in diesem Fall nicht ordnungsgemäß erfolgt, wenn der Betriebsrat lediglich zu der Tatkündigung angehört wurde.

Dem Arbeitgeber bleibt es aber unbenommen, von Beginn an wegen desselben Sachverhalts sowohl eine Tat- als auch hilfsweise eine Verdachtskündigung aussprechen.

6. Interessenabwägung

Auch bei der fristlosen Verdachtskündigung ist zwischen dem Kündigungsgrund in Form des schwerwiegenden, objektiv begründeten Verdachts und der zweiten Prüfungsstufe, der Interessenabwägung, zu unterscheiden. Das arbeitgeberseitige Interesse an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses muss überwiegen. Es ist darauf abzustellen, ob bereits der Verdacht der Pflichtverletzung eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unzumutbar werden lässt.

Nichtausräumen des Tatverdachts als entscheidendes Kriterium

Entscheidend bei Verdachtskündigungen ist, dass der Arbeitnehmer die vom Arbeitgeber mittels stichhaltigen Beweisen erzeugten Verdachtsmomente nicht ausräumen kann. Dies hob auch das
LAG Mecklenburg-Vorpommern in einer Entscheidung vom 28.03.2023 (Az.: 5 Sa 128/22) hervor.

In dem zugrundeliegenden Rechtsstreit wurde eine ordentliche Verdachtskündigung ausgesprochen. Dem Arbeitnehmer war vom Arbeitgeber – als Compliance-Vorgabe – die Pflicht übertragen worden, selbständig die Arbeitszeiten zu erfassen. Hierzu konnten die Arbeitszeiten online gebucht werden. Im Rahmen der Prüfung der Zeittabellen stellte sich heraus, dass der Arbeitnehmer Zeiten als Arbeitszeit verbucht hatte, zu denen er tatsächlich nicht am Arbeitsplatz anwesend war. Es bestand der Verdacht, dass der Arbeitnehmer sich bereits zu Hause online eingeloggt hatte, sodass die Zeiterfassung zu laufen begann, obwohl er nicht am Arbeitsplatz anwesend war. Der Arbeitnehmer bestritt dies.

Die Urteilsgründe des LAG Mecklenburg-Vorpommern verdeutlichen nochmals die wesentlichen Anforderungen an eine Verdachtskündigung: Es muss sich um den Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung handeln – in vorliegendem Fall nicht nur ein Compliance-Verstoß, sondern Arbeitszeitbetrug. Für diesen Verdacht müssen objektive Anhaltspunkte vorliegen. Diese bestanden hier u.a. in den erfassten Zeiten und Zeugenaussagen. Der Arbeitnehmer hat diese Verdachtsmomente im Rahmen der Anhörung nicht ausgeräumt. Vor diesem Hintergrund war dem Arbeitgeber eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar.

Fazit

Um sich selbst „compliant“ zu verhalten, sind Arbeitgeber gehalten, ihre Compliance-Regelungen auch tatsächlich durchzusetzen. Dazu gehört, im Falle etwaiger Verstöße arbeitsrechtliche Sanktionen zu ergreifen. Lässt sich ein Compliance-Verstoß nicht mit Sicherheit nachweisen, kommt der Ausspruch einer Verdachtskündigung in Betracht. Hierfür bedarf es eines auf objektive Tatsachen gestützten dringenden Verdachts einer schwerwiegenden Pflichtverletzung. Vor Ausspruch der Kündigung ist der Arbeitnehmer anzuhören.