Rz. 24

Nach § 74 Abs. 2 Satz 3 haben Arbeitgeber und Betriebsrat jede parteipolitische Betätigung im Betrieb zu unterlassen. Unter dem Begriff "parteipolitisch" ist jede Betätigung für oder gegen eine politische Partei i. S. v. Art. 21 GG und § 2 Abs. 1 PartG zu verstehen. Diese Regelung, die gleichlautend bereits im Betriebsverfassungsgesetz 1952 enthalten war, rechtfertigt sich daraus, dass parteipolitische Betätigungen des Betriebsrats oder des Arbeitgebers zugunsten von einzelnen Parteien grundsätzlich geeignet sind, die sachgemäße Zusammenarbeit untereinander sowie im Verhältnis zum Arbeitgeber zu erschweren, den Betriebsfrieden infrage zu stellen und die Effektivität der Zusammenarbeit zu vermindern. Daher untersagt das Gesetz generell jede parteipolitische Betätigung. Die abstrakte Gefährdung des Betriebsfriedens, die von jeder parteipolitischen Betätigung grundsätzlich ausgeht, ist ausreichend; darauf, ob eine parteipolitische Betätigung konkret zu einer Gefahr des Betriebsfriedens führen kann, kommt es nicht an (BAG, Beschluss v. 21.2.1978, AP Nr. 1 zu § 74 BetrVG 1972).

Eine parteipolitische Betätigung fehlt, wenn es an einem klar zuzuordnenden Bezug zu einer politischen Partei fehlt. So ist etwa ein allgemeiner Aufruf eines Betriebsrates in einem Tochterunternehmen einer amerikanischen Konzernmutter zum Irak-Krieg mit der Aufforderung "Mr. Bush – Raus aus dem IRAK!" vom LAG Schleswig-Holstein nicht als parteipolitische Betätigung gewertet worden, weil ein Bezug zur deutschen Politik in dem Aufruf gefehlt habe. Da die Meinungen in Deutschland zum Irak-Krieg nicht parteipolitisch gebunden gewesen seien, könne auch kein eindeutiger Bezug der gemachten Äußerung zu einer bestimmten politischen Partei hergestellt werden (vgl. LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 30.09.2008, 2 TaBV 25/08). In einem solchen Fall ist allerdings zu prüfen, ob durch die Veröffentlichung eines derartigen Aufrufs der Arbeitsablauf oder der Betriebsfriede beeinträchtigt werden und sie daher gem. § 74 Abs. 2 BetrVG zu unterlassen ist. Im konkreten Fall hat das LAG Schleswig-Holstein einen Verstoß gegen § 74 Abs. 2 BetrVG durch den Aufruf generell verneint. Nach Ansicht des LAG war die Äußerung gem. § 74 Abs. 2 Satz 3, 2. Halbsatz BetrVG berechtigt. Bei dem Aufruf, den Krieg im Irak zu beenden, habe es sich nämlich um eine Angelegenheit wirtschaftlicher Art, die den Betrieb oder seine Arbeitnehmer unmittelbaren betrafen, gehandelt. Im Mutterkonzern wurden Rüstungsgüter hergestellt, die im Irak-Krieg zum Einsatz kamen. Der Aufruf hat die Frage aufgeworfen, ob es zulässig sein kann, durch die eigene Arbeit einen Krieg zu unterstützen. Diese Frage wiederum hat aber nach Ansicht des LAG Schleswig-Holstein unmittelbare Auswirkungen auf die Mitarbeiter des Betriebs: Wird die Herstellung von Gütern, die in dem Krieg eingesetzt werden, eingestellt, wirkt sich dies zwangsläufig auf den Umsatz des Unternehmens und damit auf die Arbeitsplätze aus. Nach Ansicht des LAG Schleswig-Holstein ist weder zu beanstanden, dass sich die Mitarbeiter mit ihrer Rolle in diesem Zusammenhang auseinandersetzen, noch, dass es dabei auch zu kontroversen Diskussionen im Betrieb kommen kann. Das BAG hat diese Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein bestätigt (BAG, Beschluss v. 17.3.2010, 7 ABR 95/08). Äußerungen allgemeinpolitischer Art ohne Bezug zu einer Partei werden vom Verbot parteipolitscher Betätigung in § 74 Abs. 2 Satz 3 BetrVG nicht erfasst (s. dazu ausführlicher unten unter Rz. 32).

Auch eine allgemeine Aufforderung des Betriebsrates, zur Wahl zu gehen, ist keine parteipolitische Betätigung und daher grundsätzlich nicht zu beanstanden (LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 30.9.2008, a. a. O.).

 

Rz. 25

§ 74 Abs. 2 Satz 3 beschränkt das Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 GG. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss v. 28.4.1976, AP Nr. 2 zu § 74 BetrVG 1972) ist diese Beschränkung jedoch verfassungskonform, weil sich das Verbot der parteipolitischen Betätigung nicht gegen die Meinungsfreiheit als solche richtet, sondern dazu dient, den Betriebsfrieden und damit ein Rechtsgut, dem der Gesetzgeber den Vorrang vor einer uneingeschränkten Meinungsäußerung zuerkannt hat, zu schützen.

Ungeachtet dessen muss der Wertegehalt des Art. 5 GG grundsätzlich beachtet werden. Deshalb muss das die Meinungsfreiheit einschränkende Verbot des Abs. 2 Satz 3 seinerseits einschränkend ausgelegt und angewendet werden (vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss v. 19.5.1992, AP Nr. 12 zu Art. 5 Abs. 1 GG Meinungsfreiheit). So wäre es etwa nicht verfassungsgemäß, wenn ein langjähriges Betriebsratsmitglied aus dem Betriebsrat wegen eines einmaligen Verteilens eines sachlich gehaltenen Wahlaufrufs zugunsten einer Partei, der zu keiner Unruhe im Betrieb geführt hat, ausgeschlossen würde. In einem solchen Fall wäre bei einem Ausschluss die aus Art. 5 GG gebotene Einschränkung der Auslegung und Anwendung des § 74 Abs. 2 Satz 3 nicht beachtet (so bereits ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Personal Office Platin. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge