Rz. 888

Im Rahmen der Berücksichtigung der Altersstruktur besteht für den Arbeitgeber die Möglichkeit, die vergleichbaren Arbeitnehmer in verschiedene Altersgruppen einzusortieren, um so die Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebs i. S. v. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG zu gewährleisten (BAG, Urteil v. 22.3.2012, 2 AZR 167/11[1]). So wird vermieden, dass die Sozialauswahl zwischen sämtlichen in Betracht kommenden Arbeitnehmern durchgeführt werden muss, da eine Auswahl innerhalb der gebildeten Altersgruppen erfolgen kann.[2] Dies soll nach der Rechtsprechung des BAG aber nur dann angezeigt sein, wenn die Altersgruppenbildung dazu führt, dass die bestehende Altersstruktur gewahrt bleibt (BAG, Urteil v. 19.7.2012, 2 AZR 352/11[3] Nach der Rechtsprechung dient die Altersgruppenbildung aber nicht nur einem reinen Arbeitgeberinteresse zur Sicherung der Personalstruktur. Vielmehr kommt es als sozialpolitisches Ziel auch der Gesamtheit der Belegschaft zugute und ist als legitimes Ziel der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik geeignet, eine Ungleichbehandlung gem. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG[4] bzw. § 10 AGG zu rechtfertigen (LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 25.3.2011, 18 Sa 77/10[5]). Denkbar ist z. B. eine Altersgruppenbildung in Dekaden, sodass also jeweils Arbeitnehmer bis zum vollendeten 20., 30., 40., 50. und 57. Lebensjahr, bzw. Arbeitnehmer, die das 57. Lebensjahr bereits vollendet haben, eine Vergleichsgruppe bilden. Allerdings ist eine starre Altersgruppenbildung in 10-Jahres-Schritten nicht zwingend, da lediglich ein in der Sache begründetes plausibles proportionales System zu fordern ist (LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 25.3.2011, 18 Sa 77/10[6]). Eine solche Gruppenbildung bietet nach Ansicht des BAG eine besondere Gewähr für eine sachgerechte Lösung unter Berücksichtigung der betrieblichen und arbeitnehmerseitigen Interessen (BAG, Urteil v. 23.11.2000, 2 AZR 533/99[7]). Eine enger gestaffelte Altersgruppenbildung – in Abständen von 5 Lebensjahren – hielt das LAG Düsseldorf in einer zuvor ergangenen Entscheidung für "noch vertretbar" (LAG Düsseldorf, Urteil v. 17.3.1999, 9 (6) Sa 84/00[8]). Das BAG hat diese Rechtsprechung bestätigt und entschieden, dass der Arbeitgeber bei der Bildung der Altersgruppen einen gewissen Beurteilungsspielraum hat. Die Bildung von Altersgruppen in Schritten von 5 Jahren ist trotz damit einhergehender "Verzerrungen" nach Ansicht des BAG zulässig (BAG, Urteil v. 20.4.2005, 2 AZR 201/04[9]). Als zulässig wertete das BAG – schon nach Inkrafttreten des AGG, allerdings bezogen auf eine Kündigung, die vor Inkrafttreten des AGG ausgesprochen wurde – auch die Altersgruppenbildung in 3 Dekaden: 30–40 Jahre/41–50 Jahre/51–60 Jahre (BAG, Urteil v. 6.9.2007, 2 AZR 387/06[10]).

 

Rz. 889

Auch unter Berücksichtigung des AGG erklärte das BAG die Bildung von Altersgruppen für zulässig (BAG, Urteil v. 6.11.2008, 2 AZR 523/07[11]). Zwar liegt auch hier eine unterschiedliche Behandlung aufgrund des Alters vor, diese ist jedoch gerechtfertigt: Sie wirkt der Überalterung des Betriebs entgegen und relativiert damit zugleich die Bevorzugung älterer Arbeitnehmer. Die Frage ist mittlerweile allerdings vom Arbeitsgericht Siegburg auch dem EuGH vorgelegt worden (ArbG Siegburg, Beschluss v. 27.1.2010, 2 Ca 2144/09[12]). Eine Entscheidung des EuGH hierzu gibt es jedoch nicht, da das Verfahren durch einen Vergleich beendet wurde. Ob jedenfalls ein berechtigtes betriebliches Bedürfnis am Erhalt einer ausgewogenen Altersstruktur besteht, ist nach Ansicht des Gerichts immer im Hinblick auf die speziellen Betriebszwecke und ggf. deren Umsetzung zu entscheiden. Sofern jedoch die Anzahl der Entlassungen innerhalb einer Altersgruppe vergleichbarer Arbeitnehmer im Verhältnis zu der Anzahl aller Arbeitnehmer des Betriebes die Schwellenwerte des § 17 KSchG erreicht, nimmt die Rechtsprechung ein berechtigtes aber widerlegbares betriebliches Interesse an der Beibehaltung der Altersstruktur an (BAG, Urteil v. 22.3.2012, 2 AZR 167/11[13]). Bleibt die Anzahl der Kündigungen jedoch unter den Schwellenwerten des § 17 KSchG, so bedarf es von Seiten des Arbeitgebers darüber hinaus eines eingehenden und die nachteiligen Wirkungen einer veränderten Altersstruktur konkret und schlüssig aufzeigenden Vortrages, um ein berechtigtes betriebliches Interesse an der Sicherung der bestehenden Altersstruktur aufzuzeigen (BAG, Urteil v. 18.3.2010, 2 AZR 468/08[14]).

 

Beispiel für eine Altersgruppenbildung

 
Altersgruppe Anzahl Mitarbeiter Prozentuale Verteilung Anzahl betroffener Mitarbeiter
≤ 20 Jahre 0 0 % 0
20 bis 24 Jahre 10 2,43 % 2
25 bis 29 Jahre 51 12,41 % 9
30 bis 34 Jahre 77 18,74 % 13
35 bis 39 Jahre 104 25,30 % 18
40 bis 44 Jahre 85 20,68 % 14
≥ 45 Jahre 84 20,44 % 14
Gesamt 411 100,00 % 70
 

Rz. 890

Bei der Gruppenbildung ist darauf zu achten, dass das Ziel des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG, nämlich der Erhalt einer ausgewogenen Personalstruktur, erreicht werden kann: Sowohl zu große als auch zu kleine Vergleichseinheiten bergen M...

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