Rz. 320

Der Verdacht einer Pflichtverletzung stellt gegenüber dem verhaltensbezogenen Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Pflichtverletzung tatsächlich begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (BAG, Urteil v. 18.6.2015, 2 AZR 256/14[1]). Kündigungsentschluss bei der Verdachtskündigung ist der auf objektive Tatsachen gegründete starke Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens (BAG, Urteil v. 27.11.2008, 2 AZR 98/07[2]). Der Arbeitgeber begründet also seine Kündigung damit, gerade der Verdacht eines – nicht erwiesenen – vertragswidrigen Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört. Der durch den Verdacht bewirkte Verlust der Vertrauenswürdigkeit kann einen Eignungsmangel begründen, der damit einen Kündigungsgrund in der Person des Arbeitnehmers darstellt, auch wenn die den Verdacht und den daraus folgenden Vertrauensverlust begründenden Umstände nicht unmittelbar mit seiner Person zusammenhängen müssen (BAG, Urteil v. 31.1.2019, 2 AZR 426/18[3]).

 

Beispiel

Anlässlich einer Stichprobenkontrolle stellt der Arbeitgeber fest, dass der Arbeitnehmer mehrfach gegen die Verpflichtung verstößt, verkaufte Ware zu bonieren. Eine unerlaubte Geldentnahme des Arbeitnehmers kann er nicht positiv feststellen. Bei der Kassenabrechnung ergibt sich allerdings kein Überschuss. Hieraus zieht er den dringenden Verdacht, dass der Arbeitnehmer eingenommene Gelder unterschlägt.

 

Rz. 321

Voraussetzung für die Rechtswirksamkeit einer Verdachtskündigung ist, dass der Verdacht auf konkrete Tatsachen gestützt ist, welche sich aus Umständen ergeben, die so beschaffen sind, dass sie einen verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zum Ausspruch der Kündigung veranlassen können. Es kommt nicht darauf an, dass eine Tat nachgewiesen werden kann, sondern darauf, ob die vom Arbeitgeber zur Begründung des Verdachts vorgetragenen Tatsachen vorliegen und den Verdacht rechtfertigen. Der Verdacht muss dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Spekulationen oder Verdächtigungen reichen nicht aus (BAG, Urteil v. 2.3.2017, 2 AZR 698/15[4]). An die Darlegung und die Qualität der schwerwiegenden Verdachtsmomente sind deswegen besonders strenge Anforderungen zu stellen, weil bei einer Verdachtskündigung immer die Gefahr besteht, dass ein "Unschuldiger" betroffen ist. Zur Wirksamkeit der Verdachtskündigung ist daher erforderlich, dass der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen hat, wobei sich der Umfang der Nachforschungspflichten nach den Umständen des Einzelfalls richtet (BAG, Urteil v. 29.11.2007, 2 AZR 724/06[5]). Für die außerordentliche Kündigung gilt aber in Bezug auf die 2-Wochen Frist gem. § 626 Abs. 2 BGB, dass der Arbeitgeber aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile Ermittlungen durchführen muss, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts und der Beweismittel verschaffen sollen. Dabei ist fallbezogen zu beurteilen, ob diese Ermittlungen hinreichend zügig betrieben wurden. Sind diese abgeschlossen und hat der Arbeitgeber hinreichende Kenntnis vom Kündigungssachverhalt, beginnt der Lauf der Ausschlussfrist ungeachtet dessen, ob die Ermittlungsmaßnahmen tatsächlich zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen haben oder überflüssig waren (BAG, Beschluss v. 27.6.2019, 2 ABR 2/19[6]).

 

Rz. 322

Eine Verdachtskündigung kann zwar als ordentliche oder außerordentliche Kündigung ausgesprochen werden. Sie ist aber auch als ordentliche Kündigung sozial nur gerechtfertigt, wenn Tatsachen vorliegen, die zugleich eine außerordentliche, fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten (BAG, Urteil v. 31.1.2019, 2 AZR 426/18[7]). Dies gilt einerseits für die Anforderungen an die Dringlichkeit des Verdachts als solchen, der sowohl für die außerordentliche als auch für die ordentliche Verdachtskündigung gleichermaßen erdrückend sein muss, als auch andererseits für die inhaltliche Bewertung des fraglichen Verhaltens und die Interessenabwägung. Bei der ordentlichen Verdachtskündigung müssen die Prüf- und Abwägungspunkte – ebenfalls – zu dem Ergebnis führen, dass das Verhalten, dessen der Arbeitnehmer verdächtig ist – wäre es erwiesen –, sogar eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen würde. Nur unter dieser Voraussetzung ist die Kündigung schon durch den bloßen Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens i. S. v. § 1 Abs. 2 KSchG "bedingt" (BAG, Urteil v. 18.6.2015, 2 AZR 256/14[8]; BAG, Urteil v. 21.11.2013, 2 AZR 797/11[9]). Das Gericht muss bei einer Verdachtskündigung mit dem nach § 286 Abs. 1 ZPO erforderlichen Grad an Gewissheit zu der Überzeugung gelangen, der Arbeitnehmer weise aufgrund des Verdachts einer schwerwiegenden Pflichtverletzung einen Eignungsmangel auf. Dazu müssen die den Verdacht begründenden (Indiz-)Tatsachen ihrerseits unstreitig sein oder vom Arbeitgeber "voll" bewiesen werden.

 

Rz. 323

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