Urteil: Außerordentliche Kündigung ohne Beweis des Grundes

Bei einer außerordentlichen Kündigung ist der Arbeitgeber für das dem Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerin vorgeworfene vertragsverletzende Verhalten darlegungs- und beweispflichtig. Er muss die Anhaltspunkte, aufgrund derer die Kündigung erfolgt, schlüssig vortragen. Das zeigt eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln hatte in der Berufungsinstanz über die Rechtmäßigkeit einer fristlosen Kündigung zu entscheiden. Ein Arbeitnehmer war seit dem 1. August 2012 als Bezirksleiter bei seinem Arbeitgeber, einem Getränkegroßbetrieb, beschäftigt. Im Dezember 2019 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht.

Fall vor dem LAG Köln: die Begründung im Kündigungsschreiben

Im Kündigungsschreiben teilte er zur Begründung mit, der Arbeitnehmer habe sechs Fantasiekunden im IT-System angelegt und habe diesen einen Rabatt von 95 Prozent eingerichtet. Innerhalb eines Monats habe es mit diesen Fantasiekunden 423 Geschäftsvorgänge gegeben, bei denen insgesamt ein Schaden von mehreren hunderttausend Euro entstanden sei. Das IT-Systemprotokoll weise aus, dass diese Kunden von ihm angelegt worden seien. Das habe die Firma nachgewiesen, die für die Systemadministration zuständig sei. Die Kunden seien vom Computer des Arbeitnehmers aus erstellt worden und von dessen Laptop. An die Daten des Computers und des Laptops komme man nur mit einem persönlichen Passwort.

Kein konkreter Nachweis für die Tatvorwürfe

Der Arbeitnehmer bestritt diese Vorwürfe. Er habe keine Manipulation vorgenommen. Er habe keine Pseudokunden angelegt. Er habe keine Herausgabe von Ware mit einem Rabattsatz in Höhe von 95 Prozent an spezielle Kunden veranlasst. Seine Computer-Passwörter seien etlichen Personen im Betrieb bekannt gewesen. Auf seinen Namen sei von anderen Personen häufiger gebucht und kassiert worden. Der vom Arbeitgeber vorgelegte Screenshot, demzufolge er in der Zeit vom 8. Juli bis 3. August 2019 Betrugsbuchungen vorgenommen haben soll, könne nicht richtig sein, da er in diesem Zeitraum gar nicht im Betrieb, sondern im Urlaub gewesen sei. Der Arbeitgeber beharrte auf der Kündigung, ohne konkrete Nachweise für die Täterschaft des Arbeitnehmers vorzulegen und ohne Zeugen zu benennen, die den Verdacht hätten bestätigen können.

Außerordentliche Kündigung: Arbeitgeber muss Vorwürfe beweisen

Das LAG Köln gab der Kündigungsschutzklage wegen des Fehlens einer hinreichenden Konkretisierung der Vorwürfe statt. Dem Arbeitgeber sei es nicht gelungen, einen wichtigen Grund für die außerordentliche Kündigung schlüssig darzulegen. Der Vorwurf, der Mitarbeiter habe im IT-System Fantasiekunden angelegt mit dem Ziel, sich selbst oder Dritte auf Kosten des Arbeitgebers zu bereichern, könne zwar ohne Weiteres einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darstellen, also einen hinreichenden Grund, ein Arbeitsverhältnis fristlos zu beenden, so das LAG Köln.

Dazu reiche es aber nicht aus, dass die Täterschaft lediglich behauptet wird. Der Arbeitgeber habe keine Tatsachen dargelegt, aus denen gefolgert werden könnte, dass es tatsächlich dieser Arbeitnehmer und niemand anderes war, der die Eintragungen vorgenommen hat. Es sei Sache des Arbeitgebers, die Täterschaft des Arbeitnehmers zu beweisen und im Prozess bei einem Bestreiten der Vorwürfe durch den Arbeitnehmer mit einem konkretisierenden Vortrag dessen Täterschaft darzulegen. Der Arbeitnehmer hat seine Täterschaft nicht nur pauschal bestritten und auf einen unbekannten Dritten verwiesen, sondern darüber hinaus vorgetragen, wer im Betrieb Zugriff auf das IT-System hat, auf seine Hardware und auf seine Passwörter. Der Vortrag des Arbeitgebers sei zu vage. Es reiche nicht aus, Excel-Tabellen vorzulegen, aus denen sich angeblich Berechnungen von Fehlbeträgen ergeben, die aber nicht eindeutig Handlungen des Mitarbeiters zuzurechnen sind.  

Darlegungs- und Beweislast ist bei Verdachtskündigung hoch

Aufgrund der Gefahr, dass durch eine Verdachtskündigung ein Unschuldiger seine Arbeit verlieren kann, ist es dem Arbeitgeber in besonderem Maße zuzumuten, Sachverhaltsaufklärung zu betreiben und nicht nur den betroffenen Arbeitnehmer zu den Vorwürfen anzuhören, sondern alle zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen zur Aufklärung des Sachverhaltes auszuschöpfen. Das hat der Arbeitgeber im vorliegenden Fall nicht getan.

Die Entscheidung des LAG Köln zeigt, wie wichtig die prozessuale Darlegungs- und Beweislast ist. Wer im Kündigungsschutzprozess erhobene Vorwürfe nicht dokumentieren kann, wird stets als Verlierer den Gerichtssaal verlassen.

Hinweis: Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 8. Juni 2021, Az: 6 Sa 723/20


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