Rz. 7b

Neben dem unmittelbaren Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion können Hilfsmittel den Zweck haben, die indirekten Folgen der Behinderung auszugleichen. Hier spricht man vom sog. mittelbaren Behinderungsausgleich. Der mittelbare Behinderungsausgleich setzt da an, wo ein unmittelbarer Ausgleich (Rz. 7a) nicht möglich ist oder nicht ausreicht und gleicht die Folgen einer nicht mehr ausreichenden Fähigkeit bzw. eines nicht mehr ausreichend funktionierenden Sinnesorgans aus.

 
Praxis-Beispiel
  • Ein Rollstuhl kann nicht das Gehen ermöglichen, aber die Fortbewegung sichern.
  • Eine Klingelleuchte für Hörgeschädigte kann zwar nicht das Hören ersetzen, allerdings auf das Klingeln aufmerksam machen.

Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich sind im Rahmen des § 33 SGB V bzw. § 47 SGB IX nur zu bewilligen, wenn sie die Behinderung im täglichen Leben beseitigen oder mildern und dem Betroffenen ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens ermöglichen. Zu diesen allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehören das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme, das Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums, z. B. auch zum Aufsuchen von Ärzten und Therapeuten (BSG, Urteil v. 19.4.2007, B 3 KR 9/06 R).

Zu den Hilfsmitteln im Rahmen des mittelbaren Behinderungsausgleichs zählen z. B. Badewannenlifter, Duschhocker, Unterarmstützen, Sitzschalenstühle, Toilettenstühle, Alltagshilfen/Adaptionen, Reha-Kinderwagen, behindertengerechte PCs und Blindenführhunde. Für die Beurteilung des Leistungsanspruchs sind sowohl das Behinderungsbild als auch die gesamte Lebenssituation des behinderten Menschen einschließlich seiner Kontextfaktoren (= gesamter Lebenshintergrund) entsprechend zu würdigen.

Zum Anspruch bzw. Leistungsumfang befasste sich insbesondere das BSG mit Urteil v. 29.4.2010 (B 3 KR 5/09 R), welches zwar zu § 33 SGB V ergangen ist, allerdings wegen § 7 Abs. 1 SGB IX und aufgrund Rz. 20 des Urteils des BSG v. 10.3.2010 (B 3 KR 1/09 R) auch auf die Vorschrift des (heutigen) § 47 (= Hilfsmittel im Rahmen der medizinischen Rehabilitation) zu übertragen ist. Danach ist der Rehabilitationsträger im Rahmen des mittelbaren Behinderungsausgleichs nur für den sog. Basisausgleich eintrittspflichtig. Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist bei krankenversicherten Leistungsberechtigten von der Krankenkasse nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung nicht nur in einem bestimmten Lebensbereich (Beruf/Gesellschaft/Freizeit), sondern im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mindert. 

Zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehören

  • die körperlichen Grundfunktionen (z. B. die Bewegungsfreiheit wie das Gehen, das Stehen, das Treppensteigen, das Sitzen, das Liegen, das Greifen, das Sehen, das Sprechen, das Hören, die Nahrungsaufnahme, das Ausscheiden),
  • die allgemeinen Verrichtungen des täglichen Lebens (z. B. die elementare Körperpflege, das An- und Auskleiden, das selbstständige Wohnen, die Möglichkeit, die Wohnung zu verlassen und die Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind),
  • die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums im Nahbereich der Wohnung (z. B. die Aufnahme von Informationen, die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens [Schulwissen] sowie die Integration eines behinderten Kindes in die Gruppe Gleichaltriger; Näheres hierzu ergibt sich aus Rz. 8) sowie 
  • die Warnung bei Gefahren; gehörlose Versicherte haben z. B. regelmäßig gegen ihre Krankenkasse Anspruch auf Versorgung mit einem ihren Bedürfnissen angepassten Rauchwarnmeldesystem (BSG, Urteil v. 18.6.2014, B 3 KR 8/13 R).

Außerdem besteht bei einem Hilfsmittel, dass lediglich die Behinderung mittelbar ausgleicht, kein Anspruch auf ein teureres Hilfsmittel, soweit die kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell in gleicher Weise geeignet ist (BSG, Urteil v. 18.6.2014, B 3 KR 8/13 R).

Für den Ausgleich darüber hinausreichender Behinderungsfolgen haben ggf. andere Sozialleistungssysteme als die Krankenkasse Sorge zu tragen (z. B. der Träger der Eingliederungshilfe im Rahmen der Leistungen zur sozialen Teilhabe; vgl. BSG, Urteile v. 17.12.2009, B 3 KR 20/08 R, sowie v. 16.7.2014, B 3 KR 1/14 R).

Im Übrigen werden Freizeitbeschäftigungen – welcher Art auch immer – vom Begriff des vitalen Lebensbedürfnisses bzw. des allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens nicht erfasst (BSG, Urteil v. 23.7.2002, B 3 KR 3/02 R).

Auch die behinderungsgerechte Badekleidung (= nur mittelbarer Behindertenausgleich) zum Freizeitschwimmen oder Trainings- und Fitnessgeräte zählen nicht zu den Hilfsmitteln i. S. d. § 47.

Wie beim unmittelbaren Behinderungsausgleich haben die Rehabilitationsträger speziellen Wünschen im Hinblick auf Komfort oder Ästhetik nur nachzuk...

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