Rz. 6

Nach § 3 Abs. 3 Satz 2 GG darf kein Mensch wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Als Behinderung gilt gemäß der UN-Behindertenrechtskonvention eine Abweichung der Gesundheit, welche nicht nur vorübergehend Barrieren aufbaut, die den betreffenden Menschen daran hindern, wie ein gesunder Mensch am allgemeinen gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Danach zählen zum Personenkreis mit Behinderung Menschen, die langfristige (= über 6 Monate hinaus dauernde) körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können. Somit wird Behinderung nicht als ein fest definiertes Konzept verstanden; vielmehr ist der Begriff dynamisch auszufüllen und von den jeweiligen Wechselbeziehungen mit umweltbezogenen und personenbedingten Kontextfaktoren abhängig (vgl. Art. 1 Abs. 2 UN-BRK, Einzelheiten: vgl. Komm. zu § 2). Dadurch kommt zum Ausdruck, dass sich die Behinderung erst durch gestörte oder nicht entwickelte Interaktion zwischen dem Individuum und seiner materiellen und sozialen Umwelt manifestiert.

 
Praxis-Beispiel

Zwei Rentner leiden unter einer koronaren Herzerkrankung und leben in demselben Mehrfamilienhaus – der eine in einer Wohnung im Erdgeschoss, die andere im 3. Obergeschoss. Einen Aufzug gibt es im Haus nicht. Aufgrund der Erkrankung kann der eine Rentner nicht mehr seine Wohnung im 3. Obergeschoss erreichen. Deshalb verlässt er seine Wohnung nicht mehr. Der andere Rentner hat im Alltag noch keine Einschränkungen bei der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben; er kann ohne Barrieren seine Wohnung betreten und verlassen und noch wie gewohnt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen.

Bei dem Rentner, der seine Wohnung nicht mehr verlässt, liegt wegen der Teilhabeeinschränkung bereits eine Behinderung vor, bei dem anderen noch nicht.

Der Gesetzgeber strebt mit § 1 Satz 1 vor allem 3 Ziele an:

  1. Die Förderung der Selbstbestimmung behinderter Menschen (vgl. Rz. 7 ff.),
  2. die Förderung einer gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (vgl. Rz. 7 f.) und
  3. die Vermeidung einer Benachteiligung gegenüber nicht behinderten Menschen (vgl. Rz. 11 f.).
 

Rz. 6a

Mit Einführung des SGB IX im Jahr 2001 wurde der Begriff der "Teilhabe" (Partizipation) eingeführt. Unter Teilhabe versteht man den Anspruch des behinderten bzw. chronisch kranken Menschen auf das Eingebunden-sein in das schulische, berufliche oder gesellschaftliche Leben, sei es z. B. zu Hause, im Beruf, im Freundeskreis oder in der "allgemeinen" Gesellschaft. Dazu zählt auch, dass sich der behinderte bzw. von Behinderung betroffene Mensch selbst versorgen kann.

Der seit dem 1.7.2001 verwendete Begriff der Teilhabe ist wesentlich umfassender als der bis dahin verwendete Begriff der Rehabilitation. Das Wort "Rehabilitation" hat seinen Ursprung im Lateinischen und bedeutet so viel wie "Wiedereingliederung (einer behinderten Person in das berufliche bzw. gesellschaftliche Leben)". Die Silbe "Re" (= wieder) des Wortes berücksichtigt nur einen Aspekt, nämlich den des Wiedereingliederns. Menschen, die behindert geboren werden, können nicht wieder eingegliedert werden, sie sind einzugliedern. Insofern ist der Begriff der Teilhabe der präzisere bzw. alles umfassende. Das Wort Rehabilitation wird deshalb heute im Wesentlichen nur noch im Zusammenhang mit den Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (§ 5 Nr. 1 i. V. m. §§ 42 ff.) verwendet.

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