Entscheidungsstichwort (Thema)

Pfändung von verschleiertem Arbeitseinkommen. Angemessene Vergütung des Vorstands einer Aktiengesellschaft

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Pfändung von "Arbeitseinkommen" erfasst grundsätzlich auch verschleiertes Arbeitseinkommen i.S.v. § 850h Abs. 2 ZPO.

2. Bei der Frage, ob die Bezüge des Vorstands einer Aktiengesellschaft unangemessen niedrig sind, kommt es vor allem auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens und auf die Art der Tätigkeit des Vorstands an. Befindet sich das Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten, kann es dennoch angemessen erscheinen, dem Vorstand hohe Bezüge zu zahlen, wenn dessen Tätigkeit im Hinblick auf die Zukunft des Unternehmens mit besonderer Verantwortung und mit besonderen Anforderungen verbunden ist.

3. Wird die Aktiengesellschaft als Drittschuldnerin wegen verschleierter Bezüge ihres Vorstands in Anspruch genommen, obliegt ihr eine sekundäre Darlegungslast, soweit es um die internen Verhältnisse des Unternehmens geht. Unklare, unvollständige oder widersprüchliche Darlegungen der Drittschuldnerin können sich im Zivilprozess zu ihren Lasten auswirken.

4. Weichen die Angaben der Drittschulderin im Prozess (angebliche Beschränkung des Unternehmens auf reine Abwicklungsmaßnahmen) von ihrer Selbstdarstellung in den Geschäftsberichten ab ("Neuausrichtung des Geschäftsmodells" mit hohen Anforderungen an die Tätigkeit des Vorstands), obliegt es der Drittschuldnerin, diese Widersprüche auszuräumen, bzw. plausibel zu erläutern.

 

Normenkette

ZPO § 850h Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Konstanz (Urteil vom 14.07.2010; Aktenzeichen 7 O 15/10 KfH)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG Konstanz vom 14.1.2011 im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:

Das Versäumnis-Urteil des LG Konstanz vom 14.7.2010 - 7 O 15/10 KfH - wird aufrechterhalten, soweit die Beklagte verurteilt wurde, an den Kläger 68.128,46 EUR zzgl. Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.12.2009 zu bezahlen.

Im Übrigen wird das Versäumnis-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.

2. Die weiter gehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

3. Die durch die Säumnis der Beklagten im Termin vom 14.7.2010 vor dem LG veranlassten Kosten trägt die Beklagte. Im Übrigen tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen die Beklagte zu 3/5 und der Kläger zu 2/5.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können eine Vollstreckung der jeweiligen Gegenseite abwenden durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Das klagende Land macht aus übergegangenem Recht Gehaltsansprüche geltend, die der Vorstand N. B. gegen die Beklagte, bei der es sich um eine Aktiengesellschaft handelt, erworben habe.

Der Vorstand der Beklagten, N. B., hat aus den Jahren 1995 bis 1998 Steuerschulden gegenüber dem Finanzamt. In einer Aufstellung vom 17.8.2005 (Anlage K 1) bezifferte das Finanzamt die titulierten Rückstände einschließlich Zinsen, Säumniszuschlägen und Vollstreckungskosten auf 473.367,40 EUR. Mit einer Pfändungsverfügung vom selben Tag (Anlage K 3) pfändete das Finanzamt wegen dieser Forderungen Ansprüche des Steuerschuldners N. B. aus Arbeitseinkommen gegen die Beklagte. Das Finanzamt ordnete gleichzeitig die Einziehung der gepfändeten Forderungen an. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Pfändungsverfügung (Anlage K 3) verwiesen.

Der Steuerschuldner N. B. und die Beklagte schlossen am 23.10.2003 einen Dienstvertrag (Anlage K 2) ab. In diesem Vertrag wurde geregelt, dass N. B. für seine Tätigkeit als Vorstand der Beklagten ein monatliches Gehalt i.H.v. 7.500 EUR brutto erhalten sollte. Hinzu kamen ein 13. und ein 14. Monatsgehalt in gleicher Höhe als Urlaubs- und Weihnachtsgeld (vgl. § 3 des Vertrages).

Der Kläger hat im Verfahren vor dem LG Auszahlung der gepfändeten Gehaltsansprüche des Vorstandes N. B. für die Zeit von Juli 2008 bis Dezember 2009 verlangt. Der Kläger hat einen Zahlungsbetrag i.H.v. insgesamt 113.011,44 EUR zzgl. Zinsen errechnet.

Mit Versäumnis-Urteil vom 14.7.2010 hat das LG die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 113.011,44 EUR zzgl. Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 18.12.2009 verurteilt. Gegen dieses Versäumnis-Urteil hat die Beklagte Einspruch eingelegt. Sie hat sich damit verteidigt, die Pfändungsverfügung des Finanzamtes vom 17.8.2005 sei ins Leere gegangen. Denn mit einer schriftlichen Vereinbarung vom 27.6.2008 (Anlage K 11) sei der Dienstvertrag des Vorstandes N. B. geändert worden. Das Nettogehalt sei ab dem 1.7.2008 auf 1.769,99 EUR monatlich herabgesetzt worden. Da dieser Betrag dem pfändungsfreien Betrag gem. § 850c Abs. 1 ZPO entspreche, sei das verminderte Gehalt an den Vorstand N. B. ausgezahlt worden. Dem Kläger stehe ein Anspruch nicht zu.

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