Rz. 6

Nach dem klaren Wortlaut des § 12 EFZG sind alle Vereinbarungen, die nicht zugunsten der Arbeitnehmer (bzw. der nach §§ 10 und 11 EFZG Berechtigten) oder in Anwendung der gesetzlichen Öffnungsklausel nach § 4 Abs. 4 EFZG von § 12 EFZG abweichen, nicht zulässig. Dies gilt grundsätzlich für alle Arten von Vereinbarungen, also sowohl für die Normen von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen als auch für einzelvertragliche Vereinbarungen. Reinhard[1] weist zu Recht darauf hin, dass gerade bei Letzteren die Gefahr groß sei, dass es zu Gesetzesverletzungen kommt. Im Einzelnen gilt Folgendes:

[1] ErfK/Reinhard, 23. Aufl. 2023, § 12 EFZG, Rz. 4.

2.2.1 Tarifvertrag

 

Rz. 7

Grundsätzlich darf durch Tarifverträge nicht zuungunsten der Arbeitnehmer bzw. der in §§ 10 und 11 EFZG genannten Personen abgewichen werden. Eine Ausnahme nennt § 12 EFZG selbst, indem auf § 4 Abs. 4 EFZG verwiesen wird. Dort ist geregelt, dass durch Tarifvertrag eine abweichende Bemessungsgrundlage des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts festgelegt werden kann.[1]

 

Rz. 8

Keinen Verstoß gegen § 12 EFZG stellen Fallgestaltungen dar, in denen Ansprüche kraft einer tariflichen Ausschlussfrist[2] nach Ablauf bestimmter Fristen erlöschen.[3] Das Bundesarbeitsgericht (BAG) argumentiert, diese Fristen für die Geltendmachung von Entgeltfortzahlungsansprüchen beträfen nicht den Inhalt des Anspruchs, sondern lediglich dessen Geltendmachung und zeitliche Begrenzung, sodass insgesamt keine Abweichung vom Entgeltfortzahlungsgesetz gegeben sei. In einer neueren Entscheidung bestätigt das BAG[4], dass dies auch für einzelvertraglich vereinbarte Ausschlussfristen gilt.[5]

Einschränkend hat das BAG[6] entschieden, dass der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns nicht einer Ausschlussfrist unterworfen werden kann.

 

Rz. 9

Gem. § 10 Abs. 4 EFZG kann durch Tarifvertrag für in Heimarbeit Beschäftigte vereinbart werden, dass sie statt des Zuschlags nach § 10 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EFZG diejenige Entgeltfortzahlung erhalten, die Arbeitnehmern im Falle von Arbeitsunfähigkeit nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz zusteht.[7] Dies gilt selbst dann, wenn diese Regelung im Einzelfall für den Heimarbeiter ungünstiger ist.[8]

[1] Vgl. zu § 4 Abs. 4 EFZG insgesamt Neumann-Redlin, § 4 EFZG, Rz. 129 ff.
[2] Vgl. hierzu: Bauer, NZA 1987, 440.
[3] BAG, Urteil v. 16.1.2002, 5 AZR 430/00, AP Nr. 13 zu § 3 EntgeltFG, DB 2002, S. 797; vgl. auch BAG, Urteil v. 21.1.2010, 6 AZR 556/07, AP Nr. 3 zu § 611 BGB Arbeitgeberdarlehen, DB 2010, S. 675.
[4] BAG, Urteil v. 25.5.2005, 5 AZR 572/04, NZA 2005, 1111, DB 2005, S. 2136, AP Nr. 1 zu § 310 BGB.
[5] Vgl. zuvor bereits LAG Köln, Urteil v. 18.11.1996, 3 Sa 852/96, BB 1997, S. 1263.
[6] Urteil v. 20.6.2018, 5 AZR 377/17, AP Nr. 1 zu § 3 MiLoG, NZA 2018, S. 1494; vgl. für den Anspruch auf Feiertagsentgelt auch BAG, Urteil v. 30.1.2019, 5 AZR 43/18, AP Nr. 75 zu § 307 BGB, NZA 2019, 768; ausführlich und kritisch Schmitt/Schmitt, EFZG, 9. Aufl. 2023, § 12 EFZG, Rz. 10 f.
[7] Vgl. hierzu Zimmermann, § 10 EFZG, Rz. 14.
[8] Wedde/Kunz, EFZG, 4. Aufl. 2015, § 12 EFZG, Rz. 5; HWK/Vogelsang, 10. Aufl. 2022, § 12 EFZG, Rz. 2.

2.2.2 Betriebsvereinbarung

 

Rz. 10

Betriebsvereinbarungen werden zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat abgeschlossen und gestalten unmittelbar und zwingend die betrieblichen Arbeitsverhältnisse (§ 77 BetrVG). Durch sie kann nicht zuungunsten der Arbeitnehmer von den Vorschriften des Entgeltfortzahlungsgesetzes abgewichen werden; gleichwohl abgeschlossene Betriebsvereinbarungen sind unwirksam.[1] Wegen der Vorschrift des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG, wonach Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein können, sind Abweichungen i. S. d. § 12 EFZG durch Betriebsvereinbarungen ohnehin selten.

Vom Verbot des § 12 EFZG erfasst werden auch Vereinbarungen zwischen dem Arbeitgeber und dem Sprecherausschuss für Leitende Angestellte (vgl. § 28 SprAuG) sowie Dienstvereinbarungen.[2]

[1] Wedde/Kunz, EFZG, 4. Aufl. 2015, § 12 EFZG, Rz. 6; vgl. zu abändernden Betriebsvereinbarungen über Entgeltfortzahlung BAG, Urteil v. 15.11.2000, 5 AZR 310/99, NZA 2001, 900, DB 2001, S. 1835, AP Nr. 84 zu § 77 BetrVG 1972; Knorr/Krasney/v. Creytz, EFZ, Loseblatt, Stand 07/2023, G, S. 202, Rz. 3.
[2] Schmitt/Schmitt, EFZG, 9. Aufl. 2023, § 12 EFZG, Rz. 19.

2.2.3 Bindende Festsetzungen nach § 19 HAG

 

Rz. 11

Nach § 19 HAG kann der Heimarbeitsausschuss[1] Entgelte und sonstige Vertragsbedingungen mit bindender Wirkung für alle Auftraggeber und Beschäftigten seines Zuständigkeitsbereichs festsetzen. Auch diese Festsetzungen dürfen nicht zuungunsten der in Heimarbeit Beschäftigten[2] bzw. der ihnen Gleichgestellten[3] von den Vorschriften der §§ 10 und 11 EFZG abweichen.[4]

[4] ErfK/Reinhard, 23. Aufl. 2023, § 12 EFZG, Rz. 4; Knorr/Krasney/v. Creytz, EFZ, Loseblatt, Stand 07/2023, G, S. 203 f., Rz. 7.

2.2.4 Einzelvertragliche Vereinbarungen

 

Rz. 12

Auch einzelvertragliche Abweichungen von den Vorschrift...

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