Rz. 129

Die Tariföffnungsklausel des § 4 Abs. 4 Satz 1 EFZG ermöglicht es den Tarifvertragsparteien, eine von den Absätzen 1, 1a und 3 des § 4 EFZG abweichende Bemessungsgrundlage des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts festzulegen. "Bemessungsgrundlage" im Sinne dieser Vorschrift ist die Grundlage für die Bestimmung der Höhe der Entgeltfortzahlung.[1] Dies ist insofern von Bedeutung, als zwar grundsätzlich von allen Parteien (einer Betriebsvereinbarung, eines Tarifvertrags bzw. eines Einzelarbeitsvertrags) Abweichungen von den Bestimmungen des EFZG zugunsten des Arbeitnehmers vereinbart werden können.[2] Auch können bestehende Vergünstigungen auf das gesetzliche Maß zurückgeführt werden, was insofern auch eine Veränderung zuungunsten des einzelnen Arbeitnehmers bedeuten kann.[3] Grundsätzlich jedoch darf zuungunsten des Arbeitnehmers nicht von den Vorschriften des EFZG abgewichen werden (§ 12 EFZG).

 

Rz. 130

Dieser Grundsatz wird in § 4 Abs. 4 Satz 1 EFZG durchbrochen; ein Tarifvertrag kann hier unter bestimmten Voraussetzungen auch eine für den Arbeitnehmer ungünstigere Regelung vorsehen.

 
Hinweis

Die Tariföffnungsklausel des § 4 Abs. 4 Satz 1 EFZG lässt lediglich Abweichungen von den in § 4 Abs. 1, 1a und 3 EFZG geregelten Inhalten zu. Hinsichtlich der übrigen Vorschriften des EFZG verbleibt es bei dem Grundsatz, dass von ihnen nicht zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden darf.[4]

 

Rz. 131

Im Geltungsbereich eines Tarifvertrags nach § 4 Abs. 4 Satz 1 EFZG kann die Anwendung der entsprechenden (ungünstigeren) Regelung über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfall zwischen nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern vereinbart werden.[5]

[1] BAG, Urteil v. 24.3.2004, 5 AZR 346/03, NZA 2004, 1042, DB 2004, S. 1673.
[2] Vgl. Neumann-Redlin, § 12, Rz. 35.
[3] ErfK/Reinhard, 23. Aufl. 2023, § 4 EFZG, Rz. 22; vgl. auch BAG, Urteil v. 15.11.2000, 5 AZR 310/99, NZA 2001, 900, DB 2001, S. 1835, AP Nr. 84 zu § 77 BetrVG 1972.
[4] Schmitt/Küfner-Schmitt, EFZG, 9. Aufl. 2023, § 4 EFZG, Rz. 189; KassArbR/Vossen, 2. Aufl. 2000, 2.2, Rz. 388; ausführlich Wedde/Kunz, EFZG, 4. Aufl. 2015, § 4 EFZG, Rz. 66 f.

6.1 Tariföffnungsklausel (Abs. 4 Satz 1)

 

Rz. 132

Zweck dieser Öffnungsklausel ist es, den Tarifvertragsparteien die Möglichkeit zu geben, in den unterschiedlichen Branchen und Beschäftigungsbereichen jeweils sachnahe und angemessene Regelungen zu vereinbaren.[1]

 
Hinweis

Eine abweichende Regelung kann nur in Tarifverträgen getroffen werden. In einer Betriebsvereinbarung ist eine Regelung nur dann zulässig, wenn eine diesbezügliche Öffnungsklausel im Tarifvertrag es erlaubt.[2]

 

Rz. 133

Die Tarifvertragsparteien sollen nach der Intention des Gesetzgebers nicht nur die Berechnungsmethode (Ausfall- oder Referenzprinzip), sondern auch die der Berechnung zugrunde zu legende Zusammensetzung des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts abweichend von § 4 Abs. 1 EFZG festlegen können.[3]

 

Rz. 134

Ändern können die Tarifvertragsparteien danach zunächst die Berechnungsmethode, was im Einzelfall zu ungünstigeren Ergebnissen für den betroffenen Arbeitnehmer führen kann.[4] Sie können also etwa festlegen, dass anstelle des Entgeltausfallprinzips[5] das so genannte Referenzprinzip gelten soll, wonach auf einen Durchschnittsverdienst in einem in der Vergangenheit liegenden Referenzzeitraum abgestellt wird.[6] In einem früheren Urteil[7] betont das BAG, durch den Wechsel zum Referenzprinzip solle praktischen Bedürfnissen, insbesondere gewerblicher Arbeitnehmer (wechselnde Arbeitsentgelte, Leistungslöhne, Mehrarbeit u. a.), entsprochen werden.[8]

Wird bei einer solchen Änderung der Berechnungsmethode im Rahmen einer Durchschnittsbetrachtung ein tariflicher oder gesetzlicher Mindestlohn unterschritten, so ist dies zulässig, da § 4 Abs. 4 EFZG im Verhältnis zu Mindestlohnregelungen lex specialis ist.[9]

 

Rz. 135

Es kann aber auch etwa dergestalt eine andere Berechnungsmethode eingeführt werden, dass ein täglicher Durchschnittslohn der Bemessung zugrunde gelegt wird.[10] Schließlich sind die Tarifvertragsparteien auch nicht daran gehindert, von der für den einzelnen Arbeitnehmer maßgebenden konkreten Arbeitszeit abzuweichen und stattdessen Werktage oder Kalendertage zur Grundlage des Entgeltfortzahlungsanspruchs zu machen und damit vom konkreten Entgeltausfallprinzip abzugehen: Sie können damit von dem in § 3 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 1 EFZG angelegten Grundsatz abweichen, dass für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung die Arbeit allein aufgrund der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ausgefallen sein muss.[11]

 

Rz. 136

Möglich sind aber auch Änderungen in Bezug auf die Berechnungsgrundlage. Die Tarifvertragsparteien können danach Entgeltbestandteile aus der Berechnung herausnehmen. Sie können mithin zum einen Umfang und Bestandteile des der Entgeltfortzahlung zugrunde zu legenden Arbeitsentgelts, also die Zusammensetzung des Geldfaktors[12] ändern; also etwa auch alle tariflichen Zuschläge aus der Entgeltfortzahlung ausnehmen.[13] Es ist jedoch darauf zu a...

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