Rz. 3

§ 12 EFZG verhindert, dass von den Vorschriften des Entgeltfortzahlungsgesetzes abgewichen wird, wobei Abweichungen nach § 4 Abs. 4 EFZG und Abweichungen zugunsten der Arbeitnehmer und der nach den §§ 10 und 11 EFZG Berechtigten möglich sind.

2.1 Vorschriften des EFZG

 

Rz. 4

Nach dem Wortlaut der Vorschrift darf lediglich von den Bestimmungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes (mit Ausnahme von § 4 Abs. 4 EFZG) nicht zuungunsten der Arbeitnehmer und der nach den §§ 10 und 11 EFZG Berechtigten abgewichen werden.

 

Rz. 5

Damit sind also Entgeltfortzahlungsbestimmungen anderer Gesetze ausgenommen; hier sind Abweichungen nach den allgemeinen Grundsätzen erlaubt. Zu denken ist insbesondere an § 616 BGB. Dieser besagt, dass ein Arbeitnehmer nicht dadurch den Anspruch auf seine Vergütung verliert, weil er aus Gründen in seiner Person unverschuldet vorübergehend an der Erbringung seiner Arbeitsleistung verhindert ist. § 616 BGB regelt damit die Vergütungsfortzahlung in Fällen einer Arbeitsverhinderung ohne Krankheit.[1] Er gilt damit etwa bei Arztbesuchen während der Arbeitszeit oder bei einem Fernbleiben von der Arbeit, um erkrankte Familienangehörige zu pflegen.

 
Praxis-Beispiel

Sachverhalt nach BAG, Urteil v. 29.2.1984, 5 AZR 92/82[2]:

Arbeitnehmer A musste sich im Rahmen einer ärztlichen Behandlung einem Hörtest unterziehen. Der ihn behandelnde Arzt bestimmte einen Termin an einem Arbeitstag des A um 10 Uhr. A setzte seinen Arbeitgeber davon in Kenntnis. Er hatte sich zuvor bei seinem Arzt vergeblich um einen Termin außerhalb der Arbeitszeit bemüht. Durch die Behandlung versäumte A eine Arbeitsstunde; vor und nach der Behandlung arbeitete A. Er verlangt nun die Bezahlung der ausgefallenen Arbeitszeit.

Hier liegt keine Arbeitsunfähigkeit vor, sodass ein Anspruch nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz ausscheidet. Ansprüche aus § 616 BGB können jedoch – ohne gegen § 12 EFZG zu verstoßen – durch Tarifvertrag oder Einzelarbeitsvertrag eingeschränkt oder ganz ausgeschlossen werden.[3] Nur wenn das vorliegend nicht der Fall ist, hat A aus § 616 BGB Anspruch auf Bezahlung der ausgefallenen Arbeitszeit.

[1] ErfK/Preis, 23. Aufl. 2023, § 616 BGB, Rz. 1.
[2] DB 1984, S. 1405, BB 1984, S. 1046, AP Nr. 22 zu § 1 TVG Tarifverträge-Metallindustrie.
[3] Schmitt/Schmitt, EFZG, 9. Aufl. 2023, § 12 EFZG, Rz. 12.

2.2 Formen der Abweichung

 

Rz. 6

Nach dem klaren Wortlaut des § 12 EFZG sind alle Vereinbarungen, die nicht zugunsten der Arbeitnehmer (bzw. der nach §§ 10 und 11 EFZG Berechtigten) oder in Anwendung der gesetzlichen Öffnungsklausel nach § 4 Abs. 4 EFZG von § 12 EFZG abweichen, nicht zulässig. Dies gilt grundsätzlich für alle Arten von Vereinbarungen, also sowohl für die Normen von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen als auch für einzelvertragliche Vereinbarungen. Reinhard[1] weist zu Recht darauf hin, dass gerade bei Letzteren die Gefahr groß sei, dass es zu Gesetzesverletzungen kommt. Im Einzelnen gilt Folgendes:

[1] ErfK/Reinhard, 23. Aufl. 2023, § 12 EFZG, Rz. 4.

2.2.1 Tarifvertrag

 

Rz. 7

Grundsätzlich darf durch Tarifverträge nicht zuungunsten der Arbeitnehmer bzw. der in §§ 10 und 11 EFZG genannten Personen abgewichen werden. Eine Ausnahme nennt § 12 EFZG selbst, indem auf § 4 Abs. 4 EFZG verwiesen wird. Dort ist geregelt, dass durch Tarifvertrag eine abweichende Bemessungsgrundlage des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts festgelegt werden kann.[1]

 

Rz. 8

Keinen Verstoß gegen § 12 EFZG stellen Fallgestaltungen dar, in denen Ansprüche kraft einer tariflichen Ausschlussfrist[2] nach Ablauf bestimmter Fristen erlöschen.[3] Das Bundesarbeitsgericht (BAG) argumentiert, diese Fristen für die Geltendmachung von Entgeltfortzahlungsansprüchen beträfen nicht den Inhalt des Anspruchs, sondern lediglich dessen Geltendmachung und zeitliche Begrenzung, sodass insgesamt keine Abweichung vom Entgeltfortzahlungsgesetz gegeben sei. In einer neueren Entscheidung bestätigt das BAG[4], dass dies auch für einzelvertraglich vereinbarte Ausschlussfristen gilt.[5]

Einschränkend hat das BAG[6] entschieden, dass der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns nicht einer Ausschlussfrist unterworfen werden kann.

 

Rz. 9

Gem. § 10 Abs. 4 EFZG kann durch Tarifvertrag für in Heimarbeit Beschäftigte vereinbart werden, dass sie statt des Zuschlags nach § 10 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EFZG diejenige Entgeltfortzahlung erhalten, die Arbeitnehmern im Falle von Arbeitsunfähigkeit nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz zusteht.[7] Dies gilt selbst dann, wenn diese Regelung im Einzelfall für den Heimarbeiter ungünstiger ist.[8]

[1] Vgl. zu § 4 Abs. 4 EFZG insgesamt Neumann-Redlin, § 4 EFZG, Rz. 129 ff.
[2] Vgl. hierzu: Bauer, NZA 1987, 440.
[3] BAG, Urteil v. 16.1.2002, 5 AZR 430/00, AP Nr. 13 zu § 3 EntgeltFG, DB 2002, S. 797; vgl. auch BAG, Urteil v. 21.1.2010, 6 AZR 556/07, AP Nr. 3 zu § 611 BGB Arbeitgeberdarlehen, DB 2010, S. 675.
[4] BAG, Urteil v. 25.5.2005, 5 AZR 572/04, NZA 2005, 1111, DB 2005, S. 2136, AP Nr. 1 zu § 310 BGB.
[5] Vgl. zuvor bereits LAG Köln, Urteil v. 18.11.1996, 3 Sa 852/96, BB 1997, S. 1263...

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