Entscheidungsstichwort (Thema)

Alleinbeurteilungsrecht des Betriebsrats bezüglich der Erforderlichkeit betriebsratsbezogener Maßnahmen und Ausgaben. Keine arbeitgeberseitige Aufrechnung unberechtigter Kosten des Betriebsrats mit dessen Arbeitsvergütung. Verdrängung der Vorschriften der Geschäftsführung ohne Auftrag durch die Spezialvorschriften des BetrVG

 

Leitsatz (amtlich)

Der Arbeitgeber ist nicht berechtigt, von ihm gezahlten Kosten des Betriebsrats iSv § 40 BetrVG im Wege der Aufrechnung von dem betroffenen Betriebsratsmitglied zurückzuverlangen, nachdem er die - nicht erforderlichen - Kosten zunächst übernommen hat. Die Regelungen der Geschäftsführung ohne Auftrag gem §§ 677 ff. BGB sind insoweit durch §§ 2 Abs 1, 40 Abs 1, 78 Satz 2 BetrVG verdrängt.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Betriebsrat hat das Alleinbeurteilungsrecht über die Erforderlichkeit einer Maßnahme, die der Erledigung von Betriebsratsaufgaben dient. Dazu gehört auch die Entscheidung über die Beauftragung eines Anwalts, der den Betriebsrat in einem arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren vertritt. Der Betriebsrat hat bei der Entscheidung über die Erforderlichkeit die berechtigten Interessen der Belegschaft wie des Arbeitgebers gegeneinander auf der Grundlage der ihm im Zeitpunkt der Beschlussfassung bekannten Umstände abzuwägen.

2. Die Vorschriften der Geschäftsführung ohne Auftrag sind Auffangvorschriften, die dann greifen, wenn ein Interessenausgleich erforderlich ist, ohne dass eine vertragliche oder gesetzliche Regelung existiert. Sobald eine gesetzliche Sonderregelung eine gesetzlich vorgesehene Risikoverteilung vorsieht, kommen die Vorschriften der Geschäftsführung ohne Auftrag nicht zur Anwendung, weil sonst die gesetzlich vorgesehene Risikoverteilung unterlaufen würde.

 

Normenkette

BetrVG § 40 Abs. 1, § 78; BGB §§ 684, 812, § 677 ff., §§ 267, 362 Abs. 1, §§ 670, 683, 814

 

Verfahrensgang

ArbG Stade (Entscheidung vom 02.09.2021; Aktenzeichen 1 Ca 177/21)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 25.10.2023; Aktenzeichen 7 AZR 338/22)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stade vom 02.09.2021, 1 Ca 177/21 abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 413,90 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.06.2021 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Zahlungsanspruch im Zusammenhang mit der Erforderlichkeit von Kosten des Betriebsrats.

Der am 00.00.1963 geborene, keinen anderen Personen zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit dem 20. September 1993 bei der Beklagten als Busfahrer beschäftigt und ist Mitglied des bei der Beklagten gebildeten Betriebsrates.

Mit Beschluss vom 23. Oktober 2019 entsandte der Betriebsrat den Kläger zu drei Schulungsveranstaltungen: "Arbeitsrecht Teil 2" vom 17. Februar bis 21. Februar 2020 in F., "Arbeitsrecht Teil 3" vom 4. Mai bis 8. Mai 2020 in B. sowie "Der gläserne Mitarbeiter" vom 19. Oktober bis 23. Oktober 2020 in D. Der Kläger nahm an der erstgenannten Schulung zum genannten Zeitpunkt teil.

Mit Schreiben vom 16. März 2020 teilte die Beklagte dem Betriebsrat mit:

"... erteilen wir Ihnen keine Genehmigung zur Teilnahme an den Seminaren aus folgenden Gründen:

a. Aufgrund der aktuellen Situation (Corona) ist die Reisetätigkeit bis auf Weiteres beschränkt und ist nur in besonderen betrieblichen Angelegenheiten möglich,

b. Das Thema Datenschutz betrifft alle Mitglieder des Betriebsrates, daher schlagen wir vor, dieses nicht in einer Einzelmaßnahme, sondern in einer Inhouse-Schulung durch unseren Datenschutzbeauftragten durchzuführen. Wir werden den Vorgang mit dem GBR entsprechend abstimmen.

..." .

Für den gesamten Inhalt des Schreibens wird auf Bl. 47 dA Anlage B4 Bezug genommen.

Die Schulung "Arbeitsrecht Teil 3" wurde abgesagt und auf den Zeitraum 10. August bis 14. August 2020 verschoben.

Am 19. Mai 2020 fasste der Betriebsrat den Beschluss, den Kläger zur Schulung "Arbeitsrecht Teil 3" in dem geänderten Zeitraum zu entsenden.

Mit Schreiben vom 8. Juni 2020 (Anlage A1, Bl. 7 f. dA) teilte der Prozessbevollmächtige des Klägers der Beklagten ua. mit:

"Der Betriebsrat (...) hat mit Beschlussfassung vom 23.10.2019 beschlossen das Betriebsratsmitglied A. auf folgende Seminare zu entsenden:

- Arbeitsrecht Teil 2 vom 17.02.-21.02.2020 in F.,

- Arbeitsrecht Teil 3 vom 04.05.-08.05.2020 in B.,

- Der gläserne Mitarbeiter vom 19.10.-23.10.2020 in D.

Eine Mitteilung über den Beschluss sowie die Seminarthemen, -zeiten und den jeweiligen Seminarort wurde Ihnen zur Kenntnis gebracht.

Mit Anschreiben vom 16.03.2020 wurde die Genehmigung der Seminare abgelehnt. Hierzu wurde einerseits auf coronabedingte Reiseeinschränkungen Bezug genommen, andererseits wurde hinsichtlich des Themas Datenschutz ein Inhouseseminar angeregt.

Hierzu teilen wir Ihnen mit, dass der Betriebsrat Reiseeinschränkungen nicht ohne weiteres unterfällt, es sei denn diese sind durch den Landesgesetzgeber ...

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