Auch wenn in zahlreichen verschiedenen Gesetzen Rechte und Pflichten von Gewerkschaften geregelt sind, z. B. im TVG, BetrVG, BPersVG, Landespersonalvertretungsgesetzen, MitbestG, ArbGG oder SGG, ist nach BAG von einem gesetzesübergreifend einheitlichen Gewerkschaftsbegriff auszugehen, der das Erfordernis der Tariffähigkeit mit einschließt.[1] So wie z. B. § 10 Satz 1 Halbsatz 1 ArbGG nur Gewerkschaften im allgemeinen arbeitsrechtlichen Sinne, d. h. tariffähige Arbeitnehmervereinigungen meint,[2] gewährt auch das Mitbestimmungsgesetz nur tariffähigen Arbeitnehmerkoalitionen Rechte.[3]

Eine Gewerkschaft, also eine Arbeitnehmervereinigung, die tariffähig ist, liegt unter folgenden Voraussetzungen vor:

  1. Es muss sich um eine Koalition handeln. Koalitionen sind privatrechtliche Vereinigungen. Die Arbeitnehmerkammern in Bremen und dem Saarland, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, gehören demzufolge nicht dazu.
  2. Der Zweck der Vereinigung muss darauf gerichtet sein, die "Wahrung und Förderung der Arbeit- und Wirtschaftsbedingungen" ihrer Mitglieder anzustreben.[4] Verbraucherverbände oder Konsumgenossenschaften fallen daher nicht unter den Gewerkschaftsbegriff.[5] Ferner muss die Vereinigung willens sein, Tarifverträge abzuschließen[6] (Tarifwilligkeit). Der Abschluss von Tarifverträgen muss deshalb zu den satzungsmäßigen Aufgaben der Vereinigung gehören.[7]
  3. Grundsätzlich setzt sich eine Gewerkschaft aus Arbeitnehmern zusammen. Dazu gehören auch Auszubildende. Die Willensbildung hat durch abhängig Beschäftigte zu erfolgen, die sich in der Gewerkschaft gerade in dieser Rolle organisieren. Darum kann im Einzelfall die Unabhängigkeit einer Gewerkschaft durch die Mitgliederstruktur bzw. durch die Mitgliedschaft gewisser Personengruppen infrage gestellt werden, wenn diese aus sozio-ökonomischer Perspektive fremde Interessen repräsentieren. Dem Arbeitnehmerstatus zurechenbar sind aufgrund ihrer Schutzbedürftigkeit arbeitnehmerähnliche Personen, Heimarbeiter, Hausgewerbetreibende und Handelsvertreter, die gemäß § 92a HGB vertraglich an ein Unternehmen gebunden sind. Ebenso können Scheinselbstständige Mitglied einer Gewerkschaft sein, da ihr Status als Nicht-Arbeitnehmer (noch) nicht festgestellt wurde. Auch Beamte können Gewerkschaftsmitglieder sein, da sie ihre Dienste, ebenso wie Arbeitnehmer, nicht in Selbstständigkeit leisten. Entsprechende Überlegungen gelten für Personengruppen, die von ihrer sozialen und wirtschaftlichen Situation Arbeitnehmern vergleichbar sind, etwa "neue Selbstständige". Deren Interessenlage entspricht im Kern der von Arbeitnehmern, z. B. bei Freelancern, Ein-Personen-Firmen, Crowdworkern[8] und Beschäftigten in der Plattform Ökonomie (Uber, Foodora). Leitende Angestellte sind aufgrund ihrer arbeitgebernahen Stellung in den meisten Fällen der Seite der Arbeitnehmer zuzurechnen.[9]
  4. Die Vereinigung muss auf freiwilliger Basis erfolgen. Die Freiheit des Eintritts in eine Vereinigung (positive Koalitionsfreiheit) und die Freiheit des Austritts aus derselben (negative Koalitionsfreiheit) sind Wesensmerkmal aus Art. 9 Abs. 3 GG. Zwangsverbände (siehe a.) sind keine Koalitionen.[10]
  5. Die Vereinigung muss gegnerfrei sein. In einer Gewerkschaft können daher nicht in nennenswertem Umfang Arbeitgeber oder Personen, die die Aufgabe haben, Arbeitgeberinteressen gegenüber Gewerkschaften wahrzunehmen, Mitglieder sein.[11] Die Mitgliedschaft einzelner Selbstständiger, die den Willensbildungsprozess nicht maßgeblich beeinflussen können, steht dem nicht entgegen.[12]
  6. Die Vereinigung muss strukturell vom sozialen Gegenspieler unabhängig sein. Dieses Erfordernis soll sicherstellen, dass die Vereinigungen durch ihre koalitionsmäßige Betätigung zu einer sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens beitragen können. Die erforderliche Gegnerunabhängigkeit fehlt, wenn die Abhängigkeit vom sozialen Gegenspieler in der Struktur der Arbeitnehmervereinigung angelegt und verstetigt und die eigenständige Interessenwahrnehmung der Tarifvertragspartei durch personelle Verflechtungen, auf organisatorischem Weg oder durch wesentliche finanzielle Zuwendungen ernsthaft gefährdet ist,[13] wie die jüngeren Beispiele der Arbeitsgemeinschaft unabhängiger Betriebsangehöriger (AUB/Schelsky) bei Siemens und Aldi Nord sowie die bei der Pin AG auftretende GNBZ gezeigt haben.[14]
  7. Die Willensbildung muss frei und unbeeinflusst vom sozialen Gegenspieler, von Staat, Parteien und Kirchen erfolgen.[15] Unschädlich ist demgegenüber die freiwillige Ausrichtung an politischen Programmen oder an kirchlichen Überzeugungen, solange eine eigenständige Willensbildung vorhanden ist.[16] Es besteht insofern keine parteipolitische oder konfessionelle Neutralitätspflicht.[17]
  8. Ob die Vereinigung überbetrieblich organisiert sein muss, um als Gewerkschaft angesehen werden zu können, kann nicht in jedem Fall gefordert werden. Traditionell sollte damit eine Abgrenzung zu sog. Werkvereinen bezweckt werden, die keine Gewerkschaften sind; diese wurden von Arbeitgebern ...

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