Gewerkschaft DHV ist nicht tariffähig
Es bleibt dabei: Die Gewerkschaft DHV ist auch aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts nicht tariffähig. Die Berufsgewerkschaft DHV hatte gegen die Aberkennung der Tariffähigkeit durch das Bundesarbeitsgericht vor rund einem Jahr Verfassungsbeschwerde eingelegt. Aus Gewerkschaftssicht hatte das BAG an die DHV-Tariffähigkeit "einen vollkommen überzogenen und damit verfassungswidrigen Maßstab angelegt". Diese Auffassung teilt das Bundesverfassungsgericht nicht. In seinem jetzt veröffentlichten Beschluss hat es die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu den Mindestvoraussetzungen einer tariffähigen Arbeitnehmervereinigung bestätigt und die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Der Fall: gegnerische Gewerkschaften bezweifeln Tariffähigkeit der DHV
Der Streit über die Tariffähigkeit der Gewerkschaft DHV beschäftigt die Arbeitsgerichtsbarkeit bereits seit Jahren. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte die Sache 2018 an das LAG Hamburg zurückverwiesen - unter anderem, um die Mitgliederanzahl der DHV als entscheidendes Merkmal für die Durchsetzungs- und Leistungsfähigkeit zu klären. Das LAG Hamburg kam daraufhin zu dem Ergebnis, dass die Gewerkschaft DHV seit einer Satzungsänderung 2015 nicht tariffähig ist. Die Rechtsbeschwerde gegen diese Entscheidung hatte vor dem BAG keinen Erfolg.
BAG-Beschluss: DHV ist nicht tariffähig
Das Bundearbeitsgericht erklärte die DHV mit Beschluss vom 22. Juni 2021 für nicht tariffähig. Das Gericht folgte damit dem Antrag der klagenden Gewerkschaften: Die IG Metall, die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten sowie die obersten Arbeitsbehörden der Länder Berlin und Nordrhein-Westfalen hatten im konkreten Fall die Tariffähigkeit der Berufsgewerkschaft DHV angezweifelt. Vor Gericht begehrten sie die Feststellung, dass die Arbeitnehmervereinigung nicht tariffähig ist.
DHV änderte mehrmals ihren Zuständigkeitsbereich
Die "DHV – Die Berufsgewerkschaft e. V.", ursprünglich 1893 entstanden, wurde 1950 wurde als "Gewerkschaft der Kaufmannsgehilfen" neu gegründet. Sie ist Teil des christlichen Gewerkschaftsbundes (CGB). Die Arbeitnehmervereinigung änderte und erweiterte ihren Zuständigkeitsbereich immer wieder, zuletzt durch die Satzung 2014.
Sie vertritt nach eigenen Angaben die Interessen von 73.000 Mitgliedern in den kaufmännischen und verwaltenden Berufen. Inzwischen beansprucht sie eine Tarifzuständigkeit für alle Arbeitnehmer in gänzlich unterschiedlichen Wirtschaftszweigen, Branchen und Bereichen, darunter Banken und Sparkassen, Einzelhandelsgeschäfte und Kaufhäuser, Ein- und Ausfuhrhandel, gesetzliche Krankenkassen, Versicherungsgewerbe, Altenpflege und Jugendhilfe, Krankenhäuser, Rettungsdienste und Deutsches Rotes Kreuz, Textilreinigung, Fleischwarenindustrie, IT-Dienstleistungen (für Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte), Reiseveranstalter sowie kaufmännische und verwaltende Berufe bei Kommunen.
LAG Hamburg soll DHV-Mitgliederzahl ermitteln
Die Sache lag dem Bundesarbeitsgericht bereits 2018 zur Entscheidung vor. Die obersten Arbeitsrichter verwiesen sie mit bindenden Vorgaben an das Landesarbeitsgericht Hamburg zurück: Das LAG sollte für die Beurteilung vor allem die DHV-Mitgliederzahl und den darauf bezogenen Organisationsgrad in den beanspruchten Zuständigkeitsbereichen klären und erneut entscheiden. Insbesondere bei der Mitgliederzahl der Gewerkschaft gingen die Annahmen der Parteien weit auseinander: Nach DHV-Angaben waren es Ende Dezember 2014 rund 75.000 Mitglieder - die antragstellenden Gewerkschaften gingen von höchstens 10.000 Mitgliedern aus.
Im Verhältnis zu wenig Mitglieder: keine Tariffähigkeit
Unter Berücksichtigung der BAG-Vorgaben hat das LAG Hamburg daraufhin ermittelt, dass der DHV die erforderliche Durchsetzungskraft in den von ihr zuletzt beanspruchten Zuständigkeitsbereichen inzwischen fehlt. Das LAG Hamburg stellte in seinem Beschluss fest, dass die DHV seit dem 21. April 2015, kurz nach dem Inkrafttreten ihrer Satzung 2014, nicht mehr tariffähig sei. Zur Begründung hieß es, dass der jeweilige Organisationsgrad, also das Verhältnis zwischen DHV-Mitgliedern und allen Arbeitnehmern eines jeden Bereichs, sogar nach den eigenen Daten der DHV in lediglich knapp fünf Prozent der Bereiche bei gemittelt 2,23 Prozent und ansonsten jeweils deutlich unter 1,6 Prozent liege. Zudem habe keine langjährige Teilnahme der DHV am Tarifgeschehen seit der Satzungsänderung 2014 festgestellt werden können, argumentierte das LAG Hamburg.
BAG: Tariffähigkeit hängt weiter von sozialer Mächtigkeit ab
Die aktuelle Rechtsbeschwerde der DHV gegen diese Entscheidung blieb erfolglos. Das BAG machte in seinem Beschluss deutlich, dass die Tariffähigkeit einer Gewerkschaft weiterhin von ihrer sozialen Mächtigkeit abhängt.
Um Tarifverträge abschließen zu können, müsse eine Arbeitnehmervereinigung über eine Durchsetzungskraft gegenüber der Arbeitgeberseite und eine hinreichende organisatorische Leistungsfähigkeit in einem zumindest nicht unbedeutenden Teil des beanspruchten Zuständigkeitsbereichs verfügen. Dabei komme es regelmäßig auf die Zahl der organisierten Arbeitnehmer an.
DHV fehlt nötige Durchsetzungskraft
Im konkreten Fall fehlte es nach Auffassung der Erfurter Richter - selbst unter Zugrundelegung der Angaben der DHV zu den Zahlen - an der erforderlichen Durchsetzungskraft. In dem Beschluss hieß es, dass nicht prognostiziert werden könne, dass die Berufsgewerkschaft in ihrem eigenständig bestimmten Zuständigkeitsbereich über die notwendige mitgliedervermittelte Durchsetzungsfähigkeit gegenüber den sozialen Gegenspielern verfügt. Die DHV könne ihre soziale Mächtigkeit auch nicht aus ihrer Teilnahme am Tarifgeschehen auf der Grundlage ihrer aktuellen Satzung herleiten.
Hinweis: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 31. Mai 2022
1 BvR 2387/21 Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 22. Juni 2021, Az: 1 ABR 28/20, Vorinstanz: LAG Hamburg, Beschluss vom 22. Mai 2020, Az: 5 TaBV 15/18, zuvor: BAG, Beschluss vom 26. Juni 2018; Az: 1 ABR 37/16; LAG Hamburg, Beschluss vom 04. Mai 2016, Az: 5 TaBV 8/15; ArbG Hamburg, Beschluss vom 19. Juni 2015, Az: 1 BV 2/14.
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