Gewerkschaft GDL will Arbeitgeber ihrer Mitglieder werden

Die Deutsche Bahn kommt nicht zur Ruhe. Bereits seit Wochen ist der zähe Tarifkonflikt mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) in den Schlagzeilen. Aber auch die Lokführergewerkschaft GDL sorgt mit ausgefallenen Ideen für Aufsehen.

Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) hat nach eigener Aussage eine Genossenschaft (eG) gegründet. Nur Mitglieder der GDL sollen Genossenschaftsanteile erwerben können. Die GDL strebt offenbar an, dass die Lokführer bei der Deutschen Bahn kündigen und anschließen in der Genossenschaft angestellt werden. Die Genossenschaft soll mit der GDL (wem sonst?) einen Tarifvertrag abschließen. Die Lokführer würden dann als Leiharbeitnehmende an die Deutsche Bahn überlassen werden. Dieses Modell wirft mehrere rechtliche Probleme auf.

GDL als Gewerkschaft

Die GDL ist eine Gewerkschaft. Das Grundgesetz schützt in Art. 9 Abs. 3 jeden Einzelnen in seiner Freiheit, eine Vereinigung zur Wahrung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu gründen, ihr beizutreten oder sie zu verlassen. Das bedeutet, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das Recht haben, Gewerkschaften zu gründen, ihnen beizutreten oder aus Gewerkschaften auszutreten. Geschützt ist zum anderen auch die Koalition selbst in ihrem Bestand, ihrer organisatorischen Ausgestaltung und ihren Betätigungen, sofern diese der Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dienen.

Der Begriff der Gewerkschaft ist gesetzlich nicht definiert. § 2 Abs. 1 TVG bestimmt den Begriff der Gewerkschaft nicht, sondern setzt ihn voraus. Erforderlich ist eine Auslegung unter Betrachtung des Art. 9 Abs. 3 GG. Nur tariffähige Arbeitnehmerkoalitionen können Gewerkschaften sein. Koalitionen - und damit auch Gewerkschaften - müssen frei gebildet, gegnerfrei und gegnerunabhängig und auf überbetrieblicher Grundlage organisiert sein und das geltende Tarifrecht als verbindlich anerkennen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. März 2014, Az.1 BvR 377/13; BAG, Beschluss vom 25. November 1986, Az.1 ABR 22/85). Problematisch an dem Plan der GDL könnten demnach die Kriterien der Gegnerfreiheit und Gegnerunabhängigkeit sein.

Erfordernis der Gegnerfreiheit und der Gegnerunabhängigkeit

Einer Gewerkschaft können grundsätzlich keine Personen angehören, die ihrerseits Arbeitgeberfunktionen wahrnehmen; anderenfalls wäre die Gegnerfreiheit nicht gewahrt (BAG, Beschluss vom 14. Dezember 2004, Az. 1 ABR 51/03). Das Erfordernis der Gegnerunabhängigkeit soll sicherstellen, dass die Vereinigung durch ihre koalitionsmäßige Betätigung zu einer sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens beitragen kann. Das Erfordernis der Gegnerunabhängigkeit ist allerdings nicht im formalen, sondern im materiellen Sinn zu verstehen. Es soll sicherstellen, dass die Vereinigung durch ihre koalitionsmäßige Betätigung zu einer sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens beitragen kann (BAG, Beschluss vom 5. Oktober 2010, Az. 1 ABR 88/09).

An Gegnerunabhängigkeit fehlt es, wenn eine Abhängigkeit vom Arbeitgeber in der Struktur der Arbeitnehmervereinigung angelegt und verstetigt ist und die eigenständige Interessenwahrnehmung der Tarifvertragspartei durch personelle Verflechtungen, auf organisatorischem Weg oder durch wesentliche finanzielle Zuwendungen ernsthaft gefährdet ist (BAG, Beschluss vom 31. Januar 2018, Az. 10 AZR 695/16).

In dem Modell der GDL wäre bereits die Gegnerfreiheit fraglich. Der Vorstand der Genossenschaft nimmt für diese die Arbeitgeberfunktion wahr. Der Vorstand der Genossenschaft würde aus GDL-Mitgliedern bestehen. So verlangt § 9 Abs. 2 S. 1 GenG die Mitgliedschaft der Vorstandsmitglieder in der Genossenschaft. Die Gegnerfreiheit wäre nicht gewahrt.

Noch deutlicher wird dies bei der Gegnerunabhängigkeit. Zunächst soll Voraussetzung für die Mitgliedschaft in der Genossenschaft, die mit der Begründung des Arbeitsverhältnisses wohl einhergehen soll, auch die Mitgliedschaft in der GDL sein. Die Genossenschaft wird durch ihren Vorstand vertreten, der wie gesagt aus GDL-Mitgliedern bestünde. Die Tarifverhandlungen würden also auf Arbeitgeberseite GDL-Mitglieder mit der GDL führen.

Weitere Bedenken zur GDL als Gewerkschaft und Arbeitgeber zugleich

Durch das Grundrecht des Art. 9 Abs. 3 GG ist auch der Einzelne in seiner Freiheit geschützt, aus einer Gewerkschaft auszutreten. Das würde aber in dem Modell der GDL ausscheiden, da dies zum Verlust der Mitgliedschaft und damit des Arbeitsplatzes führen würde. Ferner schützt Art. 9 Abs. 3 GG davor, dass Arbeitgeber von Bewerberinnen und Bewerbern verlangen können, aus einer Gewerkschaft auszutreten. Das wäre aber der Fall, wenn sich beispielsweise ein Mitglied der EVG bei der Genossenschaft bewerben würde. Zudem kann ein Arbeitgeber umgekehrt nicht eine bestimmte Gewerkschaftszugehörigkeit verlangen (negative Koalitionsfreiheit).

Letztlich würde die GDL auch ihre Durchsetzungskraft aufs Spiel setzen. Es erscheint aufgrund der bereits erwähnten Bedenken hinsichtlich der Gegnerunabhängigkeit ausgeschlossen, dass die GDL ihre Mitglieder zum Streik aufrufen wird, wenn die Genossenschaft die Tarifforderungen der GDL nicht zu erfüllen bereit ist. Zudem würde das Druckpotenzial gegenüber der Deutschen Bahn marginalisiert werden, wenn dort nur noch wenige Lokführer angestellt sein würden. Die Folge könnte sein, dass die GDL nicht mehr die vom Bundesarbeitsgericht und dem Bundesverfassungsgericht entwickelten Anforderungen an eine Gewerkschaft erfüllen würde (siehe hierzu beispielsweise BAG, Beschluss vom 26. Juni 2018, Az. 1 ABR 37/16).

Arbeitnehmerüberlassung als Beschäftigungsmodell?

Etwas grotesk mutet es an, dass die GDL für eine Arbeitnehmerüberlassung wirbt. So sind es gerade die Gewerkschaften, die Leiharbeit stets als "prekäre" Beschäftigung kritisieren.

Aber auch arbeitsrechtlich stünde die Genossenschaft vor Herausforderungen. Zunächst würde sie eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis benötigen. Ohne eine solche Erlaubnis würde die kuriose Situation eintreten, dass die überlassenen Lokführer (wieder) zu Arbeitnehmenden der Deutsch Bahn werden würden (§§ 9 Abs. 1 Nr. 1; 10 Abs. 1 S. 1 AÜG). Auch wäre die Überlassung kraft Geschäftsmodell nicht lediglich vorübergehend. Tarifverträge hierzu könnten aus den oben angeführten Gründen gerade nicht rechtswirksam geschlossen werden. Ferner wäre die "Drehtürklausel" gemäß § 8 Abs. 3 AÜG zu beachten.

Fazit: GDL-Idee nur auf den ersten Blick kreativ

Die Idee der GDL erscheint nur auf dem ersten Blick kreativ. Möglicherweise ist sie auch nicht wirklich ernst gemeint. So erscheint es wenig wahrscheinlich, dass Beschäftigte einen Arbeitsplatz bei der Deutschen Bahn zugunsten einer Beschäftigung bei einer Genossenschaft zum Zwecke der Leiharbeit aufgeben.


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