Rz. 3

Die Vorschrift über den ESt-Tarif ist "das Kernstück des Einkommensteuerrechts".[1] Vorbehaltlich der Sonderregelungen zum Progressionsvorbehalt in § 32b EStG, zur Besteuerung von Einkünften aus Kapitalvermögen in § 32d EStG und zur Besteuerung bestimmter außerordentlicher bzw. weiterer Einkünfte in den §§ 34ff. EStG ergibt sich erst durch die Zuordnung der im Tarif festgelegten Steuersätze zur Bemessungsgrundlage des zu versteuernden Einkommens die Höhe der steuerlichen Belastung. Strebt der Gesetzgeber Änderungen der steuerlichen Belastung an, kann er dieses Ziel bei unveränderter Bemessungsgrundlage am einfachsten mit der Änderung des ESt-Tarifs erreichen.

 

Rz. 4

Die Gestaltung des ESt-Tarifs richtet sich in erster Linie danach, welche Einnahmen die öffentliche Hand glaubt erzielen zu wollen und zu müssen. Bei der ESt liegt die konkrete Ausgestaltung des Tarifs grundsätzlich im Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers. Die Höhe des Tarifs ist eine politische Entscheidung, die sich in weitem Rahmen der gerichtlichen Kontrolle entzieht[2], soweit auch im oberen Bereich den Stpfl. nach Abzug der Steuerbelastung ein – absolut und im Vergleich zu anderen Einkommensgruppen betrachtet – hohes frei verfügbares Einkommen verbleibt, das die Privatnützigkeit des Einkommens sichtbar macht.[3] Die Höhe der Steuer wird dabei nicht allein durch den Tarif bestimmt, sondern im Zusammenhang aus Bemessungsgrundlage und Steuersatz.[4] In seiner Entscheidung zur VSt[5] hatte das BVerfG die VSt zur Sollertragsteuer erklärt und verlangt, dass die Gesamtbelastung des Sollertrags aus VSt und ESt "in der Nähe der hälftigen Teilung zwischen privater und öffentlicher Hand" verbleiben müsse. Folgt man dem BVerfG, wäre der Einwand der "50 %-Grenze" bereits bei der ESt zu berücksichtigen.[6] Es ist aber anerkannt, dass die Aussage zur hälftigen Teilung, die nach der zu beurteilenden Frage gar nicht entscheidungserheblich war, diesen Aussagewert nicht hat und dass der Entscheidung keine absolute Obergrenze zu entnehmen ist.[7] Der BFH hat daher eine Anwendung des Halbteilungsgrundsatzes auf Ertragsteuern abgelehnt und eine Belastung mit ESt und GewSt von insgesamt rd. 60 % nicht als verfassungswidrig angesehen.[8] Der BFH hat auf eine Vorlage an das BVerfG gem. Art. 100 Abs. 1 GG verzichtet, da er zutreffend ausgeführt hat, weder Art. 14 Abs. 1 und 2 GG noch aus Art. 3 Abs. 1 GG sei zu entnehmen, dass Steuern auf das Einkommen und den Gewerbeertrag auf höchstens 50 % der Einkünfte oder des zu versteuernden Einkommens zu beschränken seien.[9] Sofern bejaht wird, dass es eine Obergrenze für die Besteuerung gibt, ab der eine Regelung verfassungswidrig wäre[10], bleibt festzustellen, dass die Rspr. die bisherigen Obergrenzen nicht beanstandet hat.

 

Rz. 5

Eine Eingrenzung der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers im Hinblick auf den Tarif ergibt sich aber aus einem weiteren Grundsatz. Es ist anerkannt, dass sich aus dem Gleichheitsgebot des Art. 3 GG der Grundsatz ableitet, dass sich die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu richten hat.[11] Der Gleichheitsgrundsatz ist danach verletzt, wenn der Staat eine Gruppe von Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, die eine ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Hieraus folgt für das Steuerrecht, dass die Besteuerung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ausgerichtet werden muss (§ 2 EStG Rz. 9ff.). Dies gilt besonders für die ESt. Hat der Gesetzgeber den Belastungstatbestand einmal ausgestaltet, muss er diese Entscheidung folgerichtig i. S. einer Belastungsgleichheit ausrichten.[12] Aus dem Leistungsfähigkeitsgebot ist weiter der Grundsatz abzuleiten, dass mit wachsendem Einkommen die steuerliche Belastung ansteigen und damit progressiv gestaltet sein sollte. Hierbei ist der Tarif an horizontaler und vertikaler Steuergerechtigkeit auszurichten, d. h., dass in vertikaler Richtung die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedriger Einkommen dem Gerechtigkeitsgebot genügen muss, während in horizontaler Richtung darauf abgezielt werden muss, dass Stpfl. bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch besteuert werden. Ferner ist bei der Gestaltung des Tarifs Art. 6 GG zu beachten, dem als den Gleichheitsgrundsatz überlagernder Maßstab die Bedeutung zukommt, Belastungen eines Stpfl. aus Familienunterhalt als Minderung seiner Leistungsfähigkeit in Abzug bringen zu können.[13]

 

Rz. 5a

Zur Verfassungsmäßigkeit des Grundfreibetrags (Existenzminimum) vgl. § 2 EStG Rz. 14. Die Verfassungsmäßigkeit des Existenzminimums orientiert sich am Mindestbedarf, wie ihn das Sozialrecht in Form der Sozialhilfeleistungen konkretisiert. Der Gesetzgeber kann sich dabei an den maßgeblichen Daten der Existenzminimumberichte orientieren, die alle 2 Jahre verfasst werden. Kein Maßstab zur Berechnung des Existenzminimums sind die zivilrechtlichen Pfändungsfreigrenzen (§ 850c ZPO). De...

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