Beteiligte

Kläger und Revisionskläger

Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

I.

Streitig ist die Höhe des dem Kläger für die Zeit vom 28. Februar bis 29. Juni und vom 29. Juli bis 5. August 1977 zustehenden Krankengeldes.

Die Beklagte zahlte ein kalendertägliches Krankengeld in Höhe von 41,77 DM. Diesen Betrag ermittelte sie als das dem Kläger wegen seiner Arbeitsunfähigkeit entgangene regelmäßige Nettoarbeitsentgelt, welches geringer sei als 80% des Regellohnes und deshalb das Krankengeld seiner Höhe nach begrenze (§ 182 Abs. 4 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO -). Dabei ging sie von einem einheitlichen sozialversicherungsrechtlichen Entgeltbegriff aus, der steuer- und versicherungsfreie Zuschläge nicht umfasse. Demgegenüber machte der Kläger geltend, das Nettoarbeitsentgelt im Sinne des für die Höhe des Krankengeldes maßgebenden § 182 Abs. 4 Satz 1 RVO schließe auch die nicht der Lohnsteuer unterliegenden Zuschläge für Sonntags-, Feiertags-, Samstags- und Nachtschichten ein, ihm stehe daher ein kalendertägliches Krankengeld in Höhe von 47,04 DM zu. Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Nach dem Gemeinsamen Erlaß des Reichsministers der Finanzen (RMdF) und des Reichsarbeitsministers (RAM) vom 10. September 1944, der für die Krankengeldbezugszeit vom 28. Februar bis 29. Juni 1977 noch Gültigkeit besitze, sei bei der Berechnung der vom Arbeitsentgelt abhängenden Sozialversicherungsleistungen der steuerpflichtige Teil des Einkommens zugrunde zu legen. Gleiches gelte nach der aufgrund der Ermächtigung, des § 17 Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) erlassenen, am 1. Juli 1977 in Kraft getretenen Verordnung über die Bestimmung des Arbeitsentgelts in der Sozialversicherung (ArEV) 7 die für die Krankengeldbezugszeit vom 29. Juli bis 5. August Anwendung finde. Der Regellohn sei daher auf der Grundlage des steuerpflichtigen Lohnes des Klägers zu berechnen. Dieselbe Berechnungsgrundlage sei auch für das Nettoarbeitsentgelt maßgebend. Es bestünden keine Anhaltspunkte für die Annahme, der Gesetzgeber habe den in der RVO so bedeutsamen Begriff des Entgelts von Fall zu Fall mit unterschiedlicher Bedeutung verwenden wollen. Der mit Wirkung vom 1. Juli 1977 aufgehobene § 160 RVO und der seitdem geltende § 14 SGB IV machten deutlich, daß dem Begriff des Arbeitsentgelts sowohl hinsichtlich der Beiträge als auch in bezug auf die Leistungen eine einheitliche Bedeutung beizumessen sei (BSG vom 9. September 1971 - 3 RK 84/69 - KVRS 2620/6). Dem Gemeinsamen Erlaß des RMdF und der RAM vom 10. September 1944 habe der Gedanke zugrunde gelegen, die Bemessungsgrundlage für die Sozialversicherung und den Steuerabzug zu vereinheitlichen. Das setze notwendigerweise einen einheitlichen sozialversicherungsrechtlichen Begriff des Entgelts voraus.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit der vom LSG zugelassenen Revision. Er rügt eine Verletzung des § 182 Abs. 4 Satz 1 RVO: Rechtsirrig sei bereits die Annahme, für die Krankengeldbezugszeit vom 29. Juli bis 5. August 1977 gelte die ArEV, denn das Krankengeld habe vom 30. Juni bis 28. Juli 1977 wegen eines Heilverfahrens lediglich geruht, es sei daher bei der Wiederaufnahme der Zahlung nicht neu zu berechnen gewesen. Das angefochtene Urteil stütze sich auch zu Unrecht auf den Gemeinsamen Erlaß vom 10. September 1944, denn dieser sei nur für das steuer- und beitragspflichtige Bruttoarbeitsentgelt maßgebend. Der in § 182 Abs. 4 RVO verwendete Begriff "entgangenes regelmäßiges Nettoarbeitsentgelt" sei nach seiner Zwecksetzung auszulegen. Die Begrenzung auf das Nettoarbeitsentgelt verfolge das sozialpolitisch sinnvolle Ziel, dem arbeitsunfähig kranken Arbeitnehmer während der Dauer des Anspruchs auf Krankengeld nicht mehr Sozialleistungen zufließen zu lassen, als er ohne Erkrankung an Nettoarbeitseinkommen erzielt hätte. Danach zählten zu dem entgangenen regelmäßigen Nettoarbeitsentgelt aber auch die steuer- und versicherungsfreien Zuschläge zum Arbeitsentgelt. Bei Einbeziehung dieser Zuschläge sei in dem maßgebenden Bemessungszeitraum (Dezember 1976) sein Nettoarbeitsentgelt wesentlich höher gewesen als der aus dem Regellohn sich ergebende Krankengeldbetrag. Er habe daher Anspruch auf Krankengeld in Höhe von 80% des Regellohnes von 58,80 DM, also in Höhe von 47,04 DM.

Der Kläger beantragt,das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 17. August 1978 sowie das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 11. Januar 1978 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihrer angefochtenen Verwaltungsakte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 28. Februar bis 29. Juni 1977 und vom 29. Juli bis 5. August 1977 einen zusätzlichen Krankengeldbetrag von 5,27 DM pro Kalendertag zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf ihr Vorbringen im bisherigen Verfahren.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des Klägers ist unbegründet.

Die Vorinstanzen haben mit Recht die Krankengeldberechnung der Beklagten bestätigt. Eine Verletzung materiellen Rechts, insbesondere eine unrichtige Anwendung des § 182 Abs. 4 Satz 1 RVO, wie sie vom Kläger behauptet wird, liegt nicht vor. Nach dieser gesetzlichen Vorschrift, die in der Fassung des § 21 Nr. 5 Buchst. c des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1974 (BGBl. I 1881) anzuwenden ist, beträgt das Krankengeld (80 v.H. des wegen der Arbeitsunfähigkeit entgangenen regelmäßigen Entgelts (Regellohn); es darf jedoch das entgangene regelmäßige Nettoarbeitsentgelt nicht übersteigen. Die Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, daß das Nettoarbeitsentgelt ebenso wie der Regellohn lohnsteuerfreie Zuschläge zum Arbeitsentgelt nicht umfaßt. Die gegenteilige Auffassung des Klägers findet im Gesetz keine Stütze.

Nach Absatz 5 des § 182 RVO ist für die Berechnung des Regellohnes das von dem Versicherten im letzten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgerechneten Lohnabrechnungszeitpunkt, mindestens während der letzten abgerechneten vier Wochen (Bemessungszeitraum) erzielte und um einmalige Zuwendungen verminderte Entgelt maßgebend. Was unter Entgelt in diesem Sinne zu verstehen ist, ergibt sich für die Zeit vor dem 1. Juli 1977 aus den durch Art. II § 21 Abs. 1 SGB IV aufgehobenen Bestimmungen des § 160 RVO, der zweiten Lohnabzugsverordnung vom 24. April 1942 (RGBI. I 252), des Gemeinsamen Erlasses des RMdF und des RAM vom 10. September 1944 (AN S. 281) und des Erlasses des RAM vom 24. Oktober 1944 (AN S. 302) sowie für die Zeit ab 1. Juli 1977 aus § 14 SGB IV und der dazu - aufgrund der Ermächtigung des § 17 Satz 1 Nr. 1 SGB IV - erlassenen ArEV vom 6. Juli 1977 (BGBl. I 1208). Die am 1. Juli 1977 außer Kraft getretenen und die zum gleichen Zeitpunkt in Kraft getretenen rechtlichen Regelungen stimmen darin überein, daß einmalige Einnahmen, laufende Zulagen, Zuschläge, Zuschüsse sowie ähnliche Einnahmen, die zusätzlich zu Löhnen und Gehältern gewährt werden, grundsätzlich nicht dem Arbeitsentgelt zuzurechnen sind, soweit sie nicht der Lohnsteuer unterliegen. Das bestimmt ausdrücklich § 1 ArEV (die Ausnahmeregelungen der §§ 2 und 3 ArEV - z.B. für die gesetzliche Unfallversicherung - kommen hier nicht in Betracht). Dieser Grundsatz gilt aber erst recht für die Zeit vor dem 1. Juli 1977, denn im Gegensatz zu § 14 SGB IV, der eine eigenständige Definition des Entgeltbegriffes enthält, richtete sich damals die Entscheidung darüber, was als Entgelt im Sinne des Sozialversicherungsrechts anzusehen war, allgemein nach der lohnsteuerrechtlichen Beurteilung (BSGE 26, 68, 69 m.w.N.). Für die Beurteilung der im vorliegenden Fall entscheidenden Rechtsfrage, ob lohnsteuerfreie Zuschläge zum Arbeitsentgelt bei der Feststellung des Krankengelds, zu berücksichtigen sind, kommt es somit nicht darauf an, ob ausschließlich das bis 1. Juli 1977 geltende Recht (so der Kläger) oder ob für die zweite Krankengeldbezugszeit vom 29. Juli bis 5. August 1977 das neue Recht (so das LSG) anzuwenden ist.

Die den Regellohn betreffende Berechnungsvorschrift des § 182 Abs. 5 RVO und die für diese maßgebenden Begriffsbestimmungen sind auch für die Ermittlung des wegen der Arbeitsunfähigkeit entgangenen regelmäßigen Nettoarbeitsentgelts von Bedeutung. Zwar gibt es keine ausdrückliche gesetzliche Verweisung. Der erkennende Senat und andere Senate des Bundessozialgerichts (BSG) haben aber wiederholt entschieden, daß das entgangene regelmäßige Nettoarbeitsentgelt, das das Krankengeld seiner Höhe nach begrenzt, in entsprechender Anwendung der Vorschriften über den Regellohn zu berechnen ist. Das Nettoarbeitsentgelt ist keine selbständige Berechnungsgröße, sondern das um die gesetzlichen Abzüge verminderte Bruttoarbeitsentgelt (Urteil des 3. Senats vom 23. Januar 1973 - 3 RK 22/70 - SozR Nr. 57 zu § 182 RVO; Urteil des 4. Senats vom 23. März 1977 - 4 RJ 177/75 - SozR 2200 § 1241 RVO Nr. 3; Urteil des 11. Senats vom 10. Mai 1977 - 11 RA 110/76 - SozR 2200 § 1241 RVO Nr. 4; Urteil des 1. Senats vom 30. Mai 1978 - 1 RA 61/77 - SozR 2200 § 1241 RVO Nr. 9; einschränkend Urteil des 4. Senats vom 28. November 1978 - 4/5 RJ 78/76 - SozR 2200 § 1241 RVO Nr. 11; vgl. auch Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, Stand August 1978, Anm. 4.3 zu § 182 RVO; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Stand November 1978, S. 17/325; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand März 1979, S. 392 f.). Es besteht kein Anlaß, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Vor allem ist es nicht gerechtfertigt, bei der Berechnung des entgangenen regelmäßigen Bruttoarbeitsentgelts (des Regellohns) und bei der Berechnung des entgangenen regelmäßigen Nettoarbeitsentgelts von unterschiedlichen Entgeltbegriffen auszugehen.

Das Gesetz enthält eine Berechnungsregelung nur hinsichtlich des entgangenen regelmäßigen (Brutto-) Arbeitsentgelts, nicht auch hinsichtlich des entgangenen regelmäßigen Nettoarbeitsentgelts. Bereits dieser Umstand deutet darauf hin, daß das Nettoarbeitsentgelt in diesem Sinne keine selbständige Berechnungsgröße darstellt, sondern vom (Brutto-) regellohn abzuleiten ist. Eine gegenteilige Absicht des Gesetzgebers hätte im Gesetz ihren Niederschlag finden müssen. Es wäre unverständlich, nur die Berechnung des Bruttoarbeitsentgelts in Gesetz zu regeln, wenn nicht die Berechnung des Nettoarbeitsentgelts auf entsprechende Weise vorgenommen werden sollte. Gegen eine unterschiedliche Berechnungsart spricht außerdem der sachlich-logische Zusammenhang beider Entgeltbegriffe, wie er sich aus der systematischen Zuordnung ergibt. Auch Sinn und Zweck des § 182 Abs. 4 RVO rechtfertigt es nicht, in dem entgangenen regelmäßigen Bruttoarbeitsentgelt und dem entgangenen regelmäßigen Nettoarbeitsentgelt zwei völlig selbständige Berechnungsgrößen zu sehen. Sowohl das Krankengeld in Höhe von 80 v.H. des Regellohnes als auch das Krankengeld in Höhe des entgangenen Nettoarbeitsentgelts sollen den Lebensstandard des Versicherten sicherstellen, den dieser aufgrund seines regelmäßigen Arbeitsentgelts vor seiner Arbeitsunfähigkeit erworben hatte und den er ohne Arbeitsunfähigkeit voraussichtlich auf Dauer erhalten hätte. Lohnsteuerfreie Zuschläge zum Arbeitsentgelt beeinflussen den Lebensstandard im allgemeinen ebensowenig wie einmalige Zuwendungen. Sie werden in der Regel zum Ausgleich besonderer Belastungen gewährt AB für Sonntags- und Nachtarbeit). Sie bezwecken damit primär den Ausgleich von Nachteilen, nicht eine Verbesserung der Einkommensverhältnisse. Der erkennende Senat ist in anderen Zusammenhängen ebenfalls von einem einheitlichen sozialversicherungsrechtlichen Begriff des (Arbeits-) Entgelts ausgegangen (SozR Nr. 1 zu § 200 RVO; BSGE 29, 105, 106 = SozR Nr. 35 zu § 182 RVO). Er hat dabei insbesondere darauf hingewiesen, daß der § 160 RVO (a.F) eine für alle Bereiche der Sozialversicherung, also grundsätzlich auch für die gesetzliche Krankenversicherung gültige Definition des Begriffes des Entgelts (Arbeitsentgelts) enthält. Das Bemühen des Gesetzgebers nach begrifflicher Klarheit und systematischer Einheitlichkeit hat sich in den dazwischen in Kraft getretenen Teilen des Sozialgesetzbuches, insbesondere auch im 4. Buch, das die gemeinsamen Vorschriften für die Sozialversicherung enthält, fortgesetzt. Was unter Arbeitsentgelt im sozialversicherungsrechtlichen Sinne zu verstehen ist, wird nur in § 14 SGB IV und in der dazu ergangenen ArEV beschrieben. Daß diese Vorschriften im Rahmen des § 182 Abs. 4 RVO nur auf das Brutto- und nicht auf das Nettoarbeitsentgelt Anwendung finden sollen, läßt sich nicht begründen.

Für die hier vertretene Auffassung spricht auch die Übergangsregelung in Art. 42 des Einführungsgesetzes zum Einkommensteuerreformgesetz vom 21. Dezember 1974 (BGBl. I 3656, 3671. Nach dieser gesetzlichen Vorschrift war das einer Krankengeld- oder Übergangsgeldgewährung zugrunde liegende "regelmäßige kalendertägliche Nettoarbeitsentgelt" unter bestimmten Voraussetzungen neu zu berechnen, Die Neuberechnung wurde vorgenommen, "indem das regelmäßige kalendertägliche Bruttoarbeitsentgelt (Regellohn) um die gesetzlichen Lohnabzüge vermindert" wurde (Satz 2 des Art. 42 EG-EStRG). Hier wird also im Gesetz ausdrücklich bestimmt, daß das die Höhe des Krankengelds begrenzende Nettoarbeitsentgelt aus dem Regellohn zu errechnen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518646

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