hier: Rückwirkende Änderung der Krankengeldhöhe

Sachstand:

Das Krankengeld beträgt 70 v. H. des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung zugrunde liegt (Regelentgelt). Das aus dem Arbeitsentgelt berechnete Krankengeld darf 90 v. H. des bei entsprechender Anwendung des § 47 Abs. 2 SGB V berechneten Nettoarbeitsentgelts nicht übersteigen (vgl. § 47 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB V).

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 18. Januar 2007 – C-332/05 – entschieden, dass die Anwendung einer Krankengeldregelung, die

  • einen Wanderarbeitnehmer, dessen Ehegatte in einem anderen Mitgliedstaat wohnt, von Amts wegen in eine Steuerklasse einreiht, die weniger günstig ist als die eines verheirateten inländischen Arbeitnehmers, dessen Ehegatte im betreffenden Mitgliedstaat wohnt und nicht erwerbstätig ist,
  • nicht zulässt, dass für die Höhe des Krankengeldes, die vom Nettoarbeitsentgelt abhängt, das sich wiederum nach der Steuerklasse richtet, rückwirkend eine nachträgliche Berichtigung der Steuerklasse berücksichtigt wird, die auf einen ausdrücklichen Antrag des Wanderarbeitnehmers hin erfolgt, der auf seinen tatsächlichen Familienstand gestützt ist,

Artikel 3 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 geänderten und aktualisierten Fassung entgegensteht.

Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) bat die Spitzenverbände der Krankenkassen mit Schreiben vom 12. Februar 2007 um Mitteilung, ob sie aufgrund der getroffen EuGH-Entscheidung beabsichtigen, das gemeinsame Rundschreiben vom 29. November 2005 zur Berechnung, Höhe und Zahlung des Krankengeldes und Verletztengeldes anzupassen. Der AOK-Bundesverband teilte dem BMG am 26. Februar 2007 schriftlich mit, dass die Spitzenverbände der Krankenkassen hierüber bei ihrer Besprechung zum Leistungsrecht am 18./19. April 2007 beraten werden.

Zu der EuGH-Entscheidung ist folgendes zu bemerken:

Zunächst ist festzustellen, dass die Einstufung in eine (falsche) Steuerklasse nicht Bestandteil der vom EuGH kritisierten "Krankengeldregelung" ist. Hierfür ist die Kommune bzw. das Finanzamt zuständig. Der eigentliche Ursprung der zu geringen Krankengeldzahlung ist im entschiedenen Fall also dort zu suchen. Die Steuerklasse ist im Krankengeldrecht "nur" relevant für die Ermittlung des Nettoarbeitsentgelts.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist bei der Krankengeldberechnung regelmäßig auf das erarbeitete, insgesamt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit liegende und bereits abgerechnete sowie dem Versicherten zugeflossene Regelentgelt abzustellen (vgl. u. a. BSG-Urteile vom 22. Juni 1979 – 3 RK 22/78 –; vom 16. September 1981 – 4 RJ 55/80 –; vom 25. Juni 1991 – 1/3 RK 6/90 –; vom 16. Februar 2005 – B 1 KR 19/03 R –). Änderungen des Arbeitsentgelts, die erst nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit eintreten, sind grundsätzlich unerheblich, selbst wenn rückwirkende Veränderungen zu diesem Zeitpunkt bereits absehbar sind (BSG-Urteile vom 13. Juli 1977 – 3 RK 22/76 –; vom 25. Juni 1991 – 1/3 RK 6/90 –). Das Krankengeld wird daher z. B. auch dann nicht neu berechnet, wenn der Versicherte später nach einem durchgeführten Lohnsteuerjahresausgleichsverfahren von der Finanzverwaltung Steuerrückzahlungen erhält (BSG-Urteil vom 23. März 1977 – 4 RJ 177/75 –).

Für diese Auslegung des § 47 SGB V sind nach Aussage des BSG folgende Gründe entscheidend: Das Gesetz verwendet selbst die Begriffe "erzielt" und "abgerechnet". Da das Krankengeld nur den wirtschaftlichen Status des Versicherten sichern soll, der zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit tatsächlich bestand, können spätere Entgeltänderungen diesen Status nicht mehr berühren. Der Krankenkasse soll es durch klare und praktikabel handhabbare Kriterien möglich sein, das nur zeitlich begrenzt zu gewährende Krankengeld, das an die Stelle des krankheitsbedingt entfallenden Arbeitsentgelts tritt, ohne aufwändige eigene Ermittlungen und ohne eine für sie fachfremde steuerrechtliche Prüfung zeitnah und rasch festzustellen (EuGH-Vorlage des BSG vom 5. Juli 2005 – B 1 KR 7/04 R –). Damit wird aber auch (rückwirkenden) Manipulationen an der Leistungshöhe vorgebeugt.

In Fällen wie dem entschiedenen sollte der EuGH-Rechtsprechung gefolgt werden, wobei es allerdings nicht angezeigt erscheint, die Krankengeldsachbearbeitung zu verpflichten, bei den Versicherten die notwendigen Informationen einzuholen und sie auf einen ggf. möglichen Steuerklassenwechsel hinzuweisen (dieser muss zunächst rückwirkend auf einen Zeitpunkt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit erfolgen, bevor dann das Krankengeld ggf. erhöht werden kann). Hierüber war im Kreise der Spitzenverbände der Krankenkassen zu beraten.

Besprechungsergebnis:

Die Besprechungsteilnehmer...

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