Entscheidungsstichwort (Thema)

Leitender Angestellter – Zentraleinkäufer eines Warenhausunternehmens

 

Orientierungssatz

1. Der Zentraleinkäufer eines Warenhausunternehmens, der auf der dritten Führungsebene des Unternehmens angesiedelt, aber nur für den Einkauf eines beschränkten Warensortiments (hier: Damenlederwaren) und für weniger als 1 % des Gesamteinkaufsumsatzes zuständig ist, ist kein leitender Angestellter.

2. Die Mitarbeit in einem aus 324 Personen gebildeten Firmenleitungskreis, der die Führung und Leitung des Unternehmens insgesamt wahrnimmt und in dem auch die Mitglieder der dritten Führungsebene (Zentraleinkäufer und Geschäftsführer der Warenhäuser) vertreten sind, führt nicht dazu, für jeden einzelnen Mitarbeiter eine entsprechende unternehmerische Teilfunktion anzuerkennen.

 

Normenkette

BetrVG § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 3, Abs. 4, § 102 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 21.03.2000; Aktenzeichen 9 Sa 1096/99)

ArbG Köln (Urteil vom 28.07.1999; Aktenzeichen 3 Ca 10526/97)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 21. März 2000 – 9 Sa 1096/99 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die wirksame Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses auf Grund einer außerordentlichen und hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten, einen von ihr hilfsweise gestellten Auflösungsantrag und über Verzugslohnansprüche des Klägers für den Zeitraum Dezember 1997 bis 31. Dezember 1998.

Der Kläger ist seit dem 1. September 1969 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Er war zuletzt auf der Basis des Anstellungsvertrags vom 15. November 1995 als Zentraleinkäufer mit einem Jahreseinkommen von rund 140.000,00 DM zuständig für den Bereich ZE 106 – Damenlederbekleidung. Dem Kläger ist Handlungsvollmacht eingeräumt worden. Weiter regelt der Anstellungsvertrag in § 1, daß der Kläger

„die Aufgaben eines leitenden Angestellten wahr(nimmt) und … deshalb zum Kreis der in § 5 Absatz 3 des Betriebsverfassungsgesetzes genannten Personen (gehört).”

Die Zentraleinkaufsbereiche sind unterhalb des Vorstands der Beklagten und der Direktoren auf der dritten Führungsebene des Unternehmens angesiedelt. Auf dieser werden neben den 58 Zentraleinkäufern 171 Geschäftsführer der Warenhäuser der Beklagten tätig. Die Mitarbeiter der dritten Führungsebene sind Mitglieder des aus 324 Personen bestehenden Firmenleitungskreises der Beklagten. Der Kläger nahm an der letzten Wahl zum Sprecherausschuß teil.

Im Februar 1997 wies die Einkaufsleitung Damenoberbekleidung (DOB) den Kläger darauf hin, daß er das Planungslimit überschritten habe und sich weitere Überschreitungen abzeichneten. Mit Schreiben vom 25. August 1997 wies die Einkaufsleitung erneut auf die zu hohen Auftragserteilungen hin und forderte die Zentraleinkäufer auf, „noch in diesem Monat kompromißlos zu stornieren”. Mit weiterem Schreiben vom 2. September 1997 machte sie auf die dramatische Entwicklung im Bereich des Klägers aufmerksam und erteilte ihm die Anweisung, sich unverzüglich mit seinen Lägern und Auftragsrückständen zu befassen und sicherzustellen, daß die Monatsplanläger erreicht würden. Unter dem 20. Oktober 1997 mahnte die Beklagte den Kläger wegen der Überziehung von geplanten Wareneingängen in Höhe von 17.588 TDM ab. Sie entband ihn ab dem 30. Oktober 1997 von seiner bisherigen Aufgabe und bot ihm eine Weiterbeschäftigung als Warengruppenmanager an, was der Kläger jedoch ablehnte.

Mit Schreiben vom 12. Dezember 1997 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers fristlos und vorsorglich fristgemäß zum 31. Dezember 1998 mit der Begründung:

  • „daß der Kläger am 30. Oktober 1997 auf ausdrückliches Befragen eine vorsätzlich falsche Aussage über das Volumen der im Warenwirtschaftssystem der Beklagten erfaßten Ware seines Zentraleinkaufsbereichs 106 getätigt habe,
  • daß der Kläger ein Warenpaket von 2.279 Teilen Winterware mit einem Gesamtverkaufswert von 1.206.200,00 DM ohne Erfassung in dem Warenwirtschaftssystem der Beklagten bis zur 2. Kalenderwoche 1998 zur Einlagerung bei der Firma DKS eingewiesen hat und
  • daß der Kläger durch die Einlagerung bei der Firma DKS eine vorsätzliche Manipulation der Warenwirtschaft in seinem Zentraleinkaufsbereich vorgenommen habe sowie
  • daß jedenfalls der Verdacht der Falschinformation und Manipulation der Warenwirtschaft durch den Kläger anhand von Tatsachen begründet sei.”

Die Beklagte hatte zuvor den Sprecherausschuß angehört, den Betriebsrat hat sie nicht beteiligt. Der Kläger hat Kündigungsschutzklage erhoben. Er hat ua. bestritten, daß er Fragen nach sog. „schwimmender Ware” bei Übergabe seines Aufgabenbereichs unzutreffend beantwortet habe. Die Kündigungen seien wegen fehlender Beteiligung des Betriebsrats unwirksam. Er sei als Zentraleinkäufer kein leitender Angestellter. Dies gelte um so mehr nach seiner Herabstufung zum Warengruppenmanager.

Der Kläger hat – soweit für die Revisionsinstanz noch von Interesse – zuletzt beantragt,

  1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die mit Schreiben der Beklagten vom 12. Dezember 1997 ausgesprochene fristlose Kündigung nicht aufgelöst worden sei,
  2. hilfsweise für den Fall, daß der Klageantrag zu 1) Erfolg habe,

    1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn am 31. Dezember 1997 sowie jedem letzten Tag der Folgemonate des Kalenderjahres 1998, der vor rechtskräftiger Erledigung des vorstehenden Klageantrages zu 1) liegt, je 9.800,00 DM brutto zuzüglich 4 % Zinsen auf den vorgenannten Betrag seit den genannten Fälligkeitsdaten zu zahlen,
    2. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die mit Schreiben der Beklagten vom 12. Dezember 1997 vorsorglich zum 31. Dezember 1998 ausgesprochene fristgerechte Kündigung nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt,

  • die Klage abzuweisen,
  • hilfsweise, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Entschädigung aufzulösen.

Sie hat die Auffassung vertreten, die Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers sei aus wichtigem Grund gerechtfertigt. Angesichts seiner bewußten Falschinformation bestehe der dringende Verdacht gegen den Kläger, Warenmanipulationen im Warenwirtschaftssystem vorgenommen zu haben. Durch sein Verhalten sei das notwendige Vertrauen in eine integere Abwicklung der Warenwirtschaft zerstört. Jedenfalls sei eine ordentliche Kündigung gerechtfertigt.

Der Betriebsrat sei nicht zu beteiligen gewesen. Der Kläger sei nach seinem Anstellungsvertrag und seiner Stellung im Unternehmen leitender Angestellter iSv. § 5 Abs. 3 BetrVG. Er beeinflusse maßgeblich ihre Einkaufsentscheidungen. Das von ihm zu verantwortende Umsatzvolumen von 53 Mio. DM im Jahr 1997, was einem Anteil von 0,62 % des Gesamtumsatzes des Unternehmens entspreche, verdeutliche seine herausragende Stellung im Unternehmen. Dies werde durch seine hierarchische Einordnung auf der dritten Führungsebene eines Großunternehmens und seiner Teilnahme am Firmenleitungskreis unterstrichen. Im Firmenleitungskreis, der die Führung und Leitung des Unternehmens insgesamt wahrnehme, arbeite er mit den anderen leitenden Angestellten des Unternehmens, insbesondere der anderen Einkaufsbereiche, eng zusammen. Alle 58 Zentraleinkäufer bewältigten im Zusammenwirken den Zentraleinkauf der Beklagten und würden damit Aufgaben wahrnehmen, die für den Bestand und die Entwicklung des Unternehmens von Bedeutung seien. Hinzu komme, daß er bei der letzten Wahl zum Sprecherausschuß mitgewählt habe und ein Jahresarbeitsentgelt erhalte, das für einen leitenden Angestellten üblich sei.

Zur Begründung ihres Auflösungsantrags verweist die Beklagte insbesondere auf die Einlassung des Klägers im Schriftsatz vom 14. März 2000, er wolle nicht leugnen, daß ihn das vorprozessuale und prozessuale Verhalten der Beklagten außerordentlich befremdet habe und daß er künftig sicherlich nicht mehr mit derselben Begeisterung wie früher für das Unternehmen arbeiten könne.

Das Arbeitsgericht hat festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht fristlos, jedoch auf Grund der vorsorglich ausgesprochenen ordentlichen Kündigung zum 31. Dezember 1998 beendet worden sei. Es hat die Beklagte weiter verurteilt, an den Kläger bis zum 31. Dezember 1998 die monatliche Vergütung zu zahlen.

Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch nicht durch die vorsorglich erklärte ordentliche Kündigung zum 31. Dezember 1998 aufgelöst worden ist. Die von der Beklagten eingelegte Berufung hat es zurückgewiesen und den hilfsweise von ihr gestellten Auflösungsantrag abgewiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die außerordentliche Kündigung vom 12. Dezember 1997 sei wie auch die vorsorgliche ordentliche Kündigung gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG unwirksam, weil die Beklagte den Betriebsrat nicht angehört habe. Die Beklagte habe nicht hinreichend substantiiert vorgetragen, daß der Kläger leitender Angestellter iSv. § 5 Abs. 3 BetrVG sei. Die – bestrittene – Behauptung, daß er im Rahmen allgemeiner Vorgaben aus der strategischen Planung und der Marketingplanung selbst eigenverantwortlich und allein über die Vergabe von Aufträgen im Wert von 53 Mio. DM pro Jahr entscheide, reiche hierfür nicht aus. Der Kläger sei nämlich nur für 0,576 % bzw. 0,3 bis 0,4 % des Gesamtumsatzes der Beklagten verantwortlich. Damit betreue er keinen beachtlichen unternehmerischen Teilbereich alleinverantwortlich. Da es auf die übertragenen Aufgaben ankomme, spiele es für die Beurteilung seines Status keine Rolle, ob die Beklagte ihm noch andere Einkaufsbereiche übertragen könne. Die Tatsache, daß er bei der letzten Wahl zum Sprecherausschuß mitgewählt habe, sei nicht entscheidend. Da das Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung zum 12. Dezember 1997 beendet worden sei, stehe dem Kläger der begehrte Verzugslohnanspruch gemäß § 615 Satz 1 BGB für den Monat Dezember 1997 und das Jahr 1998 zu. Der Auflösungsantrag der Beklagten sei zurückzuweisen, weil die Kündigung des Arbeitsverhältnisses schon nach § 102 Abs. 1 BetrVG unwirksam sei.

II. Dem ist im Ergebnis und weitgehend auch in der Begründung zu folgen. Die Wirksamkeit der Kündigungen vom 12. Dezember 1997 scheitert bereits an § 102 BetrVG.

Der Kläger ist kein leitender Angestellter. Deshalb findet das Betriebsverfassungsgesetz auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung (§ 5 Abs. 3 Satz 1 BetrVG). Die Beklagte mußte nicht den Sprecherausschuß nach dem Sprecherausschußgesetz (§ 31 Abs. 2 Sprecherausschußgesetz), sondern den bei ihr gebildeten Betriebsrat nach § 102 BetrVG beteiligen.

1. Leitender Angestellter ist nach § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG, wer nach Arbeitsvertrag und Stellung im Unternehmen oder im Betrieb regelmäßig sonstige Aufgaben wahrnimmt, die für den Bestand und die Entwicklung des Unternehmens oder eines Betriebes von Bedeutung sind und deren Erfüllung besondere Erfahrungen und Kenntnisse voraussetzt, wenn er dabei entweder die Entscheidungen im wesentlichen frei von Weisungen trifft oder sie maßgeblich beeinflußt; dies kann auch bei Vorgaben insbesondere auf Grund von Rechtsvorschriften, Plänen oder Richtlinien sowie bei Zusammenarbeit mit anderen leitenden Angestellten gegeben sein.

2. Der funktionelle Grundtatbestand der Tatbestandsgruppe des § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG verwendet mehrere unbestimmte Rechtsbegriffe, deren Anwendung durch die Tatsachengerichte im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen sind, ob die Bewertungsmaßstäbe nicht verkannt worden sind, die Gesamtwürdigung der maßgeblichen Umstände vertretbar erscheint und Verstöße gegen Denkgesetze oder Erfahrungsgrundsätze nicht vorliegen(vgl. nur BAG 11. Januar 1995 – 7 ABR 33/94 – BAGE 79, 80).

3. Diesem eingeschränkten Überprüfungsmaßstab hält das angegriffene landesarbeitsgerichtliche Urteil stand. Zwar würdigt es nicht alle maßgeblichen Umstände des vorliegenden Sachverhalts. Gleichwohl gelangt es zu einem zutreffenden Ergebnis.

a) Für die Entscheidung, ob der Kläger als leitender Angestellter iSv. § 5 Abs. 3 BetrVG zu qualifizieren ist, kommt es auf seine bisherige Tätigkeit als Zentraleinkäufer und seine daraus resultierende Stellung im Unternehmen an. Das Landesarbeitsgericht hat keine weiteren Feststellungen getroffen, ob er nach dem 30. Oktober 1997 entsprechend dem Schreiben vom 20. Oktober 1997 Tätigkeiten und Aufgaben eines Warengruppenmanagers ausgeübt hat. Aus seinem bisherigen Vorbringen läßt sich dies nicht entnehmen.

b) Während § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und 2 BetrVG auf formale Merkmale abstellt, die vorliegend nicht gegeben sind, enthält § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG eine funktionsgebundene Umschreibung des leitenden Angestellten. Die in der Norm verwandten Worte „sonstigen Aufgaben” bringen zum Ausdruck, daß der Angestellte nicht nur nach Nr. 1 und 2 der Norm, sondern auch nach Nr. 3 spezifische unternehmerische Führungsaufgaben wahrnehmen muß(BT-Drucks. 11/2503 S 30). Entscheidend ist demnach, inwieweit dem Angestellten unternehmerische (Teil-) Aufgaben übertragen worden sind und er diese ausgeführt hat. Der Status des leitenden Angestellten ist allein von dessen Funktion zu bestimmen und entzieht sich einer Festlegung durch Einkommensgrenzen, durch Leitungsebenen in der Unternehmenshierarchie, durch bestimmte Aus- und Vorbildungen oder durch zahlenmäßig fixierte Sach- oder Personalverantwortungen(BAG 23. Januar 1986 – 6 ABR 51/81 – BAGE 51, 1, 7). Unternehmerische Funktionen machen einen Angestellten nur dann zum leitenden Angestellten, wenn er Aufgaben von einer gewissen Breite für das Unternehmen wahrnimmt. Solche Aufgabenstellungen, die den Angestellten in die Nähe zum Unternehmer (Arbeitgeber) rücken, müssen von der Leitung des Unternehmens auf ihn übertragen worden sein und ihm Einwirkungsmöglichkeiten eröffnen, die regelmäßig für das Unternehmen, zumindest für den Bestand und die Entwicklung eines Betriebes des Unternehmens, von Bedeutung sind.

Nach dem Gesetzeszweck sollen deshalb von der Ausnahmebestimmung des § 5 Abs. 3 BetrVG nur solche Angestellte erfaßt werden, die der Unternehmensleitung wegen ihrer Tätigkeit und der Bedeutung ihrer Funktion nahestehen(BAG 29. Januar 1980 – 1 ABR 45/79 – BAGE 32, 381). Dabei muß es sich um einen beachtlichen Teilbereich unternehmerischer Gesamtaufgaben handeln. Die Tätigkeit des Angestellten darf sich nicht in Aufsichts- oder Überwachungsfunktionen erschöpfen(vgl. BAG 23. Januar 1986 – 6 ABR 51/81 – BAGE 51, 1). Die rein arbeitstechnische „vorprogrammierte” Durchführung unternehmerischer Entscheidungen gehört nicht zur Unternehmensleitung. Demgegenüber schaden Richtlinien, wie die Gesetzesformulierung zeigt, nicht. Dies gilt allerdings nicht, wenn die Richtlinien so detailliert sind, daß alle oder die Mehrzahl der Entscheidungen bereits „vorprogrammiert” sind(BAG 19. August 1975 – 1 AZR 613/74 – BAGE 27, 230). Eine fachlich oder rechtlich begrenzte unternehmerische Teilaufgabe kann dennoch genügen, um den Angestellten als leitenden Angestellten qualifizieren zu können. Sie muß dann allerdings für den Bestand und die Entwicklung des Unternehmens oder eines Betriebes von Bedeutung sein. Durch die gesetzliche Formulierung wird deutlich, daß nur solche Schlüsselpositionen im Unternehmen erfaßt werden sollen, die für die Verwirklichung der unternehmerischen Zielsetzung besonders wichtig sind. Die Schlüsselfunktion muß nicht auf personellem Gebiet liegen. Es genügt, daß der Angestellte mit wirtschaftlichen, technischen, kaufmännischen, organisatorischen oder wissenschaftlichen Führungsaufgaben betraut worden ist(vgl. insbesondere BAG 19. August 1975 – 1 AZR 613/74 – aaO; 23. Januar 1986 – 6 ABR 51/81 – BAGE 51, 1, 9; 22. Februar 1994 – 7 ABR 32/93 – RzK I 4 b Nr. 7).

Um aber von einer unternehmerischen Teilaufgabe sprechen zu können, muß dem Angestellten ein rechtlich und tatsächlich eigener, erheblicher Entscheidungsspielraum zur Verfügung stehen. Der Angestellte muß also mit weitgehender Weisungsfreiheit und Selbstbestimmung im Rahmen seiner Tätigkeit handeln können. Je enger jedoch der Teilaufgabenbereich ist, um so sorgfältiger müssen die Tatbestandsmerkmale des § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG geprüft werden(vgl. BAG 22. Februar 1994 aaO). Eine unter diese Norm fallende Schlüsselposition hat der Angestellte nur dann, wenn er selbständig unternehmerische Führungsentscheidungen trifft oder sie maßgeblich beeinflußt. Eine maßgebliche Einflußnahme liegt vor, wenn der Angestellte auf Grund seiner Position Fakten schafft, die bei der Findung der unternehmens- oder betriebsleitenden Entscheidung nicht unbeachtet gelassen werden können(BT-Drucks. 11/2503 S 30; BAG 29. Januar 1980 – 1 ABR 45/79 –; BAGE 32, 381, 384). Der dem Angestellten eingeräumte Ermessensspielraum läßt sich nicht abstrakt, sondern nur einzelfallbezogen feststellen. Dabei spielen sowohl die Größe und Struktur des Unternehmens als auch die vom Arbeitgeber frei bestimmte Unternehmensorganisation eine entscheidende Rolle. Es kommt dabei ua. darauf an, wie stark die Unternehmensleitung zentralisiert oder dezentralisiert ist(BAG 23. Januar 1986 – 6 ABR 51/81 – BAGE 51, 1, 8).

c) Bei Anwendung dieser Kriterien kann vorliegend nicht festgestellt werden, daß der Kläger maßgebliche unternehmerische Teilaufgaben mit entsprechender Eigenverantwortung wahrnimmt und deshalb als leitender Angestellter iSd. § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG zu qualifizieren ist.

aa) Auf die Funktionsbezeichnung im Anstellungsvertrag des Klägers kommt es für die Qualifizierung seines Status nicht an(BAG 22. Februar 1994 aaO). Dieser wird auch nicht durch das von ihm erzielte Einkommen, seine Einreihung in die dritte Leitungsebene des Unternehmens oder seine Teilnahme an der Wahl zum Sprecherausschuß bestimmt.

bb) Dem Kläger ist nur ein enges Aufgabengebiet zur Betreuung zugewiesen worden. Es liegt keine unternehmerische (Teil-) Aufgabe von einer gewissen Breite vor. Der Kläger betreut nur ein beschränktes Warensortiment (Damenlederwaren) und hat nur entsprechend beschränkte Einkaufsentscheidungen zu treffen. Neben ihm agieren noch weitere 57 Zentraleinkäufer für andere Warengruppen. Dementsprechend weist der von ihm zu betreuende Einkaufsbereich eine zu geringe Bandbreite und Bedeutung auf, um davon ausgehen zu können, daß der Kläger im Unternehmen eine kaufmännische Schlüsselfunktion ausübt(vgl. auch BAG 15. März 1977 – 1 ABR 29/76 – nv.).

cc) Auch der Umfang des Volumens des Warenumsatzes rechtfertigt eine Qualifizierung des Klägers als leitender Angestellter nicht(vgl. BAG 19. November 1973 – 1 ABR 20/73 – BAGE 26, 345, 357). Das Gesamtvolumen des Einkaufsumsatzes seines Bereichs liegt auch unter Berücksichtigung der von der Beklagten vorgetragenen Umsatzzahlen deutlich unter 1 % des Gesamtumsatzes. Selbst wenn man bei Einkaufsaktivitäten eines Angestellten die Bedeutung seiner Tätigkeit für das Unternehmen an der Umsatzhöhe festmachen wollte, so würde dies im vorliegenden Fall auf Grund des zu verantwortenden Umsatzvolumens im Verhältnis zum Gesamtumsatz der Beklagten nicht für eine erhebliche Bedeutung dieser Tätigkeit für den Bestand und die Entwicklung des Unternehmens sprechen.

dd) Die Beklagte hat auch nicht dargetan, daß der Kläger bei seiner Einkaufstätigkeit eine hinreichende unternehmerische Entscheidungsbefugnis – im Rahmen der zu beachtenden Richtlinien und Rahmenbedingungen – hat. Darauf hat bereits das Landesarbeitsgericht zutreffend hingewiesen. Die Beklagte hat die Konzernrichtlinien nicht vorgelegt. Deshalb kann auch nicht beurteilt werden, ob dem Kläger ggf. genügend selbständige Entscheidungsbefugnisse von relevanter Bedeutung eingeräumt worden sind. Ob und inwieweit der Kläger bestimmte Vorgaben auf Grund dieser Richtlinien zu beachten hat (vgl. beispielsweise Ziff. 3.9 der Stellenbeschreibung) und inwiefern diese ihn binden oder welche Entscheidungsspielräume ihm belassen sind, ist offen geblieben. Hinzu kommt, daß der Kläger nach Ziff. 3.10 der Stellenbeschreibung nur nach den Vorgaben der einzelnen Konzerngesellschaften im vom Holdingvorstand Einkauf festgelegten Rahmen einkaufen kann. Welchen konkreten Rahmen der Holdingvorstand Einkauf ihm für seine Einkaufstätigkeit setzt und ob ihm deshalb ein hinreichend eigenverantwortlicher Entscheidungsspielraum verbleibt, hat die Beklagte gleichfalls nicht vorgetragen. Es kann daher auch nicht ausgeschlossen werden, daß eine Vielzahl von Entscheidungen des Klägers „vorprogrammiert” sind.

ee) Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich aus der engen Zusammenarbeit des Klägers mit den anderen Mitarbeitern des Firmenleitungskreises nichts anderes. Aus dem Vortrag der Beklagten wird nicht deutlich, welche unternehmerischen Entscheidungen vom Kläger selbständig und eigenverantwortlich getroffen werden bzw. an welchen seiner Entscheidungen das Gremium „nicht vorbeigehen” kann. Wie der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts schon in seiner Entscheidung vom 15. März 1977(aaO) festgehalten hat, kann die Zusammenarbeit einer Gesamtheit von Verkaufs- und Bezirksleitern, die Planzahlen erarbeiten und so gemeinsam einen maßgeblichen Einfluß auf die wirtschaftliche, technische und wissenschaftliche Führung der Arbeitgeber ausüben, nicht dazu führen, wiederum für jeden einzelnen Mitarbeiter eine entsprechende unternehmerische Teilfunktion anzuerkennen.

ff) Schließlich kann auch aus den weiteren in der Stellenbeschreibung genannten Tätigkeiten des Klägers nicht auf seinen Status als leitender Angestellter geschlossen werden. Bei einer Vielzahl dieser Aufgaben handelt es sich um bloße überwachende Tätigkeiten, die dementsprechend ein nur geringes Maß an eigenverantwortlichem Handeln im Sinne einer Wahrnehmung von unternehmerischen Teilaufgaben beinhalten.

d) Diesem Ergebnis steht § 5 Abs. 4 BetrVG nicht entgegen. Daß der Kläger an der Wahl zum Sprecherausschuß teilgenommen hat, er einer Leitungsebene angehört, auf der nach dem Vortrag der Beklagten überwiegend leitende Angestellte vertreten sind, sowie ein regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt erhält, das für leitende Angestellte in dem Unternehmen üblich ist, und deshalb die Voraussetzungen nach § 5 Abs. 4 Nr. 1 bis 3 BetrVG erfüllt sind, ist insoweit nicht ausschlaggebend. § 5 Abs. 4 BetrVG enthält keine Regelbeispiele oder beispielhaften Erläuterungen der unbestimmten Rechtsbegriffe der § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG bzw. eine gesetzliche Vermutung(Fitting/Kaiser/Heither/Engels BetrVG 20. Aufl. § 5 Rn. 176). Die Regelung greift nicht ein, wenn Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung der in § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG verwandten unbestimmten Rechtsbegriffe bestehen. Sie macht einen umfassenden Sachvortrag für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen nach § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG nicht entbehrlich. § 5 Abs. 4 BetrVG will lediglich eine Entscheidungshilfe geben, wenn bei der Sachverhaltswürdigung Zweifel bestehen bleiben, dh. wenn die festgestellten Tatsachen sowohl die Einordnung des Angestellten als Arbeitnehmer iSd. § 5 Abs. 1 BetrVG als auch seine Einordnung als leitender Angestellter iSv. § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG vertretbar erscheinen lassen(BAG 22. Oktober 1994 aaO; ErfK/Eisemann 2. Aufl. § 5 BetrVG Rn. 36, Fitting/Kaiser/Heither/Engels aaO § 5 Rn. 172, 179; DKK/Trümner BetrVG 7. Aufl. § 5 Rn. 237 f.; Richardi BetrVG 7. Aufl. § 5 Rn. 203). Ein solcher „Zweifelsfall” ist nach den vorstehenden Ausführungen(s. II 4 c der Gründe) vorliegend gerade nicht gegeben.

4. Da die Kündigungen bereits auf Grund der fehlenden Beteiligung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam sind, kommt es nicht darauf an, ob ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB oder ein verhaltensbedingter Grund iSd. § 1 Abs. 2 KSchG für sie gegeben sind.

III. Dem Kläger steht der Verzugsvergütungsanspruch gemäß § 615 Satz 1 BGB zu, da sein Arbeitsverhältnis zumindest über den 12. Dezember 1997 hinaus bis zum 31. Dezember 1998 bestanden hat.

IV. Der Auflösungsantrag der Beklagten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG ist unbegründet. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kann der Arbeitgeber die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht verlangen, wenn die Kündigung nicht nur sozialwidrig, sondern auch aus einem anderen Grunde, insbesondere wegen der fehlenden Betriebsratsbeteiligung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG, unwirksam ist(vgl. BAG 10. November 1994 – 2 AZR 207/94 – AP KSchG 1969 Nr. 24 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 43).

V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

 

Unterschriften

Rost, Bröhl, Eylert, Rosendahl, Bartel

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 25.10.2001 durch Anderl, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 707181

DB 2002, 746

NZA 2002, 584

EzA-SD 2002, 14

EzA

NJOZ 2002, 1246

SPA 2002, 7

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