Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Freizeitausgleich für Schulungsveranstaltung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Mitglieder der Schwerbehindertenvertretung haben ebensowenig wie die Mitglieder des Betriebsrats einen Anspruch auf bezahlten Freizeitausgleich für die Teilnahme an außerhalb ihrer Arbeitszeit stattfindenden Schulungs- und Bildungsveranstaltungen. § 26 Abs 6 SchwbG gilt nicht für die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen.

 

Normenkette

SchwbG § 26; BetrVG 1972 § 37; BPersVG § 46

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 21.12.1988; Aktenzeichen 3 Sa 1061/88)

ArbG Dortmund (Urteil vom 24.03.1988; Aktenzeichen 3 Ca 53/88)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 21. Dezember 1988 – 3 Sa 1061/88 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger als Vertrauensmann der Schwerbehinderten Freizeitausgleich für den Besuch einer Schulungs- und Bildungsveranstaltung beanspruchen kann.

Die Beklagte betreibt in L… eine Kupferhütte mit ca. 800 Arbeitnehmern. Der Kläger ist bei der Beklagten als Laborant beschäftigt. Das Labor wird im Durchfahrbetrieb (Drei-Schicht-Betrieb) betrieben. Der Kläger arbeitet in Wechselschicht. Sein durchschnittlicher Schichtlohn beträgt täglich rd. 135,-- DM brutto bei einer Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden. Seit Februar 1984 ist der Kläger Vertrauensmann der ca. 50 Schwerbehinderten in dem Betrieb der Beklagten.

Im August 1987 lud der Landschaftsverhand Westfalen-Lippe als Hauptfürsorgestelle u. a. den Kläger als Vertrauensmann zu einer Veranstaltung ein, die als Schulungs- und Bildungsmaßnahme i. S. von § 31 Abs. 2 letzter Satz SchwbG in D… stattfinden sollte. Die Veranstaltung beinhaltete den Besuch der “REHA 87” (23. – 27. September 1987), einer Hilfsmittelausstellung für Behinderte sowie die Teilnahme an einem ganztägigen Forum am 24. September 1987, in dem die Hauptfürsorgestellen im Rahmen der Ausstellung einen “Querschnitt ihrer Hilfemöglichkeiten für die Arbeitgeber und Behinderten in Form einer Talk-Show mit praktischen Beispielen und Aktionen” vorstellen wollten.

Nach dem Rollsystem des Schichtenplans der Beklagten hatte der Kläger am Donnerstag, dem 24. September 1987, einen arbeitsfreien Tag. Mit Schreiben vom 25. August 1987 machte er für seine Teilnahme an der Veranstaltung Freizeitausgleich geltend. Die Beklagte lehnte die Forderung am 2. September 1987 ab. Der Messebesuch des Klägers dauerte am 24. September 1987 ohne Anreise länger als acht Stunden. Die Beklagte gewährte dem Kläger dafür Keinen Freizeitausgleich.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung eines entsprechenden Freizeitausgleichs. Er stützt seine Forderung auf § 26 Abs. 6 SchwbG und hat vorgetragen: Der Besuch der Ausstellung sei für ihn eine notwendige Bildungsmaßnahme i. S. von § 26 Abs. 4 Satz 2 SchwbG gewesen, die ihm für seine Arbeit als Vertrauensmann erforderliche Kenntnisse vermittelt habe. Die Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme gehöre ebenso wie z. B. die Teilnahme an einer Betriebsratssitzung zu den Tätigkeiten eines Vertrauensmannes i. S. von § 26 Abs. 6 SchwbG. Der Messebesuch sei aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der Arbeitszeit erfolgt. Aufgrund des Schichtenplans der Beklagten sei es ihm unmöglich gewesen, die erforderliche Tätigkeit innerhalb seiner Arbeitszeit zu verrichten. Trotz seiner Mitteilung vom 25. August 1987 habe es die Beklagte unterlassen, seine Arbeitszeit entsprechend zu verlagern.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihm für seine Teilnahme an der Veranstaltung der Hauptfürsorgestelle am 24. September 1987 in D… einen Arbeitstag Freizeitausgleich zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nach Ihrer Ansicht ist es unbeachtlich, ob der Messebesuch für den Kläger eine erforderliche Bildungsmaßnahme gewesen sei. Der Kläger sei jedenfalls nicht aus betriebsbedingten Gründen außerhalb seiner Arbeitszeit tätig geworden. Das Vorliegen eines betrieblichen Grundes setze nämlich voraus, daß ein Kausalzusammenhang zwischen der Sphäre des Betriebes und dem Zeitpunkt der Tätigkeit des Vertrauensmannes bestanden habe. Im vorliegenden Falle habe aber die Hauptfürsorgestelle den Termin der Veranstaltung vorgegeben. Sie habe darauf keinen Einfluß nehmen können.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Freizeitausgleich zu Recht verneint. Die Teilnahme eines Mitglieds der Schwerbehindertenvertretung an einer Schulungs- und Bildungsveranstaltung begründet keinen Anspruch auf Freizeitausgleich.

Der Kläger stützt den Klageanspruch auf § 26 Abs. 6 Schwerbehindertengesetz – SchwbG –. Danach haben die Vertrauensmänner und Vertrauensfrauen der Schwerbehinderten zum Ausgleich für ihre Tätigkeit, die aus betriebsbedingten oder dienstlichen Gründen außerhalb der Arbeitszeit durchzuführen ist, Anspruch auf entsprechende Arbeits- oder Dienstbefreiung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts oder der Dienstbezüge. Die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen ist jedoch keine Tätigkeit der Vertrauensleute im Sinne dieser Vorschrift. Die Regelung des § 26 Abs. 6 SchwbG ist im Zusammenhang mit § 26 Abs. 4 SchwbG zu seine Während jene Vorschrift die Tätigkeit der Vertrauensleute außerhalb ihrer Arbeitszeit zum Gegenstand hat, befaßt sich § 26 Abs. 4 SchwbG mit der Tätigkeit der Vertrauensleute innerhalb ihrer Arbeitszeit und bestimmt in Satz 1, daß die Vertrauensleute von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts oder der Dienstbezüge zu befreien sind, wenn und soweit es zur Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Der Begriff den “Tätigkeit” im Sinne des Abs. 6 kann nicht anders verstanden werden als der Begriff “Durchführung ihrer Aufgaben” in Abs. 4 Satz 1 des § 26 SchwbG. Was zu den Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung gehört, ist in § 25 SchwbG näher bestimmt. Die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen ist dort nicht aufgeführt. Vielmehr enthält § 26 Abs. 4 Satz 2 SchwbG eine Sonderregelung für die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen. Danach gilt für sie die Freistellungsregelung des § 26 Abs. 4 Satz 1 SchwbG lediglich entsprechend. Die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen gehört demnach nicht zu den Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung und damit zu “ihrer Tätigkeit” im Sinne von § 26 Abs. 6 SchwbG; denn sonst hätte es der Sonderregelung des § 26 Abs. 4 Satz 2 SchwbG nicht bedurft. Wenn § 26 Abs. 6 im Gegensatz zu § 26 Abs. 4 SchwbG die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen nicht ausdrücklich in die Regelung über den Freizeitausgleich einbezieht, so ist hieraus zu schließen, daß ein bezahlter Freizeitausgleich insoweit nicht in Betracht kommen soll.

Diese Auslegung entspricht auch dem Sinn und Zweck des § 26 SchwbG, durch den die Rechtsstellung der Vertrauensleute der Schwerbehinderten derjenigen der Betriebsrats- und der Personalratsmitglieder angeglichen werden soll. Hinsichtlich des Kündigungs-, Versetzungs- und Abordnungsschutzes ergibt sich dies unmittelbar aus § 26 Abs. 3 SchwbG. Aber auch die sonstigen Regelungen des § 26 SchwbG sind den entsprechenden Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes und des Bundespersonalvertretungsgesetzes nachgebildet.

Für Betriebsratsmitglieder regelt § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG die Ansprüche anläßlich der Teilnahme an einer Schulungs- und Bildungsveranstaltung. Diese Vorschrift enthält eine ähnliche Verweisungsregelung wie § 26 Abs. 4 Satz 2 SchwbG. Sie verweist für die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen nur auf die Freistellungsregelung des Abs. 2, nicht aber auch auf die Regelung des Abs. 3 des § 37 BetrVG über den Ausgleich für betriebsbedingt außerhalb der Arbeitszeit durchgeführte Betriebsratstätigkeit durch entsprechende bezahlte Arbeitsbefreiung. Das Bundesarbeitsgericht hat deshalb entschieden, daß Betriebsratsmitglieder für die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen nur Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts nach § 37 Abs. 2 BetrVG, nicht aber auch Freizeitausgleich nach § 37 Abs. 3 BetrVG beanspruchen können (BAGE 25, 305, 307 f. = AP Nr. 3 zu § 37 BetrVG 1972, zu 3 der Gründe; BAG Urteil vom 19. Juli 1977 – 1 AZR 302/74 – AP Nr. 31 zu § 37 BetrVG 1972).

Für Personalratsmitglieder enthält § 46 Abs. 6 BPersVG eine eigenständige und abschließende Sonderregelung für die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen. Danach führt die Teilnahme an einer Schulungs- und Bildungsveranstaltung lediglich zur Freistellung vom Dienst unter Fortzahlung der Bezüge. Die Gewährung von Freizeitausgleich gemäß § 46 Abs. 2 Satz 2 BPersVG kommt dagegen nicht in Frage (Lorenzen/Haas/Schmitt, BPersVG, Stand: August 1989, § 46 Rz 132; Dietz/Richardi, BPersVG, 2. Aufl., § 46 Rz 93; vgl. auch für Schulungen nach § 46 Abs. 7 BPersVG: BVerwG Urteil vom 23. Oktober 1980 – 2 C 43.78 –, Buchholz, SNW, Gruppe 2, Folge 3, 232 § 72 BBG Nr. 18, S. 35).

Da mithin weder Betriebsratsmitglieder noch Personalratsmitglieder für die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen außerhalb ihrer Arbeitszeit einen Anspruch auf Gewährung von Freizeitausgleich haben, muß Gleiches auch für die Vertrauensleute der Schwerbehinderten gelten. Es würde der in den Regelungen des § 26 SchwbG zum Ausdruck gekommenen Absicht des Gesetzgebers, die Vertrauensleute der Schwerbehinderten den Betriebsrats- und Personalratsmitgliedern gleichzustellen, zuwiderlaufen, wenn die Vertrauensleute der Schwerbehinderten insoweit bessergestellt würden. Dafür, daß der Gesetzgeber eine derartige Besserstellung gewollt hätte, ist kein hinreichender Anhaltspunkt gegeben. Der eingeklagte Freizeitausgleich steht dem Kläger daher nicht zu.

 

Unterschriften

Dr. Seidensticker, Schliemann, Dr. Becker, Stappert, Schmalz

 

Fundstellen

Haufe-Index 841066

BAGE, 250

BB 1990, 1413

RdA 1990, 255

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