Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankheitsbedingte Kündigung

 

Orientierungssatz

Prognostizierte Fehlzeiten sind nur dann geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen, wenn sie auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes festzustellen ist. Dabei können neben Betriebsablaufstörungen auch erhebliche wirtschaftliche Belastungen des Arbeitgebers, etwa durch zu erwartende, einen Zeitraum von mehr als 6 Wochen pro Jahr übersteigende Lohnfortzahlungskosten zu einer derartigen erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führen.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 04.05.1995; Aktenzeichen 5 Sa 717/94)

ArbG Oberhausen (Entscheidung vom 22.04.1994; Aktenzeichen 4 Ca 2937/93)

 

Tatbestand

Der 47jährige Kläger, der verheiratet und gegenüber 7 Kindern unterhaltsverpflichtet ist, war seit dem 30. April 1980 bei der Beklagten auf deren Betriebsstelle Schachtanlage H - als Hauer beschäftigt, und zwar gegen einen Bruttomonatslohn von zuletzt ca. 3600,-- DM. Die Beklagte führt untertägige Vortriebsarbeiten für Bergwerke aus. Sie hält eine Personalreserve von 32 % vor, wovon 19 % auf Urlaub/Freischichten, 7 % auf lange Krankheiten und Unfallausfälle sowie 6 % auf Kurzerkrankungen und kurzfristige Ausfälle entfallen.

Mit Schreiben vom 11. Oktober 1993 kündigte die Beklagte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nach vorheriger Anhörung des Betriebsrates fristgemäß aus krankheitsbedingten Gründen zum 30. Juni 1994. Danach beschäftigte sie den Kläger auf freiwilliger Basis mit leichten Transport- und Reinigungsarbeiten weiter, und zwar zunächst auf der Schachtanlage H , danach auf einer Schachtanlage in W . Diese Arbeiten sind inzwischen ausgelaufen.

Der Kläger war in den Jahren 1989 bis 1993 wie folgt arbeitsunfähig erkrankt:

03.01.89 bis 13.01.89 Lumbalgie

23.02.89 bis 25.02.89 Prellung re. U-Schenkel

11.08.89 bis 25.08.89 fieberh. Virusinfekt,

Gastroenteritis, Sinu-

Bronchitis

14.12.89 bis 14.01.90 Bronchopuismonie,

spastische Bronchitis

15.01.90 bis 26.01.90 Lumboischialgie

18.05.90 bis 02.12.90 Bronchitis

14.03.91 bis 05.04.91 Fieber und Grippe

21.05.91 bis 25.05.91 Omarthritis

03.07.91 bis 01.01.92 Schultersteife re.

04.05.92 bis 08.05.92 Lumbago

27.06.92 bis 10.07.92 Infizierte Fremdkörper-

verletzung li. Arm

31.07.92 bis 21.04.93 Bronchitis, Distorsion

li. Fuß

21.06.93 bis 23.11.93 Sinubronchitis

01.12.93 bis 16.01.94 Omathritis, Apnose

Daraus ergeben sich folgende Fehlzeiten:

Jahr proz. Durchschnitt mögl. Arbeitstage Fehltage

1989 35,4 % 202,7 39,4

1990 78 % 206 162

1991 72 % 200 146

1992 56 % 213 119

1993 96 % 166 (bis zur Künd.) 159

Ursache der beiden Arbeitsunfähigkeitszeiten vom 27. Juni 1992 bis 10. Juli 1992 und 23. Februar 1989 bis 25. Februar 1989 sind Arbeitsunfälle des Klägers. Die darauf beruhenden Fehltage sind in der Statistik nicht berücksichtigt worden. Der Kläger unterzog sich zur Jahreswende 1992/1993 einer Kur, die am 26. Januar 1993 endete, allerdings an seiner Arbeitsunfähigkeit zunächst nichts änderte.

Der Kläger hat geltend gemacht, die Arbeitsunfähigkeitszeiten seien überwiegend durch Erkrankungen im Bereich der Bronchien, der Bandscheibe und der Schultergelenke hervorgerufen worden und gingen auf die über 14 Jahre dauernde schwere Arbeit bei der Beklagten zurück. Zum Zeitpunkt der Kündigung sei aber absehbar gewesen, daß sich sein Gesundheitszustand soweit bessern werde, daß er in der Lage sei, zukünftig die geschuldete Arbeitsleistung wieder zu erbringen. Auch sei es der Beklagten möglich, ihn mit leichteren Transportarbeiten weiterzubeschäftigen: In der Schachtanlage H wie auch in W seien ständig derartige Arbeitsplätze frei, auf denen er eingesetzt werden könnte. So habe die Beklagte auch noch im Jahre 1994 Arbeitnehmer eingestellt und sie mit derartigen Arbeiten betraut, die auch er verrichten könne.

Der Kläger hat in der Revisionsinstanz zuletzt noch beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen

den Parteien durch die Kündigung vom 11. Oktober

1993 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag vorgetragen, nachdem die Krankheitszeiten zuletzt bis zum Ausspruch der Kündigung auf 95 % der Arbeitstage angestiegen seien, sei von einer negativen Gesundheitsprognose auszugehen. Aufgrund dieser Entwicklung und der Tatsache, daß auch schon in den Jahren 1985 bis 1988 nicht unerhebliche Fehlzeiten aufgetreten seien, sei davon auszugehen, daß der Kläger auch zukünftig in erheblichem Umfang ausfallen würde. Das sei auch durch die im Prozeß eingeholten ärztlichen Stellungnahmen bestätigt worden. Die Arbeitsunfähigkeitszeiten hätten zu nicht mehr hinnehmbaren betrieblichen Auswirkungen geführt, weil für die von ihr auszuführenden Vortriebsarbeiten unter Tage eine differenzierte kurz- und mittelfristige Personaleinsatzplanung notwendig sei. Trotz der vorgehaltenen Personalreserve erlaube es die auf allen Betriebsstellen gleichgelagerte Personalsituation nicht, kurzfristig Personal zur Vertretung des Klägers abzuziehen, zumal dies wegen der teilweise großen Entfernung zwischen den Schachtanlagen zu erheblichen Fahrtkosten führe. Darüberhinaus seien ständige Umsetzungen in den Arbeitskolonnen auf Dauer nicht möglich; es würden bergmännische Spezialarbeiten verrichtet, wobei die einzelnen Mitarbeiter dringend darauf angewiesen seien, daß die Abstimmung der verschiedenen Arbeitsabläufe reibungslos funktioniere. Durch einen ständigen Personalaustausch würden diese Arbeitsabläufe in und zwischen den Arbeitsgruppen beeinträchtigt, die termingerechte Auftragserfüllung und die Arbeitssicherheit für die Mitarbeiter stark gefährdet und nicht mehr gewährleistet. Auch eine Kompensierung der klägerischen Arbeitsunfähigkeitszeiten durch Mehrarbeit anderer Kollegen sei angesichts entgegenstehender gesetzlicher Vorschriften nur begrenzt, jedenfalls nicht auf Dauer möglich. Daneben habe sie in den angegebenen Zeiträumen 23.389,50 DM Lohnfortzahlungskosten und im Jahre 1993 zusätzliche 6.000,-- DM für weitere, arbeitsunabhängige tarifliche Vergütung aufbringen müssen.

Eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger bestehe nicht. Dies habe sie mit dem Betriebsrat umfänglich geprüft, wobei insbesondere ein leidensgerechter Arbeitsplatz nicht vorgehalten werden könne. Zwar sei der Kläger nach Auslaufen der Kündigungsfrist auf Arbeitsplätzen eingesetzt worden, diese seien aber gerade nicht dauerhaft vorhanden; spätestens im Juni 1995 sei die letzte, für den Kläger bereitgestellte Arbeitsmöglichkeit fortgefallen. Diese Arbeitsmöglichkeit sei bei Ausspruch der Kündigung noch nicht vorhanden gewesen. Neu eingestellte Arbeitnehmer würden ausschließlich als Hauer der Aus- und Vorrichtung beschäftigt, während der Kläger nach den ärztlichen Stellungnahmen nicht mehr als Hauer eingesetzt werden könne, ohne daß weitere Arbeitsunfähigkeitszeiten zu besorgen seien.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat Stellungnahmen der den Kläger behandelnden Ärzte Dr. T und Dr. P und schließlich ein arbeitsmedizinisches Gutachten des Dr. Pa eingeholt. Ferner hat das Landesarbeitsgericht zur Frage der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit die Zeugen S , To , G und K vernommen und alsdann die Berufung zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision des Klägers.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das Berufungsgericht hat zutreffend entschieden, daß die dem Kläger ausgesprochene Kündigung nicht sozial ungerechtfertigt ist, § 1 Abs. 2 KSchG.

I. Das Landesarbeitsgericht hat kurz zusammengefaßt seine Entscheidung wie folgt begründet: Die Kündigung sei wegen häufiger Kurzerkrankungen sozial gerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 KSchG), weil nach den ärztlichen Stellungnahmen von einer negativen Gesundheitsprognose auszugehen sei, und zwar aufgrund der beim Kläger vorliegenden chronischen Bronchitis, Schultersteife und Lumboischialgie. Infolge der Arbeitsunfähigkeitszeiten sei es in der Vergangenheit auch zu erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen in Form von Betriebsablaufstörungen gekommen; dem substantiierten Sachvortrag der Beklagten sei der Kläger in beiden Instanzen nicht entgegengetreten. Eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit bestehe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht, und auch die durchzuführende Interessenabwägung führe nicht zur Rechtsunwirksamkeit der streitbefangenen Kündigung.

II. Dieser Entscheidung folgt der Senat. Die Revisionsrügen, die sich insbesondere gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts richten, greifen nicht durch.

1. Das Landesarbeitsgericht hat nach den für eine krankheitsbedingte Kündigung in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entwickelten Kriterien (vgl. u. a. Grundsatzurteil vom 16. Februar 1989 - 2 AZR 299/88 - BAGE 61, 131 = AP Nr. 20 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; Urteile vom 29. Juli 1993 - 2 AZR 155/93 - AP Nr. 27, aaO und zuletzt vom 12. Juli 1995 - 2 AZR 762/94 - AP Nr. 7 zu § 626 BGB Krankheit, zu II 4 der Gründe) die soziale Rechtfertigung der ausgesprochenen ordentlichen Kündigung vom 11. Oktober 1993 zum 30. Juni 1994 beurteilt. Danach ist zunächst eine negative Gesundheitsprognose erforderlich; es müssen, und zwar abgestellt auf den Kündigungszeitpunkt, objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang rechtfertigen. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes sprechen. Dies gilt allerdings nicht, wenn die Krankheiten ausgeheilt sind. Bei einer negativen Indizwirkung hat der Arbeitnehmer gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzutun, weshalb mit einer baldigen Genesung zu rechnen ist, wobei er dieser prozessualen Mitwirkungspflicht schon dann genügt, wenn er die Behauptungen des Arbeitgebers nicht nur bestreitet, sondern seinerseits vorträgt, die ihn behandelnden Ärzte hätten die gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt, und wenn er die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbindet. Alsdann ist es Sache des Arbeitgebers, den Beweis für das Vorliegen einer negativen Gesundheitsprognose zu führen.

Die prognostizierten Fehlzeiten sind nur dann geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen, wenn sie auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes festzustellen ist. Dabei können neben Betriebsablaufstörungen auch erhebliche wirtschaftliche Belastungen des Arbeitgebers, etwa durch zu erwartende, einen Zeitraum von mehr als 6 Wochen pro Jahr übersteigende Lohnfortzahlungskosten zu einer derartigen erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führen.

Liegt eine solche erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen vor, so ist in einem dritten Prüfungsschritt im Rahmen der nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG gebotenen Interessenabwägung zu prüfen, ob diese Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden müssen, wobei u. a. zu berücksichtigen ist, ob die Erkrankungen auf betriebliche Ursachen zurückzuführen sind, ob und wie lange das Arbeitsverhältnis zunächst ungestört verlaufen ist, ob der Arbeitgeber eine Personalreserve vorhält und etwa neben Betriebsablaufstörungen auch noch hohe Lohnfortzahlungskosten aufzuwenden hatte; ferner sind das Alter, der Familienstand und die Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen.

2. Das Berufungsgericht hat die Kündigung der Beklagten methodisch richtig nach diesen Kriterien überprüft. Bei der Frage, ob die Kündigung des Klägers aufgrund krankheitsbedingter Fehlzeiten aus Gründen in der Person bedingt und deshalb sozial gerechtfertigt ist (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG), handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die vom Revisionsgericht nur dahin überprüft werden kann, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob die Entscheidung in sich widerspruchsfrei ist (vgl. u. a. BAG Urteile vom 28. Februar 1990 - 2 AZR 401/89 - AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, zu II 1 b aa der Gründe, m.w.N. und vom 11. August 1994 - 2 AZR 9/94 - AP Nr. 31, aaO, zu II 1 der Gründe). Unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs läßt das angefochtene Urteil keinen durchgreifenden Rechtsfehler erkennen.

a) Das Landesarbeitsgericht hat das Vorliegen einer negativen Gesundheitsprognose zunächst damit begründet, allein schon die Arbeitsunfähigkeitszeiten der Jahre 1989 bis 1993 ohne Berücksichtigung der auf Betriebsunfälle zurückzuführenden Fehlzeiten belegten, daß von einer negativen Aussicht für die Zukunft auszugehen sei. Mit dieser Begründung setzt sich die Revision nicht auseinander. Unterstützend kann noch hinzugefügt werden, daß außerdem die immer wiederkehrenden unterschiedlichen Krankheitsursachen wie Bronchitis, Schultersteife und Lumbago über einen so langen Zeitraum verteilt die Annahme des Landesarbeitsgerichts rechtfertigen.

Die ärztlichen Stellungnahmen haben entgegen der Meinung der Revision nichts anderes ergeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Stellungnahme des Dr. P vom 11. Juli 1994 dahin ausgewertet, es könne nicht ausgeschlossen werden, daß die in der Vergangenheit behandelten Krankheiten wie Lumbalgie und Schultersteife auch in Zukunft wieder auftreten würden. Die Revision meint, die genaue Formulierung "nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann" sei anders zu bewerten, nämlich dahin, daß die Behauptung des Klägers zutreffe, daß zum Zeitpunkt der Kündigung keine Erkrankungen wie bis dahin zu erwarten wären. Dieser beschönigenden Interpretation kann nicht beigetreten werden. Sie läßt nämlich unbeachtet, daß Dr. Platte ergänzend ausgeführt hat, wenn leichtere Arbeiten ausgeführt würden, sei die Wahrscheinlichkeit größer, daß schwerere Erkrankungen in der Zukunft nicht mehr aufträten. Auch daraus ist zu entnehmen, daß jedenfalls bei der vertraglich geschuldeten Arbeit als Hauer nach wie vor Arbeitsunfähigkeitszeiten zu besorgen sind.

Die Auskunft des Dr. T läßt nach Würdigung des Landesarbeitsgerichts ebenfalls erkennen, daß sowohl die Bronchitis wie auch die Rückenbeschwerden bei weitergehend schwerer körperlicher Arbeit wieder auftreten werden. Auch hinsichtlich dieser ärztlichen Stellungnahme verkürzt die Revision die Wiedergabe, wenn sie nicht zur Kenntnis nimmt, daß Dr. T weiter ausgeführt hat, die Neigung zu asthmatoider Bronchitis habe allerdings weiterbestanden und könnte bei auftretenden Infekten wieder zu erneuten Asthmaanfällen führen; auch die lumbalgieformen Beschwerden des Patienten könnten bei massiver Belastung immer wieder auftreten.

Das Landesarbeitsgericht hat nicht zuletzt auch zur Klärung der Prognose das arbeitsmedizinische Fachgutachten des Dr. Pa eingeholt, nach dessen Zusammenfassung die körperliche Belastung des Klägers als Hauer so hoch ist, daß aufgrund der bestehenden Einschränkungen des Muskelskelettsystems immer wieder Arbeitsunfähigkeitszeiten in hohem Maße zu erwarten sind; auch bei leichteren Arbeiten könne nicht einmal gesagt werden, daß die chronische Bronchitis geringer anfallen werde. Auch in diesem Punkt erschöpft sich die Revision darin, ihre Würdigung an die Stelle derer des Landesarbeitsgerichts zu setzen. Damit kann sie nicht durchdringen. Gerade das arbeitsmedizinische Gutachten spricht eindeutig von degenerativen Veränderungen im Lendenwirbelbereich und einer chronischen Bronchitis, die bei einer Vorschädigung der Atemwege, einem Nikotinabusus und der Staubbelastung unter Tage immer wieder auftreten werde.

b) Auch soweit das Landesarbeitsgericht eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen in Form von Betriebsablaufstörungen festgestellt hat, erschöpft sich die Revision in der allgemeinen Bewertung, es sei nicht nachvollziehbar, daß die von der Beklagten unterhaltene Personalreserve nicht auch Fehlzeiten des Klägers abdecken würde, ohne daß hierdurch weitere Kosten entstehen würden. Damit wird die gesamte Sachdarstellung der Beklagten zu den gerade wegen der Untertagearbeit auftretenden Betriebsablaufstörungen in Folge von Fehlzeiten nicht in Zweifel gezogen; dies entspricht auch der Feststellung des Landesarbeitsgerichts (§ 561 ZPO), daß der Kläger in den Tatsacheninstanzen diese Sachdarstellung nicht bestritten hat.

Die Revision macht in diesem Zusammenhang weiter geltend, das Berufungsgericht habe die Beweisangebote zu einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit mit leichteren Arbeiten nicht ausgeschöpft; das Berufungsgericht hätte den vom Kläger benannten Zeugen S ebenso wie die weiteren Zeugen U und Sa vernehmen müssen, wobei sich ergeben hätte, daß für den Kläger ein Arbeitsplatz mit leichteren Tätigkeiten auch nach Ablauf der Kündigungsfrist noch vorhanden gewesen sei.

Diese Prozeßrüge ist unzulässig, jedenfalls aber unbegründet. Sie genügt nicht den strengen Anforderungen, die nach § 554 Abs. 3 Nr. 2 b ZPO an Prozeßrügen zu stellen sind (vgl. z. B. BAG Urteil vom 9. März 1972 - 1 AZR 261/71 - AP Nr. 2 zu § 561 ZPO und Senatsurteil vom 11. August 1994 - 2 AZR 9/94 - AP Nr. 31 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, zu II 1 b der Gründe); danach gehört zur Zulässigkeit einer Verfahrensrüge nicht nur, daß der Rügende die Tatsachen genau bezeichnen muß, die den Mangel ergeben, sondern der Mangel ergibt sich desweiteren auch nur, wenn der Verfahrensfehler den Urteilsinhalt möglicherweise kausal verursacht hätte; bei einer Prozeßrüge muß deshalb entweder offenkundig sein oder vom Revisionskläger im einzelnen die Möglichkeit dargelegt werden, daß ohne die gerügte Verfahrensverletzung anders entschieden worden wäre (BAG Urteile vom 12. Dezember 1962 - 4 AZR 530/61 - BAGE 14, 1 = AP Nr. 3 zu § 161 ZPO und vom 9. Februar 1968 - 3 AZR 419/66 - AP Nr. 13 zu § 554 ZPO). Insoweit fehlt es an einem schlüssigen Vorbringen des rügenden Klägers in seiner Revision: Es ist nach der umfänglichen Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts zumindest nicht offenkundig, daß der Kläger mit seinem obigen, nach wie vor recht pauschalen, Vorbringen diese Würdigung zu Fall gebracht hätte, zumal sein Beweisantritt im Schriftsatz vom 2. August 1994 sich nur auf die Vergangenheit bezieht, womit das Vorbringen der Beklagten zur fehlenden künftigen Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nicht berührt wird. In derartigen Zweifelsfällen muß im übrigen in der Revisionsbegründung dargetan werden, daß ein Verfahrensverstoß des Landesarbeitsgerichts für dessen Rechtsfindung von entscheidender, also tragender Bedeutung gewesen wäre, anderenfalls bleibt die Rüge unvollständig (BAG Urteil vom 9. März 1972, aaO, zu 4 d der Gründe). Dies gilt hier in besonderem Maße, weil nach der vom Landesarbeitsgericht wiedergegebenen Aussage des Zeugen S dieser auf die Fragen des Gerichts nur pauschal darauf hingewiesen hat, daß es nach seiner Überzeugung Mitte des Jahres 1994 Transportarbeiten gegeben habe, die dem Kläger übertragen werden konnten; er habe aber einräumen müssen, daß diese Transportarbeiten von anderen Mitarbeitern ausgeführt wurden, daß die Einrichtung einer neuen Ladestelle mit einem freien Arbeitsplatz nicht sicher war und daß im übrigen die von ihm angesprochenen Arbeiten in aller Regel von den Hauern miterledigt würden. Mit diesem Teil der Aussage des Zeugen S setzt sich die Revision nicht auseinander, so daß nicht davon ausgegangen werden kann, das jetzige Vorbringen habe überhaupt zu einer anderen Beurteilung des Landesarbeitsgerichts führen müssen.

Dasselbe gilt auch im Hinblick auf die weitere Revisionsrüge, der Kläger habe jedenfalls längerfristig noch mit Transportarbeiten bei den Hinterlandarbeiten eingesetzt werden können, wofür in den zweitinstanzlichen Schriftsätzen Beweis angetreten worden sei; jedenfalls sei es nicht vom Kläger unbestritten geblieben, daß für die Beklagte bei Ausspruch der Kündigung eine konkrete Einsatzmöglichkeit für ihn nicht absehbar gewesen sei und sich erst später zufällig ergeben habe. Das Gegenteil wird im Urteil des Landesarbeitsgerichts (S. 23 unten) für den Senat nach § 561 ZPO festgestellt, ohne daß der Kläger gegenüber dieser Sachverhaltsdarstellung einen Tatbestandsberichtigungsantrag gestellt hätte. Die Tatbestandswirkung des § 561 ZPO gilt auch dann, wenn die entsprechende Feststellung formal in den Entscheidungsgründen getroffen wird (BAG Urteil vom 20. Mai 1988 - 2 AZR 682/87 - BAGE 59, 32, 38 = AP Nr. 9 zu § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung, zu C I 2 a der Gründe).

Davon abgesehen hat das Landesarbeitsgericht darüberhinaus die Zeugenaussagen dahin gewürdigt, es sei zwar im Oktober 1993 für die Beklagte erkennbar gewesen, daß sie den Kläger bis zum Ablauf der Kündigungsfrist Mitte 1994 mit leichteren Arbeiten auf der Schachtanlage H weiterbeschäftigen konnte, was sie auch getan habe; indessen habe zu diesem Zeitpunkt bereits festgestanden, daß die dem Kläger übertragenen Tätigkeiten Mitte des Jahres 1994 auslaufen würden, so daß an dieser Stelle eine weitergehende Beschäftigung auf einem leichteren, freien Arbeitsplatz nicht möglich gewesen sei. Für seine Sachdarstellung beruft sich der Kläger in der Revision auf den Zeugen S , dessen Bekundungen das Landesarbeitsgericht aber gerade als zu pauschal gewürdigt hat, ohne daß die Revision nunmehr konkretere Behauptungen in das Wissen des Zeugen S stellt. Schließlich hatte der Kläger ausweislich des Protokolls des Landesarbeitsgerichts vom 4. Mai 1995 ausreichend Gelegenheit, den Zeugen S zu befragen, wovon er auch Gebrauch gemacht hat. Etwaige Versäumnisse in dieser Hinsicht kann er nicht auf dem Umweg über die Revision nachholen.

c) Soweit die Revision schließlich die Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts als fehlerhaft rügt, ist zunächst daraufhinzuweisen, daß dem Tatsachenrichter gerade in diesem Rahmen ein weiter Beurteilungsspielraum zusteht (vgl. oben zu II 2), ohne daß die Revision näher dargestellt hätte, das Berufungsgericht habe etwa nicht alle wesentlichen Umstände berücksichtigt oder Voraussetzungen und Grenzen des Ermessens verkannt. Das Landesarbeitsgericht hat vielmehr ausdrücklich die schwierige Lage des seinerzeit 45 Jahre alten Klägers gewürdigt, der angesichts der vorliegenden körperlichen Einschränkungen schwer in der Lage sei, eine adäquate Tätigkeit wieder zu erlangen, und der auch in seiner sozialen Stellung angesichts der Kinderzahl und Unterhaltspflichten hart getroffen werde.

Die Revision meint, es sei der Gesichtspunkt zu kurz gekommen, daß die gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf die Tätigkeit für die Beklagte in den letzten 15 Jahren zurückzuführen seien. Dazu fehlt sowohl in der Revision wie auch im Vortrag der Tatsacheninstanzen jede nähere Konkretisierung. Die Beklagte hatte ausdrücklich bestritten, die Arbeitsunfähigkeiten hätten etwas mit der beruflichen Tätigkeit des Klägers zu tun. Nunmehr war es Sache des Klägers, ähnlich wie bei der Gesundheitsprognose, gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzutun, weshalb ein ursächlicher Zusammenhang bestehen soll (so ausdrücklich Senatsurteil vom 6. September 1989 - 2 AZR 118/89 - AP Nr. 22, aaO, zu B II 3 d cc der Gründe). Hierzu fehlt jeder nähere Hinweis. Im übrigen hat das Landesarbeitsgericht auch diesen Gesichtspunkt in seiner Interessenabwägung nicht übersehen, einer evtl. Mitursächlichkeit aber keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen. Das erscheint angesichts der mangelnden Konkretisierung des Klägervortrages nicht ermessensfehlerhaft, zumal das Landesarbeitsgericht in diesem Zusammenhang nicht einmal zu Lasten des Klägers einbezogen hat, daß der ärztliche Sachverständige Dr. Pa auch von einer Vorschädigung der Atemwege und einem Nikotinabusus, also auf den Kläger zurückzuführenden Ursachen, gesprochen hat. Mit den weiteren Überlegungen des Landesarbeitsgerichts, die demgegenüber zu Gunsten der Beklagten zu würdigen seien, u. a. der Vorhaltung einer Personalreserve, des längeren Zuwartens der Beklagten über knapp 5 Jahre hin bis zur Kündigung, des weiteren Wartens über 9 Monate nach der erfolglosen Kur des Klägers, der Belastung des Arbeitsverhältnisses durch Krankheitszeiten auch schon vor den in Rede stehenden Fehltagezeiten, wobei in dem 14 Jahre andauernden Arbeitsverhältnis nur ca. 4 Jahre unbelastet geblieben seien, setzt sich die Revision nicht auseinander. Sie erschöpft sich auch insoweit darin, ihre Würdigung an die Stelle derer des Landesarbeitsgerichts zu setzen.

Etzel Bitter Bröhl

Wolter Engelmann

 

Fundstellen

Haufe-Index 437984

BuW 1997, 198-200 (OT)

EEK, II/233 (ST1-2)

RzK, I 5g Nr 64 (S1-2)

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