Leitsatz (amtlich)

1. Im Falle einer krankheitsbedingten Kündigung ist der Arbeitgeber verpflichtet, dem Arbeitnehmer vor einer Beendigungskündigung eine Beschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz anzubieten, wenn ein solcher frei ist und vom Arbeitnehmer ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgefüllt werden kann.

2. Kann dagegen der Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung nicht mit zumindest hinreichender Wahrscheinlichkeit von dem späteren Vorhandensein eines geeigneten freien Arbeitsplatzes ausgehen, so ist er nicht verpflichtet, den betroffenen Arbeitnehmer „auf Verdacht” weiterzubeschäftigen oder einen neuen Arbeitsplatz zu schaffen.

 

Normenkette

KSchG § 1

 

Verfahrensgang

ArbG Oberhausen (Urteil vom 22.04.1994; Aktenzeichen 4 Ca 2937/94)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 13.06.1996; Aktenzeichen 2 AZR 497/95)

 

Tenor

1) Die Berufung des Klägers gegen dasUrteil des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 22.04.1994 – 4 Ca 2937/93 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2) Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung der Beklagten.

Der am 17.09.1948 geborene Kläger ist verheiratet und hat neun Kinder, von denen sieben unterhaltsberechtigt sind. Er ist seit dem 30.04.1980 bei der Beklagten auf deren Betriebsstelle, der Schachtanlage H.-R. als Hauer beschäftigt. Sein Bruttomonatslohn betrug zuletzt ca. DM 3.600,–. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes Anwendung.

Der Kläger war in den Jahren 1989 bis 1993 wie folgt arbeitsunfähig erkrankt:

03.01.89 bis 13.01.89

Lumbalgie

23.02.89 bis 25.02.89

Prell. re. U-Schenkel

11.08.89 bis 25.08.89

fieberh. Virusinfekt, Gastroenteritis, Sinu-Bronchitis

14.12.89 bis 14.01.90

Bronchopuismonie, spastische Bronchitis,

15.01.90 bis 26.01.90

Lumboischialgie

18.05.90 bis 02.12.90

Bronchitis

14.03.91 bis 05.04.91

Fieber und Grippe

21.05.91 bis 25.05.91

Omarthritis

03.07.91 bis 01.01.92

Schultersteife re.

04.05.92 bis 08.05.92

Lumbago

27.06.92 bis 10.07.92

Infizierte Fremdkörperverletzung li. Arm

31.07.92 bis 21.04.93

Bronchitis, Distorsion li. Fuß

21.06.93 bis 23.11.93

Sinubronichitis

01.12.93 bis 16.01.94

Omathritis, Apnose

Bei den beiden Arbeitsunfähigkeitszeiten vom 27.06.1992 bis 10.07.1992 und 23.02.1989 bis 25.02.1989 handelte es sich um Arbeitsunfälle des Klägers.

Dieser unterzog sich Anfang des Jahres 1993 einer Kur, die allerdings zunächst an seiner Arbeitsunfähigkeit nichts änderte.

Mit Schreiben vom 11.10.1993 kündigte die Beklagte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nach vorheriger Anhörung des Betriebsrates fristgemäß zum 30.06.1994. Sie beschäftigte den Kläger danach auf freiwilliger Basis mit leichten Transport- und Reinigungsarbeiten weiter, und zwar zunächst auf der Schachtanlage R.-H., danach auf einer Schachtanlage in W..

Mit seiner am 15.10.1993 beim Arbeitsgericht Hamm anhängig gemachten Klage, die das Arbeitsgericht Hamm mit Verweisungsbeschluß vom 09.12.1993 an das Arbeitsgericht Oberhausen verwiesen hat, hat der Kläger die Rechtsunwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung geltend gemacht, die er für sozial ungerechtfertigt hält. Er hat behauptet, daß er ab dem 17.01.1994 wieder arbeits- und damit voll einsatzfähig wäre.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 11.10.1993, zugestellt am 13.10.1993, zum 30.06.1994 nicht aufgelöst worden ist und fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Kündigung auf die krankheitsbedingten Ausfallzeiten des Klägers in der Vergangenheit gestützt und darauf verwiesen, daß diese Krankheitszeiten bis zum Ausspruch der Kündigung auf 95 % der Arbeitstage angestiegen seien. Aufgrund dieser Entwicklung und der Tatsache, daß auch schon in den Jahren 1985 bis 1988 nicht unerhebliche Fehlzeiten aufgetreten wären, sei davon auszugehen, daß der Kläger auch zukünftig in erheblichem Umfang ausfallen würde, ein Festhalten am Arbeitsverhältnis sei ihr deswegen nicht zumutbar.

Die Beklagte hat gemeint, daß die Arbeitsunfähigkeitszeiten auch zu nicht mehr hinnehmbaren betrieblichen Auswirkungen führten. So hätte sie Lohnfortzahlungskosten in Höhe von insgesamt DM 23.389,50 und im Jahre 1993 zusätzlich DM 6.000,– für weitere, arbeitsunabhängige Vergütung nach dem Tarifvertrag aufbringen müssen.

Unabhängig davon führten die Ausfallzeiten des Klägers aber auch zu gravierenden Betriebsablaufstörungen. Für die von ihr, der Beklagten, auszuführenden Vortriebsarbeiten unter Tage sei zwingend eine differenzierte kurz- und mittelfristige Personaleinsatzplanung notwendig. In diesem Rahmen halte sie bereits eine Personalreserve von etwa 32 % vor, die aus finanziellen Gründen und ohne Zustimmung der Auftraggeber nicht erweitert werden könnte. Weitere Überbrückungsmaßnahmen seien dem gegenüber nicht mehr möglich. Die auf allen Betriebsstellen gleichgelagerte Personalsituation erlaube es nicht, kurzfristig Personal zur Vertretung des Klägers abz...

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