1.1 Was genau regelt § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG, nach welchem laut BAG die Verpflichtung zu einem Arbeitszeiterfassungssystem besteht? Und was bedeutet diese Vorschrift in unionsrechtskonformer Auslegung?

Nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG sind Arbeitgeber dazu verpflichtet, Maßnahmen zu treffen, die für die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten sorgen. Das BAG versteht hierunter, bei unionsrechtskonformer Auslegung der Norm, die Verpflichtung zur Einführung eines Systems, mit dem die von Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann.[1]


Zum unionsrechtlichen Hintergrund:

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat bereits 2019 im sogenannten "Stechuhrurteil" entschieden, dass die EU-Mitgliedstaaten Arbeitgeber zur Einrichtung eines "objektiven, verlässlichen und zugänglichen Arbeitszeiterfassungssystem" verpflichten müssen.[2] Eine gesetzliche Umsetzung in Deutschland gab es bisher nicht.
1.2 Bislang mussten nach § 16 Abs. 2 ArbZG nur Überstunden erfasst werden. Reicht dies nun nicht mehr aus?
Nach der Entscheidung des BAG sind nicht nur Überstunden, sondern die gesamte Arbeitszeit aufzuzeichnen.[3]
1.3 Was bedeutet das für Vertrauensarbeitszeit?
Im Rahmen von "Vertrauensarbeitszeit" verzichten Arbeitgeber grundsätzlich auf die Kontrolle, wann Arbeitnehmer tatsächlich arbeiten oder ihre Pausen nehmen. Arbeitnehmer entscheiden weitgehend selbst über ihre Arbeitszeit. Die Erfassung derer steht dem nicht entgegen. Die geltenden Beschränkungen des Arbeitszeitgesetzes zu Höchstarbeitszeiten und der Einhaltung der Ruhezeit galten auch bisher für Arbeitnehmer mit Vertrauensarbeitszeit und sollten dokumentiert werden.
1.4 Müssen Arbeitgeber bereits jetzt tätig werden? Oder reicht es, auf eine konkretere gesetzliche Regelung zu warten?

Die Pflicht zur Zeiterfassung besteht nach dem BAG bereits jetzt!

Auch das BMAS hat sich dahingehend geäußert, dass Arbeitgeber nicht mit der Erfassung der Arbeitszeit warten dürfen, bis eine Anpassung des Arbeitszeitgesetzes erfolgt ist, sondern die Entscheidung des BAG verbindlich ist.[4]
1.5 Wann kann mit einer gesetzlichen Regelung gerechnet werden?
Seit April 2023 liegt ein Entwurf des BMAS zur Arbeitszeiterfassung vor. Im Wesentlichen werden die Vorgaben der vorangegangenen Rechtsprechung umgesetzt. Insbesondere ist eine Erweiterung des § 16 ArbZG um eine elektronische Arbeitszeiterfassungspflicht vorgesehen. Dieser beinhaltet aber ebenfalls einige Übergangsregelungen und sieht Abweichungsmöglichkeiten für Tarifverträge vor. Ob und wann das Gesetz in Kraft tritt, kann derzeit nicht beantwortet werden. Zunächst werden sich Verbände und Gewerkschaften äußern. Erst danach geht es ins Gesetzgebungsverfahren.
1.6 Müssen auch leitende Angestellte Arbeitszeit erfassen?

Nach überwiegender – bislang vom BAG allerdings nicht bestätigter – Auffassung sind leitende Angestellte von der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung nicht betroffen.

§ 3 ArbSchG gilt zwar grundsätzlich auch für leitende Angestellte. Die Entscheidungsgründe des BAG-Beschlusses enthalten aber Anhaltspunkte dafür, dass die Zeiterfassungspflicht nicht im Hinblick auf leitende Angestellte gilt, weil diese nach § 18 des Arbeitszeitgesetzes nicht den Beschränkungen des Gesetzes (z.B. Höchstarbeitszeit) unterliegen.

Zu beachten ist in dem Zusammenhang jedoch, dass damit nur leitende Angestellte i.S.d. Betriebsverfassungsgesetzes gemeint sind. Dies ist nicht automatisch jeder Arbeitnehmer, der gewichtige Funktionen im Betrieb ausfüllt. Vielmehr müssen besondere Anhaltspunkte vorliegen, um einen Arbeitnehmer als leitenden Angestellten in diesem Sinne ansehen zu können, z.B., dass der betreffende Arbeitnehmer zur selbstständigen Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt ist.
1.7 Müssen auch ehrenamtlich Tätige ihre Arbeitszeiten erfassen?

Die Pflicht zur Zeiterfassung besteht nicht, wenn das Ehrenamt rein karitativ ausgeübt wird, kein Entgelt gezahlt wird und es sich deshalb nicht um ein Arbeitsverhältnis handelt.

Die Zeiterfassung empfiehlt sich dennoch bei Personen, die eine Übungsleiteraufwandsentschädigung (§ 3 Nr. 26 EStG) oder eine Ehrenamtspauschale (§ 3 Nr. 26a EStG) erhalten, weil Voraussetzung dafür eine nebenberufliche Tätigkeit ist. Eine ehrenamtliche Tätigkeit wird nebenberuflich ausgeübt, wenn sie von einer etwaig bestehenden Haupttätigkeit abgegrenzt werden kann und mit nicht mehr als 1/3 des zeitlichen Aufwands einer vergleichbaren Vollzeittätigkeit ausgeübt wird.
1.8 Müssen auch Arbeitnehmer in Vertrauensarbeitszeit, im Homeoffice oder mit mobiler Arbeit ihre Arbeitszeit erfassen?
Ja. Die Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit gilt für alle Arbeitnehmer. Verzichtet wird bei diesen Modellen nicht auf die Arbeitszeiterfassung an sich, sondern auf die Vorlageverpflichtung. Die Beschränkungen des § 16 Abs. 2 ArbZG sowie die Einhaltung der Ruhezeit gem. § 5 ArbZG galten auch bisher für diese Modelle.
1.9 Was kann passieren, wenn keine Arbeitszeiterfassung durchgeführt wird?
Der Verstoß gegen die Zeiterfassungspfli...

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