3.1 Kündigung

In § 9 Abs. 2 AGG findet sich eine Generalklausel, die es den Religionsgemeinschaften erlaubt, von ihren Mitarbeitern zu erwarten, dass sie sich loyal verhalten. Das heißt, dass sie sich entlang der Werte der Gemeinschaft verhalten müssen.

 
Hinweis

§ 9 Abs. 2 AGG

"Das Verbot unterschiedlicher Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung berührt nicht das Recht der […] Religionsgemeinschaften […], von ihren Beschäftigten ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen zu können."

Fälle, in denen dies zu Kündigungen und Streit geführt hat, sind u. a. der Austritt aus der Kirche[1] und die erneute Heirat eines Chefarztes.[2]

3.1.1 Kündigung eines wiederverheirateten Chefarztes

Das BAG entschied mit Urteil vom 20.2.2019, dass § 9 Abs. 2 AGG nicht getreu dem Wortlaut ausgelegt werden darf, sondern bei der Auslegung der Vorschrift das Unionsrecht berücksichtigt werden muss.[2] Dies erklärt sich damit, dass das BAG den EuGH um eine Antwort auf die Frage ersuchte, ob § 9 Abs. 2 AGG unionsrechtskonform ist. Der EuGH verneinte das. Nach der Auffassung des EuGH rechtfertigt nicht jede Verhaltenserwartung, die den Werten der Religionsgemeinschaft entspringt, eine Diskriminierung gemäß § 9 Abs. 2 AGG. Für die Unionsrechtskonformität kommt es dem EuGH darauf an, dass die Verhaltenserwartung "wesentlich", "rechtmäßig", "gerechtfertigt" und "angemessen" ist.[3]

Der Chefarzt gewann den Rechtsstreit. Ihm zu kündigen, weil er erneut heiratete, konnte der Arbeitgeber nicht rechtfertigen, auch wenn eine Wiederheirat im Katholizismus verpönt ist. Das BAG begründete das damit, dass seine konfessionelle Loyalität keine Rolle spiele für die Ausübung seiner Tätigkeit. Für die Bekundung des Ethos der Kirche war es nicht wesentlich, gerechtfertigt und rechtmäßig, dass der betroffene Chefarzt das katholische Gebot der Unauflöslichkeit der heiligen Ehe achtet.[4] Das ergibt sich zunächst aus den Tätigkeiten, die der Kläger ausübte. Als Chefarzt der Abteilung "Innere Medizin" wirkte er weder an der Bestimmung des Ethos der Kirche mit noch an dessen Verkündung.[5] Indes könnte man anderer Auffassung sein, was die Frage angeht, wie wichtig die konfessionelle Loyalität ist, indem man sich die Frage stellt, dass der Chefarzt von Außenstehenden besonders wahrgenommen wird. Dieser Punkt reichte dem BAG allerdings ebenso wenig wie viele andere Aspekte der Tätigkeit, die die beklagte Kirche hervorbrachte, wie etwa, dass die Heiltätigkeit mit den Glaubenssätzen der Kirche im Zusammenhang stehe.[6] Das begründete das BAG damit, dass das Eheleben Teil des Privatlebens und daher mit dem Beruf nicht verbunden sei.[7]

Kirchen dürfen also nicht ohne Weiteres von ihren Mitarbeitern verlangen, sich "loyal" und "aufrichtig" i. S. d. § 9 Abs. 2 AGG entlang ihrer Regeln und Glaubenssätze zu verhalten, wenn dies für die ausgeübte Tätigkeit nicht ins Gewicht fällt.[8]

3.1.2 Kündigung eines Kirchenmusikers wegen "Leihmutterschaftsplänen"

Im Juni 2023 entschied das LAG Niedersachsen einen Fall, bei der ein Domkantor, der mit einem Mann liiert ist, plante, ein Kind mittels einer Leihmutterschaft zu bekommen.[1] Hierfür kündigte der kirchliche Arbeitgeber dem Domkantor. Bei der Leihmutterschaft wird eine Frau, die Leihmutter, mit dem Spermium des Kunden künstlich befruchtet.

Das Urteil begründete das Gericht damit, dass der Kläger dem Arbeitgeber gegenüber nicht illoyal gewesen sei. Zwar ist eine Leihmutterschaft anstößig aus dem Blickwinkel christlicher Konfessionen. Allerdings führt, wie oben dargelegt, nicht jeder Verstoß gegen die Werte der Glaubensgemeinschaft dazu, dass diese dem Arbeitnehmer kündigen darf. Ergibt sich aus diesen Werten die Verhaltenserwartung, keine Leihmutterschaft durchzuführen, muss diese Erwartung wesentlich, rechtmäßig, gerechtfertigt und angemessen sein. Ansonsten hat die Kirche keinen Handlungsspielraum, wenn sie aufgrund dieses Verstoßes gemäß § 9 Abs. 2 AGG arbeitsrechtliche Maßnahmen rechtfertigen will. Diese Hürde konnte sie im konkreten Fall nicht überwinden und damit die Kündigung nicht rechtfertigen.

[1] LAG Niedersachsen, Urteil v. 27.6.2023, 10 Sa 762/22.

3.1.3 Kündigung wegen der Weigerung, das Regal mit alkoholischen Getränken zu befüllen

Das BAG entschied im Februar 2011 einen Fall, der einen Mitarbeiter betraf, der sich weigerte, eine Arbeitsanweisung zu befolgen.[1] Der muslimische Mitarbeiter bestand darauf, Regale nicht mit alkoholischen Getränken zu befüllen. Er weigerte sich nicht von Anfang an, son...

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