Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses einer in der Schwangerenberatung der katholischen Kirche tätigen Sozialpädagogin wegen ihres Austritts aus der Kirche. Kündigung des Arbeitsverhältnisses als Diskriminierung wegen der Religion

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Es stellt keinen Grund für eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses einer in der Schwangerenberatung der katholischen Kirche tätigen Sozialpädagogen dar, dass diese aus der Kirche ausgetreten ist.

2. Jedenfalls ist die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten, wenn dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung der Kirchenaustritt bereits mehrere Jahre bekannt ist. Dabei ist es unschädlich, dass die Arbeitnehmerin sich in Elternzeit befand.

3. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen des Austritts aus der Kirche stellt eine Diskriminierung wegen der Religion im Sinne von Artikel § 9 Abs. 1 AGG dar.

 

Normenkette

BGB § 626; AGG § 7; BGB § 626 Abs. 1-2; AGG § 9 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 10.06.2020; Aktenzeichen 2 Ca 288/19)

 

Nachgehend

BAG (EuGH-Vorlage vom 01.02.2024; Aktenzeichen 2 AZR 196/22 (A))

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 10. Juni 2020 – Az.: 2 Ca 288/19 – werden zurückgewiesen, dies mit der Maßgabe, dass die Kostenentscheidung lautet:

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte zu 69%, die Klägerin zu 31%.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten wesentlich über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung im Kleinbetrieb sowie um die Zahlung einer Entschädigung nach dem AGG wegen Diskriminierung aufgrund der Religion.

Die Klägerin, inzwischen Mutter von fünf Kindern, ist seit dem 1. Januar 2006 bei dem Beklagten als Sozialpädagogin, hier insbesondere in der Schwangerschaftsberatung, tätig. Ihre Vergütung richtet sich nach E10 Stufe 5 TVöD VKA.

Der beklagte Verein gehört der katholischen Kirche an und unterliegt der kirchlichen Aufsicht des Diözesanbischofs.

§ 5 S. 1 und 2 des zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsvertrages vom 26. Januar 2006 lauten, wie folgt:

„Das Arbeitsverhältnis regelt sich nach der Arbeitsvertragsordnung der Diözese Limburg in ihrer jeweils gültigen Fassung. Die Arbeitsvertragsordnung ist wesentlicher Bestandteil dieses Vertrages.“

In § 1 Abs. 1 der Arbeitsvertragsordnung (AVO) heißt es:

„Die Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse ist Bestandteil des Arbeitsvertrages.“

Für die Schwangerschaftsberatung gelten folgende Richtlinien:

„Der Schutz des menschlichen Lebens von seinem Beginn bis zum Ende ist ein Gebot Gottes. Auf dieser Grundlage leistet die katholische Kirche Beratung und Hilfe .... Diese Beratungstätigkeit gehört zum Selbstverständnis und zum eigenen Auftrag der katholischen Kirche. ... Der kirchliche Einsatz für den Schutz des ungeborenen Lebens und das Angebot zur Beratung und Hilfe für schwangere Frauen in Not- und Konfliktsituationen werden auch weiterhin aufrechterhalten. ...

§ 1 Zielsetzung und Aufgaben

(1) Ziel der Beratung ist der Schutz des ungeborenen Kindes durch Unterstützung der Frau (und ihrer Familie) in allen Phasen der Schwangerschaft sowie nach der Geburt des Kindes.

(2) Die Beratung hat sich von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft sowie zur Annahme ihres Kindes zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen, insbesondere wenn sie sich in einer Not- und Konfliktlage befindet. Sie stärkt das Bewusstsein der Frau, dass das ungeborene Kind in jedem Stadium der Schwangerschaft auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Leben hat und dass das menschliche Leben von Anfang an unverfügbar ist. Zugleich soll deutlich gemacht werden, dass aus der Sicht des christlichen Glaubens niemand über das Leben des ungeborenen Kindes verfügen darf. …

§ 2 Durchführung der Beratung

(1) Die Beratung erfolgt ganzheitlich und umfassend. Das Leben des ungeborenen Kindes kann nur mit der Mutter und durch sie geschützt werden. Die Beratung soll der Frau helfen, ihrer Verpflichtung gegenüber dem ungeborenen Kinde gerecht zu werden.

§ 12 Kirchliche Anerkennung der Beratungsstellen

(1) Die katholischen Beratungsstellen bedürfen der kirchlichen Anerkennung. ...

§ 13 Verpflichtung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

Alle in den katholischen Beratungsstellen tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verpflichten sich schriftlich auf die Einhaltung dieser Richtlinien. Diese Erklärung (Anlage 1) ist zu den Personalakten zu nehmen. Die Nichteinhaltung dieser Richtlinien hat arbeitsrechtliche Konsequenzen.

§ 15 Inkrafttreten

(1) Diese Richtlinien werden von den Diözesanbischöfen zum 01.01.2001 in Kraft gesetzt.“

Seit dem Schreiben des Papstes vom 7. März 2002 – Anlage B 6 zum Schriftsatz des Beklagten vom 29. Oktober 2020, Bl. 356 d.A. – stellt der Beklagte keine Beratungsscheine mehr aus, die Voraussetz...

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