Große Auswirkungen hat die im AGG vorgesehene Beweiserleichterung für den Kläger gem. § 22 AGG. Üblicherweise ist es so, dass der Anspruchsteller den Vollbeweis für das Vorliegen der tatsächlichen Tatbestandsmerkmale des gestellten Anspruchs erbringen muss.[1] Stattdessen muss der Kläger im Geltungsbereich des AGG nur Indizien beweisen, die eine Diskriminierung überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Der Arbeitgeber kann sich in diesem Fall nur von einer Entschädigungspflicht befreien, wenn er tatsächlich beweist, dass er nicht gegen die Bestimmungen des AGG verstoßen hat. Das gestaltet die typische Beweislastverteilung zu Ungunsten des Arbeitgebers um.

 
Praxis-Beispiel

Dokumentation des Bewerberprozesses

Arbeitgeber sollten deshalb den gesamten Bewerbungsprozess dokumentieren und die Zustimmung des Bewerbers einholen, Kopien der eingesendeten Unterlagen zu erstellen. Wichtig hierbei ist, dass niemand Notizen auf den Bewerbungsunterlagen hinterlässt, die Indizien für eine Diskriminierung bilden könnten.

In einem Fall, den das BAG 2014 entschied,[2] bewarb sich eine Verwaltungsfachfrau auf eine Stelle als Buchhalterin. Sie erhielt eine Absage und ihre Bewerbungsunterlagen zurück. In den Bewerbungsunterlagen fand sich der handschriftliche Vermerk "Kind! 7 Jahre!". Dieser war durchgängig unterstrichen. Das BAG urteilte, dass hierin eine Diskriminierung wegen des Merkmals "Mutterschaft" gem. § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG liegt. Mit der Entscheidung klärte das BAG die Reichweite des Merkmals. Zur Mutterschaft gehört die gesamte Erziehungsphase und nicht nur die Phase nach der Schwangerschaft, für die das Mutterschutzgesetz Mutterschaftsurlaub vorsieht. Das BAG äußerte sich in dem Urteil auch über die Vermutungswirkung des § 22 AGG.[3] Für das Eintreten der Vermutungswirkung mit seinen beweisrechtlichen Folgen ist ausreichend, dass das Indiz Bestandteil eines "Motivbündels" ist. Das heißt, das Indiz muss keine gewichtige Rolle für die Gesamtentscheidung einnehmen. Es genügt, wenn das bewiesene Indiz die Entscheidung – wie gering der Effekt auch gewesen sein mag – beeinflusst hat. Das Indiz muss also nicht beweisen, dass der Arbeitgeber bei diskriminierungsfreier Auswahl den betroffenen Bewerber angestellt hätte.

 
Wichtig

Verfall der Ansprüche nach dem AGG

Datenschutzrechtlich ist zu empfehlen, mit Ablauf von 2 Monaten nach Absage die Unterlagen zu vernichten. Denn nach 2 Monaten ist die Frist abgelaufen, in der abgewiesene Ansprüche nach dem AGG geltend gemacht werden können.[4] Die Frist beginnt nicht bereits mit Zugang der Absage, sondern erst, wenn der abgewiesene Bewerber Kenntnis von der Absage erlangt.[5] Das spricht dafür, in jedem Fall 2 Monate und gerne auch etwas länger zu warten mit der Vernichtung der Unterlagen. Ist maßgeblich, wann der Bewerber die Kenntnis von der Absage erlangt, ist unklar, wann die Frist abläuft. Es ist leicht vorstellbar, dass der Zeitpunkt des Zugangs und der Zeitpunkt der Kenntniserlangung erheblich auseinanderfallen. Zugang tritt dann ein, wenn das Schreiben im Postfach des abgewiesenen Bewerbers angekommen ist. Eine Ausnahme hiervon besteht nur, wenn das Schreiben außerhalb üblicher Geschäftszeiten (feiertags oder später am Abend) in das Postfach gelangt. Das gilt auch, wenn der Bewerber währenddessen im Urlaub ist. Kommt der Bewerber also erst 3 Wochen später aus dem Urlaub zurück und sieht er vielleicht erst ein paar Tage später in das Postfach, beginnt die Frist erst dann zu laufen. Der Arbeitgeber kann also nicht auf den mutmaßlichen Zeitpunkt des Zugangs vertrauen, der in der Regel ein bis zwei Tage nach Absenden eintritt. Gleichwohl sollten Arbeitgeber darauf Wert legen, die Absage per Einschreiben abzusenden, um im Streitfall nachweisen zu können, dass das Schreiben angekommen ist. Denn wenn die Kenntniserlangung maßgeblich ist, kann der Bewerber eine späte Entschädigungsklage auch damit rechtfertigen, dass er nie eine Absage bekommen habe.

Zweck der Aufbewahrung der Bewerbungsunterlagen ist, dass sich der Arbeitgeber im Falle eines Entschädigungsprozesses durch die Dokumentation des Bewerbungsprozesses entlasten kann. Andererseits birgt die sofortige Rückgabe der Bewerbungsunterlagen ein vertretbares Prozessrisiko, denn die Beweislast für den Beweis einer Diskriminierung trägt weiterhin der Kläger.[6] Das Entschädigungsverlangen muss schriftlich erfolgen, eine E-Mail genügt nicht. Das stellt § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG klar.

[1] Sog. Rosenbergsche Normentheorie, vgl. Musielak/Voit/Foerste ZPO § 286 Rn. 34-35, 20. Auflage.
[3] Ebd. Rn. 22.
[5] NZA 2012, 1211 (1212) Rn. 24.
[6] So jedenfalls Gola, NZA 2013, 360 (363).

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