Mehrarbeitszuschläge: Urlaubszeiten sind zu berücksichtigen

Bei der Berechnung von Mehrarbeitszuschlägen müssen auch Urlaubstage berücksichtigt werden. Eine tarifliche Regelung für die Zeitarbeitsbranche ist aufgrund europarechtlicher Vorgaben entsprechend auszulegen, entschied das BAG. Andernfalls wären Beschäftigte versucht, ihren Urlaub nicht zu nehmen.

Sind Urlaubszeiten für Mehrarbeitszuschläge zu berücksichtigen? Diese Frage hatte der zehnte Senat des BAG zunächst dem Europäischen Gerichtshof gestellt und das Revisionsverfahren ausgesetzt. Mit Urteil vom 13. Januar 2022 (Aktenzeichen C-514/20) hat der EuGH daraufhin in aller Deutlichkeit entschieden: Eine Regelung im Tarifvertrag, nach der bei der Berechnung von Mehrarbeitszuschlägen nur die tatsächlich geleisteten Stunden, nicht aber Urlaubszeiten berücksichtigt werden, verstößt gegen EU-Recht. Dementsprechend hat das BAG nun in dem Verfahren die tarifliche Regelung unionrechtskonform ausgelegt. Die Revision eines Zeitarbeitnehmers hatte somit Erfolg. Das BAG entschied: Er hat einen Anspruch darauf, dass bei der Berechnung von Mehrarbeitszuschlägen auch Urlaubstage berücksichtigt werden.

Der Fall: Regelung im Tarifvertrag zu Mehrarbeitszuschlägen

Der Arbeitnehmer war seit Januar 2017 beim Zeitarbeitsunternehmen "Koch Personaldienstleistungen" aus Nordrhein-Westfalen beschäftigt. Er hatte geklagt und zunächst in allen Instanzen verloren. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag für die Zeitarbeit in der Fassung vom 17. September 2013 Anwendung. Die Regelung im Tarifvertrag zu Mehrarbeitszuschlägen ist recht eindeutig: Beschäftigten werden Zuschläge für Zeiten gezahlt, sobald ein bestimmter Schwellenwert im Kalendermonat überschritten wird. Für jede geleistete Mehrarbeitsstunde ist ein Zuschlag von 25 Prozent zum Stundenlohn zu gewähren.

Sind die für den Urlaub abgerechneten Stunden einzubeziehen?

Der Leiharbeitnehmer machte vor Gericht Mehrarbeitszuschläge für den Monat August 2017 geltend. Er hatte in diesem Monat tatsächlich 121,75 Stunden gearbeitet. Zudem nahm er in diesem Monat seinen Jahresurlaub: Zehn Arbeitstage basierend auf einer Fünf-Tagewoche. Der Arbeitgeber rechnete den August mit 84,7 Stunden ab. Die tarifvertragliche Schwelle, die überschritten werden müsste, um in diesem Monat Mehrarbeitszuschläge zu bekommen, lag bei 184 Stunden.

Arbeitgeber verweigert Mehrarbeitszuschläge wegen fehlender Mindeststundenanzahl

Der Arbeitgeber verweigerte die Zahlung der Überstundenzuschläge. Er machte geltend, dass die erforderliche Schwelle nicht erreicht wurde. Der Arbeitnehmer vertrat dagegen die Ansicht, dass ihm Mehrarbeitszuschläge zustehen würden, weil auch die für den Urlaub abgerechneten Stunden einzubeziehen seien und klagte - letztlich bis zum Bundesarbeitsgericht.

BAG: Europarechtswidriger Anreiz, auf Urlaub zu verzichten?

Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Der zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts ersuchte vor seiner Entscheidung den Europäischen Gerichtshof, um zu klären, ob die tarifliche Regelung mit Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG vereinbar ist.

Das BAG war überzeugt, dass die Auslegung des Tarifvertrags nicht zulässt, Urlaubszeiten bei der Berechnung der Mehrarbeitszuschläge zu berücksichtigen. Für die obersten Arbeitsrichter war jedoch klärungsbedürftig, ob der Tarifvertrag damit einen unionsrechtlich unzulässigen Anreiz begründet, auf Urlaub zu verzichten.

EuGH: Regelung zu Mehrarbeitszuschlägen verstößt gegen EU-Recht

Genau dies hat der EuGH mit seinem Urteil bestätigt. Nach der Entscheidung verstößt eine tarifliche Regelung, die bei der Berechnung der Mehrarbeitszuschläge die Urlaubszeiten der Beschäftigten nicht berücksichtigt, gegen EU-Recht.

In dem Urteil wies der EuGH darauf hin, dass jede Praxis oder Unterlassung eines Arbeitgebers, die Arbeitnehmende davon abhalten kann, den Jahresurlaub zu nehmen, gegen das mit dem EU-Recht auf bezahlten Jahresurlaub verfolgte Ziel verstößt. Dies sei regelmäßig der Fall, wenn Beschäftigte wegen eines finanziellen Nachteils darauf verzichten, den bezahlten Jahresurlaub zu nehmen.

Möglicher Anreiz, auf Urlaub zu verzichten

Im konkreten Fall sah der EuGH genau diese Problematik. Die Berechnung der Überstundenzuschläge, bei denen die Urlaubszeiten außen vor blieben, führte im konkreten Fall dazu, dass der Arbeitnehmer den monatlichen Schwellenwert von 184 Stunden nicht erreichte. Sein Gehalt war daher aufgrund der tariflichen Regelung für den Monat August niedriger, als wenn er keinen Urlaub genommen hätte.

BAG legt tarifliche Regelung europarechtskonform aus

Die Revision des Zeitarbeitnehmers hatte daraufhin vor dem BAG Erfolg. Die Erfurter Richter entschieden: Die tarifliche Regelung des § 4.1.2 MTV muss bei gesetzeskonformer Auslegung so verstanden werden, dass bei der Berechnung von Mehrarbeitszuschlägen nicht nur tatsächlich geleistete Stunden, sondern auch Urlaubsstunden bei der Frage mitzählen, ob der Schwellenwert, ab dem solche Zuschläge zu zahlen sind, überschritten wurde. Anderenfalls könnte die Regelung Arbeitnehmende davon abhalten den gesetzlichen Urlaub zu nehmen. Dies sei mit § 1 BurlG  in seinem unionsrechtskonformen Verständnis nicht vereinbar.

Hinweis: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16. November 2022, Az: 10 AZR 210/19; Vorinstanz: LAG Hamm, Urteil vom 14. Dezember 2018; Az: 13 Sa 589/18



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