
Eine tarifliche Regelung zu Mehrarbeitszuschlägen, die Urlaubszeiten von Beschäftigten nicht berücksichtigt, verstößt gegen EU-Recht, entschied der EuGH kürzlich. Anlass zur Frage, wie die Überstundenvergütung arbeitsrechtlich geregelt ist und wann Arbeitgeber Überstunden anordnen können.
Oft sind Überstunden oder Mehrarbeit im Tarifvertrag, Betriebsvereinbarungen oder im Arbeitsvertrag geregelt. Solche Regelungen dürfen im Hinblick auf die Vergütung der Mehrbelastung keinen Anreiz für Arbeitnehmende bieten, auf den Jahresurlaub zu verzichten. Das hat der EuGH kürzlich klar gestellt und einer Regelung, die Urlaubszeiten unberücksichtigt ließ, Einhalt geboten.
Was es bei der Vergütung von Überstunden zu beachten gilt und unter welchen Voraussetzungen eine Anordnung von Überstunden möglich ist, zeigt ein Blick auf die rechtlichen Vorschriften.
Unterschied zwischen Überstunden und Mehrarbeit
Aus arbeitsrechtlicher Sicht ist zwischen Überstunden und Mehrarbeit begrifflich zu unterscheiden. Unter Überstunden ist die Arbeit zu verstehen, die Beschäftigte über ihre individuell geltende Arbeitszeit hinaus leisten, die im Tarifvertrag, in der Betriebsvereinbarung oder dem Arbeitsvertrag für sie festgelegt ist.
Von Mehrarbeit spricht man, wenn Mitarbeitende die allgemeinen gesetzlichen Arbeitszeitgrenzen überschreiten. Beispielsweise gilt nach dem Arbeitszeitgesetz im Grundsatz die Arbeitszeit von acht Stunden pro Werktag – auch wenn Ausnahmen davon, etwa durch Tarifvertrag, möglich sind. Teilzeitbeschäftigte können also Überstunden leisten, ohne dass es sich dabei um arbeitszeitgesetzlich relevante Mehrarbeit handelt.
Anordnung von Überstunden: Das kann der Arbeitgeber nicht einseitig tun
So ohne Weiteres können Arbeitgeber Überstunden nicht einseitig anordnen. Insbesondere genügt das allgemeine Weisungsrecht des Arbeitgebers nicht, einen Beschäftigten einseitig zu Überstunden zu verpflichten. Das Weisungsrecht des Arbeitgebers beschränkt sich nämlich darauf, die im Arbeitsvertrag nur rahmenmäßig umschriebenen Pflichten des Arbeitnehmenden im Einzelnen zu bestimmen. Es begründet aber keine vertragserweiternden Rechte. Ohne ausdrückliche Regelung ist der Arbeitnehmende also grundsätzlich nicht verpflichtet, Überstunden zu leisten. Das bedeutet, dass in der Regel eine gemeinsame Vereinbarung erforderlich ist, in der Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich auf die Leistung von Überstunden einigen.
Überstunden mündlich anordnen: Das ist möglich
Arbeitgeber und Arbeitnehmender können sich also im Einzelfall darüber verständigen, dass der Arbeitnehmende länger arbeitet. Hierfür genügt eine mündliche oder auch stillschweigende Übereinkunft.
Transparenter ist es dagegen, direkt im Arbeitsvertrag eine Regelung zu den Überstunden zu vereinbaren. Damit eine solche Klausel, die den Arbeitgeber dazu berechtigt, einseitig nach seinem Ermessen Überstunden anzuordnen, wirksam ist, muss die Anzahl der im Höchstfall zu leistenden Überstunden festgelegt sein. Nur so weiß der Arbeitnehmende, welche Verpflichtung auf ihn zukommen kann.
Überstundenregelungen in Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen
Zu beachten ist auch, dass der Betriebsrat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ein Mitbestimmungsrecht beim Thema Überstunden hat. Existiert also eine Betriebsvereinbarung, die regelt, unter welchen Umständen der Arbeitgeber Überstunden anordnen darf, ergibt sich die Zulässigkeit von Überstunden aus der Betriebsvereinbarung.
Ebenso verhält es sich bei Tarifverträgen: Auch diese enthalten oft Regelungen darüber, unter welchen Umständen der Arbeitgeber Überstunden anordnen darf und wie viele Überstunden geleistet werden dürfen. Die Zulässigkeit von Überstunden folgt dann direkt aus dem Tarifvertrag.
Überstunden anordnen: Ausnahme bei Notfällen
Es gibt Ausnahmefälle, in denen der Arbeitgeber die Mitarbeiter einseitig verpflichten kann, Überstunden zu leisten – auch ohne vertragliche Regelung. Dies gilt bei Not-und Katastrophenfällen, die allerdings sehr selten sind. In echten Notsituationen – also bei existenzgefährdenden Ereignissen, die der Arbeitgeber nicht vorhersehen kann –, kann es sich aus der Treuepflicht des Arbeitnehmers ergeben, dass dieser einseitig angeordnete Überstunden erbringen muss.
Müssen Überstunden bezahlt werden?
Von der Pflicht zur Leistung der Überstunden ist die Frage nach der Vergütung der Überstunden zu unterscheiden. Zu beachten ist allerdings, dass es keinen Rechtsgrundsatz dafür gibt, dass Überstunden stets zu vergüten sind. Es kann bei entsprechender Vereinbarung auch Freizeitausgleich gewährt werden.
Überstunden auszahlen: Was gilt?
In aller Regel muss der Arbeitnehmende für geleistete Überstunden bezahlt werden, da er in diesem Fall eine quantitative Mehrleistung über die vertraglich geschuldete Leistung hinaus erbringt. § 612 Abs. 1 BGB wird in diesem Fall entsprechend angewendet. Auch Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen sehen oftmals eine Regelung zur Überstundenvergütung vor. Bei Auszubildenden - anders als bei allen anderen Arbeitnehmenden - sieht das Berufsbildungsgesetz (BBiG) explizit eine Vergütungspflicht von Überstunden vor.
Überstunden auszahlen: Vorsicht bei pauschalen Abgeltungsklauseln
Im Regelfall hat der Arbeitgeber also das Grundgehalt für Überstunden zu bezahlen. Finden sich gesonderte Klauseln im Arbeitsvertrag, kann das Unternehmen aber auch Freizeitausgleich gewähren. Vorsichtig sollten Arbeitgeber mit Klauseln umgehen, die vorsehen, dass Überstunden mit der gewöhnlichen monatlichen Vergütung abgegolten sein sollen. Nur in Ausnahmefällen, also zum Beispiel bei leitenden Angestellten, die ein herausgehobenes Entgelt beziehen, können Überstunden im Zusammenhang mit dem üblichen Aufgabenkreis mit der vereinbarten Vergütung abgegolten sein. Eine wirksame Klausel muss zudem eindeutig erkennen lassen, wie viele Überstunden in welcher Höhe vergütet werden. Das BAG erachtet eine pauschale Überstundenregelung für regelmäßige Mehrarbeit von Betriebsräten durch Betriebsvereinbarung als unzulässig.
Überstunden auszahlen: Anspruch auf Zuschlag für Nachtarbeit
Grundsätzlich ist auch zu unterscheiden zwischen der Grundvergütung für die geleistete Überstunde und einem besonderen Überstundenzuschlag. Soweit die Überstunden zugleich Nachtarbeit (§ 2 Abs. 3 ArbZG) sind, besteht gemäß § 6 Abs. 5 ArbZG ein Anspruch auf einen angemessenen Nachtarbeitszuschlag. Nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts ist ein Zuschlag von 25 Prozent angemessen.
Überstundenabbau anordnen
Häufig werden in Betrieben Arbeitszeitkonten geführt, für die in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen Regelungen existieren, in welchem Umfang Zeitguthaben aufgebaut werden dürfen und wie überschüssige Stunden abzubauen sind. Eine Verpflichtung zum Abbau von Plusstunden eines Zeitkontos kann sich auch im Zusammenhang mit der Beantragung von Kurzarbeitergeld ergeben. Voraussetzung für die Gewährung von Kurzarbeitergeld ist insbesondere das Vorliegen eines erheblichen Arbeitsausfalls, der nicht vermeidbar ist. Ein Arbeitsausfall ist danach vermeidbar, wenn er durch im Betrieb zulässige Arbeitszeitschwankungen vermieden werden kann. Da Zeitkonten Schwankungen der Arbeitszeit abbilden, sind Zeitkonten also grundsätzlich vor der Beantragung von Kurzarbeitergeld in Anspruch zu nehmen. (Lesen Sie dazu auch: Kurzarbeit und Kurzarbeitergeld nutzen und richtig abwickeln).
Eine Auflösung von Arbeitszeitguthaben kann jedoch in bestimmten Fällen nicht oder nur teilweise vom Arbeitnehmer verlangt werden. Gemäß § 96 Abs. 4 Unterabs. 2 SGB III können Arbeitszeitguthaben "stehen bleiben", soweit das Arbeitszeitguthaben:
- vertraglich ausschließlich zur Überbrückung von Arbeitsausfällen außerhalb der Schlechtwetterzeit bestimmt ist und den Umfang von 50 Stunden nicht übersteigt;
- als Wertguthaben gemäß § 7c Abs. 1 SGB IV für bestimmte Zwecke geführt wird (insbesondere Freistellungen im Rahmen von Pflegezeit, Familienpflegezeit, Elternzeit, Teilzeit, Sabbaticals, Verkürzung der Lebensarbeitszeit vor Altersrente oder Qualifizierungsmaßnahmen);
- zur Vermeidung der Inanspruchnahme von Saison-Kurzarbeitergeld angespart worden ist und den Umfang von 150 Stunden nicht übersteigt;
- den Umfang von 10 Prozent der ohne Mehrarbeit geschuldeten Jahresarbeitszeit übersteigt oder
- länger als ein Jahr unverändert bestanden hat.
Gibt es keine arbeitsvertragliche oder sonstige Regelung zum Abbau von Überstunden, kann der Arbeitgeber von seinem Weisungsrecht Gebrauch machen. Damit kann er bestimmen, wann Überstunden abgebaut werden, beispielsweise in auftragsschwachen Zeiten. Arbeitsrechtlich existieren keine Bestimmungen, die es Arbeitnehmenden erlauben, den Zeitpunkt des Überstundenabbaus nach eigenen Wünschen zu wählen. Außerdem gibt es ein berechtigtes betriebliches Interesse, den Überstundenabbau der Arbeitnehmenden zu koordinieren, damit betriebliche Arbeitsabläufe nicht durch Mitarbeitermangel gestört werden. In der Praxis werden Überstunden deshalb häufig innerhalb eines kurzen Zeitraums wieder abgebaut, damit nicht zu viele Plusstunden auf dem Zeitkonto auflaufen.
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