BAG-Urteil: Verd.i muss bei rechtswidrigem Streik Schadensersatz zahlen
Haufe Online-Redaktion: Ist die Forderung von Schadensersatz eine angemessene Reaktion auf kollektives Verhalten wie einen rechtswidrigen Streik, oder sollte den Streik denn nicht zusätzlich eine sittenwidrige Schädigung vorgeworfen werden können? Hat das BAG hierzu Ausführungen gemacht? Wie lauten die Voraussetzungen, die einen Schadenersatz rechtfertigen?
Dr. Utz Andelewski: Wird ein Arbeitgeber von einer Gewerkschaft rechtswidrig bestreikt, ist die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegenüber der Gewerkschaft die richtige und oftmals auch die einzige dem Arbeitgeber verbleibende Reaktionsmöglichkeit. In dem dem BAG zur Entscheidung vorliegenden Sachverhalt hatte der Arbeitgeber die Gewerkschaft außergerichtlich zunächst auf die Rechtswidrigkeit des Streiks hingewiesen und nachdem der Streik begonnen hatte sogar versucht, den Streik durch Beantragung einer Einstweiligen Verfügung unterbinden zu lassen. Bedauerlicherweise konnte das im Wege des Einstweiligen Rechtsschutzes angerufene Arbeitsgericht jedoch nicht über die Rechtmäßigkeit des Streiks entscheiden, bevor dieser beendet war. Nachdem alle Versuche des Arbeitgebers, den Streik zu verhindern, erfolglos geblieben sind, blieb dem Arbeitgeber gar keine andere Möglichkeit als den ihm entstandenen Schaden gegenüber dem Schädiger – hier der Gewerkschaft ver.di – gerichtlich geltend zu machen. Anspruchsgrundlage für die Schadensersatzpflicht der Gewerkschaft gegenüber dem Arbeitgeber sind die §§ 823, 831 BGB. Die Gewerkschaft ist bereits bei Verwirklichung der in §§ 823 und 831 BGB normierten Tatbestandsmerkmale (schuldhafter und rechtswidriger Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes, der zur Erstellung eines Schadens geführt hat) zum Schadensersatz verpflichtet. Eine sittenwidrige Schädigungsabsicht der Gewerkschaft ist hierfür nicht erforderlich. Sollte eine solche vorgelegen haben, könnte sich die Gewerkschaft zudem gemäß § 826 BGB schadensersatzpflichtig gemacht haben.
Haufe Online-Redaktion: Wie stehen Sie zu der Kritik von ver.di, dass in Zeiten von Tarifverhandlungen ein Austritt des Arbeitgebers nicht erlaubt sein sollte? War diese Frage auch Gegenstand des Urteils?
Dr. Utz Andelewski: Ein Arbeitgeber kann jederzeit unter Beachtung der entsprechenden satzungsrechtlichen Regelungen aus einem Arbeitgeberverband austreten, auch während laufender Tarifvertragsverhandlungen. Da § 3 Abs. 3 TVG bestimmt, dass im Falle eines Austritts eines Arbeitgebers aus einem Arbeitgeberverband die Tarifgebundenheit bestehen bleibt bis der Tarifvertrag endet - der Tarifvertrag also weiterhin verbindlich gilt - , ist die spannende Frage, ob ein Arbeitgeber im Falle eines Austritts während laufender Tarifvertragsverhandlungen auch an den nach Abschluss der Tarifvertragsverhandlungen neu abgeschlossenen Tarifvertrag so lange gebunden ist, bis dieser endet. Dies ist im Grundsatz zu verneinen. Denn zum Zeitpunkt des Abschlusses des neuen Tarifvertrages war der Arbeitgeber ja nicht mehr Mitglied des Arbeitgeberverbandes. Hiervon gibt es allerdings eine entscheidende Ausnahme. Tritt ein Arbeitgeber während laufender Tarifvertragsverhandlungen aus einem Arbeitgebervertrag aus und kommt dies für die Gewerkschaft so überraschend, dass sie ihre Kampf- und Streikziele auf diesen Blitzaustritt nicht mehr einstellen kann, darf auch ein solcher Arbeitgeber bestreikt werden und ist auch an den (nach seinem Austritt) neu abgeschlossenen Tarifvertrag gebunden. Ein solcher Sachverhalt lag in dem vom BAG am 19. Juni 2012 entschiedenen Sachverhalt jedoch nicht vor. Der Arbeitgeber ist aus dem Arbeitgeberverband mit Tarifbindung in den Arbeitgeberverband ohne Tarifbindung vor Beginn der ersten formalen Tarifvertragsverhandlung gewechselt. Danach ist er in einen anderen Arbeitgeberverband mit Tarifbindung eingetreten. Dieser Wechsel wurde der Gewerkschaft von dem Arbeitgeber und von dem neuen Arbeitgeberverband schriftlich und zudem in einem persönlichen Gespräch deutlich vor Streikbeginn mitgeteilt. Jedenfalls in einem solchen Fall ist es nach Auffassung des BAG unzulässig einen Arbeitgeber zu bestreiken.
Haufe Online-Redaktion: Welche Konsequenzen folgen aus dem Urteil des BAG vom 19. Juni 2012 für tarifgebundene Arbeitgeber, die überlegen, aus einem Arbeitgeberverband auszutreten oder in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung zu wechseln?
Dr. Utz Andelewski: Um zu verhindern, dass Arbeitgeber auch an einen nach erfolgtem Austritt aus einem Arbeitgeberverband bzw. Wechsel in eine OT-Mitgliedschaft abgeschlossenen Tarifvertrag gemäß § 3 Abs. 3 TVG gebunden sind, sollte ein Austritt aus dem Arbeitgeberverband vor Beginn der Tarifvertragsverhandlungen erklärt werden. Problematisch ist jedoch, dass Arbeitgeber typischerweise nicht wissen, wann Tarifvertragsverhandlungen beginnen. Denn vermutlich wird man annehmen müssen, dass Tarifvertragsverhandlungen nicht erst mit dem ersten formalen Gegenübersitzen der Tarifvertragsparteien am Verhandlungstisch beginnen, sondern bereits mit dem Führen von Vorgesprächen oder der Vorbereitung der ersten Verhandlungsrunde. Um sicher zu sein, dass ein Austritt aus einem Arbeitgeberverband nicht als sogenannter Blitzaustritt während laufender Tarifvertragsverhandlungen gewertet wird, kann Arbeitgebern nur empfohlen werden, mehrere Monate vor Ablauf von Tarifverträgen aus dem Arbeitgeberverband auszutreten bzw. in eine OT-Mitgliedschaft zu wechseln. Nur so ist sichergestellt, dass eine Bindung an einen von dem Arbeitgeberverband neu abgeschlossenen Tarifvertrag nicht besteht. Eine Information der Gewerkschaft über den Austritt eines Arbeitgebers aus dem Arbeitgeberverband oder über einen Wechsel in eine OT-Mitgliedschaft ist nicht erforderlich, sollte aber spätestens erfolgen, wenn bekannt wird, dass die Gewerkschaft beabsichtigt, einen aus dem Arbeitgeberverband ausgetretene oder in eine OT-Mitgliedschaft gewechselten Arbeitgeber sie zu bestreiken.
Das Interview führte Renate Fischer, Ass. jur.
Dr. Utz Andelewski ist Partner in der Rechtsanwaltskanzklei Salans und vertrat im Rechtsstreit die Arbeitgeberseite vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG Urteil vom 19.06.2012 - 1 AZR 775/10).
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