Arbeitskampf: Dritte bekommen Schäden durch Streik nicht ersetzt

In zwei Fällen zum Arbeitskampfrecht hat das BAG festgestellt: Werden Unternehmen nicht unmittelbar bestreikt, können sie auch keinen Schadensersatz verlangen – auch wenn sie wirtschaftlich vom Streik betroffen sind. Nach den Urteilen dürften vor allem Gewerkschaften aufatmen.

Erstmals beschäftigte sich das Bundesarbeitsgericht mit der Frage, ob Unternehmen, die nicht selbst bestreikt werden, Schadensersatz für Streikfolgekosten verlangen können - wenn es Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Arbeitskampfes gibt. Es ging um den Anspruch Unbeteiligter – in diesem Fall der Fluggesellschaften bei ausgefallenen Flügen. Die Frage stellt sich aber auch bei geschlossenen Kitas, lahmgelegten Eisenbahnverbindungen oder liegengebliebenen Zulieferteilen.

Schadensersatz für mittelbar betroffene Unternehmen?

In den Streitfällen vor dem BAG war beides Mal die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) die beklagte Partei. Konkret ging es um einen Unterstützungsstreik am Flughafen Stuttgart sowie um einen angekündigten, letztlich aber nicht durchgeführten Streik der GdF. In beiden Konstellationen verlangten Luftverkehrsunternehmen als mittelbar vom Streik Betroffene Schadenersatz von der Gewerkschaft.

Nun kann der Chef der GdF, Matthias Maas, aufatmen, hat er doch beim umstrittenen Lotsenstreiks Rückendeckung von den höchsten deutschen Arbeitsrichtern erhalten. Laut BAG haben die Fluggesellschaften gegen die Gewerkschaft keine Schadenersatzansprüche wegen ausgefallener, verspäteter oder umgeleiteter Flüge – selbst wenn rechtlich fraglich ist, ob ein Streik rechtmäßig wäre. Lufthansa, Air Berlin, Tuifly, Germanwings und Ryanair hatten als Kläger nach Angaben des BAG insgesamt einen finanziellen Schaden von rund 3,2 Millionen Euro geltend gemacht.

Streik verboten, dennoch kein Schadensersatz

Konkret wollte die GdF im Fall des Unterstützungsstreiks zunächst mit dem Betreiber des Stuttgarter Flughafens in Tarifverhandlungen für die Vorfeldmitarbeiter eintreten. Dafür traten diese Beschäftigten zunächst in den Streik. Im April rief die GdF die bei der Deutschen Flugsicherung beschäftigten Fluglotsen ebenso zu einem Streik – von 16 bis 22 Uhr – auf, um die Vorfeldbeschäftigten zu unterstützen. Trotz Notdienstvereinbarung fielen 36 Verbindungen der Airlines aus, zahlreiche andere Flüge hatten Verspätung oder mussten umgeleitet werden. Nach einem Verbot des Arbeitsgerichts Frankfurt a.M. brach die GdF den Unterstützungsstreik ab.

Dennoch hat sich der erste Senat des BAG den Vorinstanzen angeschlossen und wies die im Wesentlichen auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung gerichteten Klagen ab. Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB bestehe nicht. Es liege keine widerrechtliche Eigentumsverletzung vor, indem die Nutzung der Flugzeuge erheblich beeinträchtigt wurde, entschieden die Richter. Auch das Recht der Fluggesellschaften am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als sonstiges Recht iSd. § 823 Abs. 1 BGB ist nicht verletzt.

BAG: Fluglotsenstreik nicht gegen Airlines gerichtet

Vielmehr war der Fluglotsenstreik gegen den Betrieb der Deutschen Flugsicherung gerichtet. Ein Eingriff in die Gewerbebetriebe der Fluggesellschaften war damit nicht verbunden und ist insbesondere nicht wegen der öffentlich-rechtlichen Rahmenbedingungen für Luftverkehrsunternehmen anzunehmen. Auch die Voraussetzungen einer sittenwidrigen Schädigung im Sinne des § 826 BGB durch den Arbeitskampf liegen nicht vor.

Ebenso die Schadenersatzklagen von drei Fluggesellschaften gegen die letztlich nicht durchgeführten Streiks der Gdf Im Jahr 2011 lehnte das BAG ab – auch wenn die Airlines erheblichen Mehraufwand hatten, weil sie bereits Flüge abgesagt und Passagiere umgebucht hatten. Dennoch auch hier: Der Streik richtete sich nicht gegen den Betrieb der Fluggesellschaften.

Kein zusätzliches Haftungsrisiko für Gewerkschaften

Letztlich hätten die Bundesrichter entschieden, dass das finanzielle Risiko von Gewerkschaften, die zu Arbeitsniederlegungen aufrufen, nicht steigt, sagte der Arbeitsrechtsprofessor Wolfgang Däubler von der Universität  Bremen. Sie hätten damit ein "enormes Schadenersatzrisiko" von den Gewerkschaften genommen, das im schlimmsten Fall deren Existenz gefährdet hätte.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts haben nur rechtswidrig bestreikte Arbeitgeber Schadensersatzansprüche gegen die streikführende Gewerkschaft. "Das ist unstrittig", sagte BAG-Sprecher Waldemar Reinfelder. Ein entsprechendes Urteil von 2002 führte beispielsweise dazu, dass die Gewerkschaft Verdi Schadenersatz in Millionenhöhe an die Stadtwerke Bonn zahlen musste. Ihr Streik war in allen Instanzen als unrechtmäßig bewertet worden.


Hinweis: BAG, Urteil vom 25. August 2015, Az. 1 AZR 754/13 und Az. 1 AZR 875/13; Vorinstanz: Hessisches LAG, Urteil vom 25. April 2013, Az.  9 Sa 561/12 und Urteil vom 27. Juni 2013, Az. 9 Sa 1387/12

Weitere News zu diesem Thema:

- BAG: Verdi muss bei rechtswidrigem Streik Schadensersatz zahlen

- Streikaufruf über das Intranet durch den Betriebsrat ist verboten

dpa
Schlagworte zum Thema:  Arbeitskampf, Streik, Schadensersatz